Das Land, das Eduard erfand

Zu Besuch beim Kulturminister Georgiens. Von Jens Kassner

Ohne die Staatsflagge mit den roten Georgs-Kreuzen vor der Tür würde man das graue Gebäude nahe des Flusses Mtkwari im Zen­trum von Tiflis nicht unbedingt für ein Ministerium halten. Die Regierung der jungen Kaukasusrepublik scheint wenig Wert auf Repräsentation zu legen. Doch ein Blick über den Fluss hinweg zeigt, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis es so weit ist. Dort ist der neue Präsidentenpalast im Rohbau – ein zu heiß gewaschener Reichstag inklusive Glaskuppel mit Wandel­spirale.

Giorgi Gabashvili empfängt mich freundlich mit fließendem Deutsch. Der Minister für Kultur und Sport entstammt einer Funktionärs­dynastie, sein Vater war lange Zeit Botschafter in Berlin. Gabashvili hat die 30 kaum überschritten. Dieses Alter ist nicht ungewöhnlich in der georgischen Regierung, die wohl einen der niedrigsten Altersdurchschnitte der Welt haben dürfte. Er selbst hat Germanistik studiert – zeitweise in Saarbrücken, das unter Ober­bürgermeister Oskar Lafontaine zur Partnerstadt von Tbilisi wurde. Heute ist ein Platz am linken Ufer des Mtkwari nach Saarbrücken benannt.

Gibt es neben der selbstverständlichen Subventionierung staatlicher Kultureinrichtungen eine Förderung der freien Szene? »Natürlich«, sagt Gabashvili, »wir unterstützen zum Beispiel die Beiträge zur Biennale Venedig, wir unterstützen unsere Verleger, die an der Frankfurter Buchmesse teilnehmen, die Künstler, die zum Edinburgher Theaterfestival fahren, und so weiter. Folkloregruppen wird geholfen, unter anderem durch Finanzierung der Gastspiele.« Auch die Aktivitäten der georgischen Diaspora im Ausland würden gefördert.

Dass die Außenwirkung des Landes im Mittel­punkt der Politik des Ministeriums steht, erscheint natürlich. Das kleine Land ohne nennenswerte natürliche Ressourcen und Exportartikel hat kaum andere Entwicklungs­chancen als den Tourismus. Dafür bestehen eigentlich beste Voraussetzungen. Auf einer Fläche von der Größe Bayerns gibt es in dichter Folge beeindruckende Landschaften, von subtropischer Küste bis zu Bergen, die über 5 000 Meter hoch sind. Und eben eine uralte Kultur. »Wir möchten mit der Kultur unsere Identität und Mentalität in Europa zeigen. Dazu gehört zum Beispiel die Ausstellung ›Medeas Gold‹ in Berlin. Und wir haben schon die wichtigsten Voraussetzungen für Tourismus im Lande geschaffen«, sagt der Minister, »jeder Ausländer kann sich hier auf der Straße sicher fühlen. Und es gibt eine funktionierende Energieversorgung.« Zur Bestätigung seiner Worte fällt genau in diesem Augenblick des Gesprächs der Strom aus. Doch im Vergleich zur Lage vor drei Jahren, als die so genannte Ro­senrevolution den in Deutschland immer noch geschätzten Eduard Shevardnadse aus dem Sessel hob, hat sich tatsächlich manches verändert. Die Polizisten han­deln nicht mehr wie legitimier­te Wegelagerer, der Straßenzustand ist selbst in der Provinz erträglich, und der Ausfall von Wasser, Gas und Strom ist nun eine Ausnahme­erscheinung. Internationale Konzerne zeigen schon Interesse.

Nur beim Normalbürger, wozu auch Lehrer und viele Künstler zu zählen sind, ist der Wandel nicht angekommen. Der Lebensstandard ist noch schlechter geworden. Eine Karte zum Jazz­festival Tbilisi, wo in diesem Jahr Joe Cocker bekanntester Gast ist, würde einen Gym­nasial­lehrer mehrere Monatsgehälter kosten.

In der Kultur ist das Erbe noch immer viel stärker zu spüren als in Deutschland. In Parks feiern Jugendliche ihr Abitur, indem sie Volkslieder singen, begleitet von traditionellen Instrumenten. Der zunehmende Austausch mit dem Westen wird deshalb vor allem von Angehörigen der alten Intelligenzia als Verfall der Werte beargwöhnt. Doch der junge Minister hebt die Wichtigkeit dieser Öffnung hervor. »Natürlich ist das Bewahren wichtig, aber wir wollen keine Tür schließen. Kultur ist nicht wie eine statische Skulptur, die nicht mehr verändert werden kann.«

Im Alltag sieht das Bewahren aber manchmal sehr seltsam aus. Während ganze Straßenzüge von Tbilisi das nächste Erdbeben nicht überstehen werden, entstehen zahlreiche Neubauten im Einheitsstil. Im Mai hat das Parlament ein neues Gesetz erlassen, das die Denkmalpflege verbessern soll. »Mit Sig­naghi in Kachtien wurde bereits begonnen. Im nächsten Jahr soll die komplexe Sanierung der Altstadt von Tiflis anfangen. Das ist aber eine kolossale Arbeit, das geht nicht in ein oder zwei Jahren. Zusammen mit Investoren und den Eigentümern geht das Schritt für Schritt voran.« Gerade das neue Gesetz hat allerdings für Unruhe gesorgt. Auf die angestammten Bewohner kommen finanzielle Lasten zu, die sie nicht tragen können.

Dass besserbetuchte Einheimische und Ausländer den Charme der alten Viertel schon für sich entdeckt haben, zeigt die Vervielfachung der Immobilienpreise. Diese Gentrifikation wird sich nun beschleunigen.