Die Humanressourcen leisten Widerstand

Die Hamburger Hochschule für bildende Künste ist derzeit die einzige in Deutschland, an der die Mehrheit der Studentinnen und Studenten sich weigert, Studiengebühren zu bezahlen. von daniel steinmaier

Der letzte linke Student hat es schwer. All seinen Bemühungen zum Trotz, die Kommilitonen aufzuklären über die desaströsen Resultate von Exzellenzinitiativen, Bachelor-Studiengängen und Studiengebühren – seine Kommilitonen hören einfach nicht hin. An knapp 40 Hochschulen riefen die letzten linken Studenten und Studentinnen zum Boykott der Studiengebühren auf. Fast überall erfolglos. Die Studenten boykottierten anstatt der Studiengebühren die Boykottaktionen ihrer Studentenvertretungen. Die einzige Ausnah­me bildet mittlerweile die Hamburger Kunsthoch­schule, wo ein Großteil der Studierenden tatsäch­lich die dort eingeführten allgemeinen Studiengebühren von 500 Euro verweigert und damit die Exmatrikulation riskiert.

Die Boykottaktionen funktionieren meist so: Anstatt auf das Konto der Universität überweisen die Boykottierenden die Studiengebühren auf ein Treuhandkonto. Wird dabei ein vorher festgelegtes Quorum unterschritten, das in der Regel bei 20 Prozent angesetzt ist, scheitert der Boykott und das Geld wird brav an die Univer­sität weitergeleitet. An der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HfbK) trat der seltene Fall ein, dass das Quorum erfüllt wurde. Von den 571 Studentinnen und Studenten der Hochschule nahmen 265 am Boykott teil.

Aber auch ein übererfülltes Quorum schützt nicht vor Exmatrikulation. Martin Köttering, der Präsident der Kunsthochschule, ließ die entsprechenden Bescheide bereits an seine Studenten verschicken. Die Zwangsexmatrikulation schaffe, so Köttering, »zweifellos auch für die HfbK ein außerordentliches Problem«. Schließlich verliert sie fast die Hälfte aller Studierenden und kann somit den Lehrbetrieb in der jetzigen Form kaum weiterführen. Aufgrund einer »rechts­­aufsichtlichen Feststellung« der Wissenschaftsbehörde bleibe ihm jedoch leider keine andere Wahl, sagte der Hochschulpräsident.

Die wegen der Massenexmatrikulation von Arbeitslosigkeit bedrohten Professorinnen und Professoren der Hochschule hatten sich bereits Ende Juni mit einem offenen Brief an den parteilosen Wissenschaftssenator Jörg Dräger gewandt, der in Hamburg Studiengebühren eingeführt hatte und derzeit mit der Unternehmensberatung Roland Berger ein Konzept mit dem Namen »Talentstadt Hamburg« entwickelt. Für eine »Stadt der Talente«, klagt nun die Professorenschaft, sei eine kostenpflichtige Kunsthochschule ein Wettbewerbsnachteil, da andere renommierte Kunsthochschulen auf Gebühren verzichten. »Die Begabtesten, das heißt die von Hamburg so sehr gewünschten Talente, werden für Hamburg verloren sein.«

Die Studenten der HfbK haben jedoch keine Lust, sich dieser Argumentation anzuschließen. Die »Stadt der Talente« sei schon immer eine Farce gewesen, heißt es auf ihrer Homepage. »Wir fordern die Professorenschaft auf, uns in ihrer Argu­mentation nicht mehr als talentierte ›Humanressource‹ zu erniedrigen, sondern endlich Kunst als gesellschaftlich notwendigen Raum von Forschung und Experiment zu behaupten.« Auch das Argument ihres Präsidenten, die Einführung von Studiengebühren belaste Kunststudierende deswegen besonders, weil auf sie eine ungewisse Zu­kunft warte, weisen die Studierenden zurück. »Stu­diengebühren treffen eine später arbeitslose Mathematikerin ebenso. Es geht um arm und reich, es geht darum, wer für ein Studium in Zukunft überhaupt noch in Frage kommt.«

Dass ausgerechnet eine Kunsthochschule erfolgreich boykottiert, liege daran, dass man an einer so kleinen Hochschule besser kommunizie­ren könne, meint Benjamin Rentner, der an der HfbK studiert. Aber auch daran, dass die Studentinnen und Studenten mit der Situation an ihrer Hochschule schon vorher unzufrieden waren. »Die Studiengebühren brachten das Fass zum Überlaufen.« Außerdem stehe die Boykott­aktion an der HfbK nicht für sich alleine, sondern in enger Verbindung mit der Hamburger Universität. Dort ist der Boykott dieses Semester zwar geschei­tert, aber die Studenten der HfbK hoffen, mit ihrem Protest an der Universität Hamburg und anderswo neue Versuche mit anzustoßen.

Denn trotz der oft kolossal gescheiterten Boykotte haben die Aktivistinnen und Aktivisten gegen Studiengebühren noch nicht den Mut verloren. Umfragen in Freiburg etwa, wo nur zehn Prozent der Studierenden am Boykott teilnahmen, zeigen, dass dies nicht unbedingt daran liegt, dass 90 Prozent von ihnen die Studien­ge­bühren akzeptieren. »Es ist eben ein weiter Schritt von der Ablehnung von Studiengebühren hin zur Teilnahme am Boykott«, sagt Benjamin Greschbach vom Freiburger Asta. Dabei ist das Risiko, wenn man sein Geld zunächst einmal auf ein Treuhand-Konto überweist, eigentlich überaus gering.

Ein höheres Risiko stellt es dar, dann tatsächlich die Gebühren zurückzuhalten. Wird die Exmatrikulation der Hamburger Kunststudenten rechtskräftig, bleibt ihnen nur der Wechsel an andere Hochschulen. Und der ist gerade im Fach Kunst nicht leicht. Präsident Köttering setzte den Studierenden eine letzte Frist. Wer bis zum 30. September das Geld doch noch überweise, werde wieder aufgenommen. Bisher wollen sich die Studenten dieser »Zermürbungstaktik« entgegenstellen und planen ein selbst verwaltetes, gebührenfreies »Sommersemester« in den Semes­terferien.

Wie wirksam Exmatrikulationsdrohungen sein können, zeigt ein anderer, mittlerweile beendeter Boykott. 89 von 124 zahlungspflichtigen Studierenden der Theaterakademie der Hamburger Hochschule für Musik und Theater hatten zunächst »wild« die Gebühren boykottiert, ganz ohne die Absicherung über ein Treuhandkonto. Weil den Studenten mit der Exmatrikulation das Schicksal droht, ihr Studium ganz von vorne anfangen zu müssen und kein Bafög mehr zu erhalten, habe man im letzten Augenblick doch gezahlt, sagt der Schauspielstudent Ralf Eger. »Wir wollen weiterhin gegen Studiengebühren protestieren. Aber wir haben unseren Boykott beendet. Das wäre sonst eine Märtyrer-Aktion geworden.«