Die Macht wird neu verteilt

Die Einführung neuer Technologien und die Umstellung auf neue Produktionsweisen werden die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung bringen. Nicht automatisch zum Positiven, aber bei ungebremstem Klimawandel wird der Spielraum für emanzipatorische Politik immer kleiner. von ferdinand muggenthaler

Eine Debatte über Klimapolitik macht keinen Sinn, wenn die Beteiligten von völlig verschiedenen Annahmen über das Klima selbst ausgehen. Die Forschung auf dem Gebiet mag für den Laien nicht immer leicht nachzuvollziehen sein. Außerdem bleibt vieles unsicher, z.B. wie sich der Klimawandel regional auswirken wird. Trotzdem können wir, meine ich, mit guten Argumenten zumindest von folgenden Annahmen ausgehen: 1. Es findet ein Klimawandel statt. 2. Es sind vor allem menschliche Aktivitäten, die die Durchschnittstemperatur auf der Erde steigen lassen. 3. Geht der Ausstoß an CO2 und anderen Klimagasen ungebremst weiter, dann sind ab etwa 2100 extreme Klimaveränderungen sehr wahrscheinlich.

Ivo Bozic, der diese Reihe eröffnet hat (Jungle World 29/07), scheint diese Annahmen nicht zu teilen, ohne allerdings Argumente für seine Ansicht zu liefern. Stattdessen versucht er sich in Medienkritik. In jedem Fernsehbericht über den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel sehe man auseinander brechende Eisberge. Doch Bozic weiß, »Eisberge verdrängen gefroren genauso viel Masse wie geschmolzen«, und glaubt, das Fernsehen der Irreführung überführt zu haben.

Allerdings hat nie ein Klimaforscher behauptet, dass Eis, das bereits im Meer schwimmt, beim Schmelzen den Meeresspiegel steigen lässt. Anders ist es mit dem Eis auf dem Festland. Da ist es in der Tat beunruhigend, dass die Eismassen auf Grönland schneller abschmelzen und ins Meer rutschen (das hat Bozic vermutlich im Fernsehen gesehen), als sie durch Schneefall nachwachsen. Grund genug, sich Gedanken über den Schutz von Küstenbewohnern zu machen, ist übrigens schon allein der Anstieg durch die thermische Ausdehnung des in den Ozeanen schon vorhandenen Wassers.

Das Beispiel zeigt, wie wenig sich Bozic mit der Materie befassen will. Trotzdem glaubt er zu wissen, dass übertrieben wird, und munkelt, Banken und Hedgefonds würden sich an der Angst vor dem Klimawandel bereichern. Leider warten auch besser informierte »Klimaskeptiker« eher mit Verschwörungstheorien auf als mit Fakten, die die grundlegenden Ergebnisse der Klimaforschung in Frage stellen. Solange sich das nicht ändert, kann man das skeptische Geraune getrost vergessen.

Natürlich gibt es einzelne Untergangspropheten, die mit pastoralem Ton die klimatische Apokalypse beschwören und der Menschheit die Abkehr von ihrer sündigen Lebensweise predigen. Aber auf der Gegenseite findet sich meist auch nicht viel mehr als blinder Glaube, meist der Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes. Die werde schon eine Lösung finden, wenn in der Zukunft doch Probleme durch den Klimawandel entstehen sollten.

Gehen wir also davon aus, dass Klimaschutz, also die Umstellung auf eine Produktions- und Lebensweise, die weniger Treibhausgase in die Atmosphäre bläst, sinnvoll ist. Es geht dabei nicht um den Kampf gegen eine drohende Apokalypse. Die Menschheit würde schon irgendwie überleben. Es geht um die Abwendung von Bedingungen, die vielen Menschen das Leben erheblich schwerer machen würden. Ist das emanzipatorisch? Nein. Aber bei ungebremster Klimaerwärmung wird der Spielraum kleiner, in dem gesellschaftliche Entwicklung stattfinden kann.

Die Diskussion muss sich deshalb nicht um das Ob, sondern um das Wie dieser Umstellung drehen. Hier stellt sich eine ganze Reihe von Fragen, zu denen Linke oder Linksradikale vielleicht mehr zu sagen haben als zu Klimamodellen. Hier einige Überlegungen:

Es ist nicht nur leeres Gerede, wenn Merkel und ihre Kollegen auf dem G8-Gipfel von Klimaschutz sprechen. Ob sie persönlich den Klimaschutz ernst nehmen – wer weiß. Im Ergebnis bemühen sie sich jedenfalls, dass die Staaten, denen sie vorstehen, ihre Funktion als ideelle Gesamtkapitalisten erfüllen. Dazu gehört eben auch, die klimatischen Rahmenbedingungen für die Kapitalakkumulation nicht zu ungemütlich werden zu lassen. Andererseits stehen sie unter dem Druck der Einzelinteressen »ihrer« Unternehmen und des Standortwettbewerbs. Weshalb die Bundeskanzlerin aus der Klimarolle fällt, wenn es darum geht, EU-Vorgaben für die deutsche Autoindustrie zu verhindern.

Dass Staaten mehr oder minder erfolgreich versuchen, die Technologieentwicklung zu steuern, ist nichts Neues. Sie setzen dabei nicht immer, aber besonders gern auf so genannte Markt­mechanismen. Sie führen – grob gesprochen – zum Einsatz der Techniken, mit denen sich am besten Geld verdienen lässt. Das sind nicht immer die einfachsten und effektivsten Maßnahmen zum Klimaschutz. Beispielsweise ließen sich in Deutschland mit der Sanierung von Altbauten sehr einfach eine Menge Treib­hausgase vermeiden. Das ist seit langem bekannt, aber das große Geschäft wittert hier niemand. Profitieren würden vor allem die Mieter.

Bei anderen Technologien wird umso mehr mit den Chancen auf dem Weltmarkt geworben. Die Grünen sind stolz, dass unter ihrer Regierungsverantwortung Deutschland Weltmeister im Export erneuerbarer Energietechnologien geworden ist. Trotzdem scheint mir die Vermutung abwegig, der Klimaschutz an sich sei nur ein Trick des Westens, um seine wirtschaftliche Vorherrschaft zu erhalten. Ohne Klimaschutz wären die Chancen für die Menschen, in armen Ländern dem Elend zu entkommen, kein bisschen besser. Wahrscheinlich ist eher das Gegenteil richtig: Erstens werden sich vermutlich vor allem in ärmeren Weltregionen die klimatischen Bedingungen verschlechtern. Zweitens könnten sie schon wegen des knapper werdenden Öls nicht die gleiche Industrialisierung durchmachen wie der Westen. Das Problem wird freilich sein, dass die effizienten und klimaneutralen Technologien nicht da eingesetzt werden, wo sie am nötigsten sind, sondern dort, wo die kaufkräftigste Nachfrage sitzt.

Die Einführung neuer Technologien geht fast immer mit sozialen und politischen Kämpfen einher. Macht wird neu verteilt. Es gibt sogar Leute, die verbinden mit bestimmten Techniken gesellschaftliche Heilsversprechen. Jeremy Rifkin, Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington, etwa glaubt, die Einführung der Brennstoffzelle werde fast von selbst die Gesellschaft demokratischer und friedlicher machen.

Einen solchen Automatismus gibt es sicher nicht. Trotzdem macht es einen Unterschied, ob die deutsche Energieversorgung von russischem Gas abhängig ist, von Solarkraftwerken in der Sahara oder brasilianischem Zuckerrohr. Es ändert nicht nur die CO2-Bilanz, ob Eon den Strom aus großen Kohlekraftwerken liefert oder die Energie weitgehend lokal mit Kraftwärmekopplung gewonnen wird. Es ändert das Leben der Menschen in der peruanischen Provinz, ob sie weitgehend von Subsistenzlandwirtschaft leben, die Möglichkeit haben, einen Traktor mit selbst hergestelltem Biodiesel zu nutzen, oder als Landarbeiter auf einer Plantage Energiepflanzen für den Weltmarkt herstellen. Dabei gilt nicht das Motto small is beautiful. Es kommt auf die konkre­ten Umstände an, unter denen die Integration in den Weltmarkt stattfindet.

Am boomenden Markt für Biokraftstoffe kann man schon jetzt die Auswirkungen einer bestimm­ten Klimapolitik studieren. Treibstoff aus Raps, Zuckerrohr, Maniok oder Palmöl, das hört sich sinnvoll an. Es wird nur das CO2 in die Atmosphäre geblasen, das die Pflanzen beim Wachstum aus der Luft holen. Bis 2020 sollen zehn Prozent des Brennstoffs in der EU aus Energiepflanzen stammen. Das niederländische Copernicus-Institut hat sogar ausgerechnet, dass der gesamte Energiebedarf der Menschheit locker durch Pflanzen gedeckt werden könnte. Es bliebe trotzdem noch genug Platz für Lebensmittel­anbau übrig, vorausgesetzt die Erträge können entsprechend gesteigert werden.

In der Realität konkurrieren schon jetzt Brennstoffanbau und Lebensmittelproduktion um die guten Böden. Gleichzeitig führen die steigenden Preise dazu, dass es lukrativ wird, neue Flächen für den Anbau von Palmölplantagen oder Zucker­rohr zu roden. Das lässt auch die Klimabilanz des Biosprits wesentlich schlechter aussehen. In Lateinamerika führt der Boom der Agroenergie zu erheblichen Auseinandersetzungen. In Brasilien steht die Ausweitung des großflächigen Zuckerrohranbaus zur Ethanolgewinnung der versprochenen Landreform entgegen. Die Landlosenbewegung MST und das Netzwerk Vía Campesina warnen: »Wir können keine Tanks füllen, während die Mägen leer bleiben.«

Das »Forum Widerstand gegen das Agrobu­siness« gewinnt den Kämpfen um den Biospritanbau aber auch Positives ab: »Die Zentralität der Energiekrise für die Kapitalakkumulation eröffnet die Möglichkeit einer globalen Debatte über andere Formen der Produktion und des Lebens, über ein radikal anderes Projekt.« Man muss diesen Optimismus nicht teilen, jedenfalls bringt auch hier die Einführung neuer Produk­tionsweisen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung. Das muss nicht schlecht sein.