Hyper, hyper!

Die Verbindung von Kunst und Kapital ist eine besonders innige. In ihrer Streitschrift »Hype« polemisiert Piroschka Dossi gegen das Verschwinden der Leinwand im Tresor der Bank. Von Andreas Hartmann

Es war nur eine Meldung im »Vermischten«: Hugh Grant wird im November ein Porträt Elizabeth Taylors von Andy Warhol bei Christie’s in New York versteigern lassen. Vor ein paar Jahren hatte er das Bild für den Schnäppchenpreis von dreieinhalb Millionen Dollar erstanden, Schätzungen zufolge wird der Schauspieler mit dem Hundeblick bei der Auktion das Zehnfache seines Einkaufspreises erlösen, Experten rechnen damit, dass Warhols Liz 35 Millionen Dollar einbringen wird.

Man hat sich an Meldungen wie diese gewöhnt. Der Kunstmarkt explodiert, erfährt man regelmäßig, jeden Monat gibt es ein neues »teuerstes Kunstwerk aller Zeiten«, und es scheint kein Ende der Preisexpansion nach oben in Sicht. Kunst, das ist die Superaktie von heute, und wer bereits eine Yacht besitzt, der braucht endlich auch seinen ersten Picasso.

Im Kapitalismus regelt der Markt alles, das ist klar. Doch bei der Kunst gibt es naiverweise immer noch die Vorstellung, sie würde ihre Bedeutung aus sich selbst, zumindest ein ganz klein wenig, oder wenigstens über Diskurse, Expertenmeinungen, kunsthistorische Relevanz beziehen. Dabei scheint es so zu sein: Was zählt, ist das, was Kasse macht. Und Kasse macht eben derjenige Künstler, der die mächtigste Lobby hinter sich weiß. Die Besten sind auch die Teuersten und umgekehrt, so die Logik, der freie Kunstmarkt regelt das schon.

»Hype!« ruft da die Kunstgeschichtlerin Piroschka Dossi in ihrem gleichnamigen Buch (dtv), in dem sie, als eine von vielen auf dem Sachbuchmarkt derzeit, diesen Kunstmarkt näher betrachtet und seine Mechanismen offenlegt. Prinzipiell erfährt man bei ihr nichts Neues, nämlich wie verkommen und eklig dieser Markt doch ist, doch man erfährt es in einer großen Eindringlichkeit und auch leicht redundanten Heftigkeit. Kunst erscheint bei ihr als etwas, das sich strategisch des Marktes als Durchlauferhitzer bedient, um permanent die eigene Wertigkeit zu steigern, ihr jeweiliger Marktwert ist auch gleichzeitig ihr Kunstwert. Sammler, Galeristen, so genannte Mäzene, Museumsleiter und Auktionäre, sie alle spielen ihre Rolle in diesem Spiel, von dem sie alle leben.

Dass Kunst erst gemacht wird und nicht zwangsläufig mit einer Aura entsteht, das ist natürlich nichts Neues. Der Geniekult, der bis hin zu Biopics wie »Pollock« einfach nicht auszurotten ist, hilft einem Künstler trotzdem auch dann weiter, wenn eigentlich alle wissen, dass Genie nur wenig mit Authentiziät, aber viel mit Projektion und Konstruktion zu tun hat. Der manisch wirkende Farbkleckser mit Hut verkauft sich einfach besser als ein Langweiler.

Kunst braucht das Ereignis, das immer öfter die Größten und Berühmtesten oder wenigstens »Schönsten« ausstellt, wie gegenwärtig in Berlin eine Schau mit französischen Impressionisten, die Leihgaben des New Yorker MoMA mit »Die schönsten Franzosen kommen aus New York« bewirbt. Superlative, zumindest irgendwelche. Die aktuelle Documenta wirkt da beinahe rührend in ihrem Versuch, Kunst geschützt vom Markt zeigen zu wollen. Nicht die großen Namen werden hier ausgestellt, sondern Künstler, denen von den Kuratoren eine Wertigkeit zugeschrieben wird. Putzig ist das, ein Abbild der Gegenwartskunst ergibt sich so jedoch nicht, wie dann auch Kritiker von Bazon Brock bis DJ Westbam bemängelt haben. Dieses Abbild muss man heute in den Privatgalerien irgendwelcher Milliardäre oder auf den Kunstmessen suchen, die boomen wie nie zuvor.

Früher hatte es noch den Hauch der Unanständigkeit, wenn eine Galerie für eine Vernissage golfende Millionäre aus Florida einfliegen ließ, heute ist dies Standard, für den sich niemand mehr schämt. Hier, etwa auf der »Art Basel«, hängen die ganzen Martin Eders und Daniel Richters rum, von denen man vor kurzem noch im Lifestyleblatt gelesen hat. Deren Artefakte möchte man sehen – wofür sich amerikanische Investmentbanker und japanische Firmenvorsitzende interessieren, das muss ja was sein. Gerne gesehen werden auch die Werke von Künstlern, die in irgendwelchen Rankings ganz oben sind. Gerhard Richter etwa landet bei diesen immer an der Spitze, auch wer von Kunst keinen blassen Schimmer hat, kennt inzwischen mit Bestimmtheit Gerhard Richter: Das ist doch dieser Kunstweltmeister aus Deutschland.

Überhaupt die Deutschen. Weltklasse in Sachen Kunst. Sogar Sylvester Stallone weiß das. Der hat, so erfuhr man vor ein paar Monaten aus einem Interview mit ihm in der Süddeutschen Zeitung, einen Anselm Kiefer im Wohnzimmer hängen. Jemand hatte ihm geflüstert, dass die Deutschen eine großartige Wertanlage sind. Manche Künstler der Leipziger Schule haben auf Jahre hinaus ihre zukünftigen Bilder bereits vorverkauft, wollten sie die Nachfrage befriedigen, müssten sie pausenlos in ihren Galerien herumpinseln.

Ein Kennzeichen eines Hypes ist es normalerweise, dass er wieder nachlässt, weil das öffentliche Interesse bald von einem neuen Hype abgelenkt wird. In der Kunst scheint das Abflauen von Hypes, wie etwa dem um die Leipziger Schule, nicht abzusehen. Leipziger-Schule-Künstler sind inzwischen weltweit etablierte Markenartikler, und der Kunstmarkt funktioniert auch hier nach dem so genannten »The winner takes it all«-Mechanismus, das heißt: Wer bereits ganz oben ist, der bleibt das erst einmal, und wer bereits reich ist, der wird bald noch viel reicher sein.

Gerne wird auch die Frage gestellt, ob der Kunstmarkt nicht längst so hoffnungslos überhitzt ist wie der Londoner Wohnungsmarkt und ob nicht ein totaler Crash anstehe wie nach dem Platzen der ersten Internetblase zu Beginn des Jahrtausends. Nein, so sind sich die Experten weitgehend einig, der Kunstmarkt wird in Zukunft eher noch stärker boomen, und seine Preise werden die Grenzen von mindestens ­einer Fantastillion streifen. Ganz so, wie auch die Superreichen, die sich all die Superkunst zulegen, immer mehr werden.

Kunst ist eben ein schier perfektes Anlage­objekt. Die Aussichten auf Wertsteigerung – siehe Hugh Grants »Liz« – sind traumhaft. Außerdem stattet Kunst den Anleger, anders als bei Aktien oder sonstigen offensichtlichen Gewinnmaximierern, nicht mit dem Image eines Geldhais und Abzockers aus, vielmehr wirkt man als Kunstsammler immer edel und schöngeistig. Das Ganze kann dann so weit führen wie bei Hans Christian Flick mit seiner Collection im Berliner Hamburger Bahnhof. Seine mit Blutgeld zusammengekaufte Sammlung, die weniger durch Sachverstand als durch Protzerei besticht, wird auf Jahre hinaus den Museumsbesuchern zugänglich gemacht, womit sich Flick ganz nebenbei die Lagerkosten für den ganzen Kram spart. Wenn die »Flick-Collection« den Hamburger Bahnhof verlassen haben wird, dann wird sie freilich ein -zigfaches des Werts besitzen, den sie vor der Ausstellung hatte. Denn die Kunstwerke werden ungleich bekannter als vorher sein, und nach den Regeln des Kunstmarktes bedeutet die Steigerung der Bekanntheit ganz automatisch die Steigerung des Wertes. Flick hat mit seiner Collection den Jackpot geknackt.

Kunst ist jetzt nur noch Ware, das klingt aber ganz schön kulturpessimistisch. Was ist denn dann mit all der kritischen und politischen Kunst, die es zweifelsohne auch noch gibt und die immer noch ihre Örtlichkeiten und Dis­kurs­anschlussmöglichkeiten findet? Nun ja, schön, dass es sie gibt, doch wirkliche Bedeutung hat sie immer weniger. Wenn sie nicht auf dem Markt besteht, der immer stärker den jeweiligen Wert der Kunstwerke bestimmt, dann vermögen sich ihre Inhalte nicht in dem Maße zu entfalten, wie es beispielsweise bei einem erfolgreichen Popsong mit kritischem Inhalt immer noch in der Kulturindustrie möglich ist, obwohl der erfolgreiche Popsong mit Subversionsgehalt auch schon mal bessere Tage gesehen hat. Kunst wird ja von vielen auch deswegen als der neue Pop betrachtet, weil sie eben dank des Marktes all das transportiert, was man früher mit Pop kurzgeschlossen hatte: unglaublichen Glamour und eine rasend schnelle Verbreitung von Inhalten. Im Ghetto des linken Kunsthandwerks, wo man hart an der Armutsgrenze, auf Hartz IV oder von Stipendien lebt und vielleicht sogar bewusst und mit einem Rest an Kunstszene-Ekel vor sich hinwurstelt, wird die eigene Kunst ohne den Anschluss an den Kunstmarkt niemals die Bedeutung erlangen, die man ihr gerne zuschreiben würde.

Egal, wie man es als Künstler gerade macht – in oder bewusst außerhalb der Kunstszene –, in beiden Fällen macht man etwas nicht ganz richtig. Auch innerhalb des Kunstmarktes selbigen zu kritisieren, führt im Normalfall zu nichts. Das steigert die Aufmerksamkeit, und man profitiert schon wieder von den Marktmechanismen, die man vorgeblich untergraben möchte. Sich in den Markt hineinzubegeben und dann gelegentlich mit seiner Kohle auch mal etwas Sinnvolles anzustellen, etwa so wie Daniel Richter vor kurzem mit dem Kauf des halbbankrotten Punk­labels Buback, das wäre vielleicht ein Weg. Doch Künstler, sind sie erst mal mit drin im Geschehen, überblicken meist die Dinge irgendwann einfach nicht mehr. Der Kumpel Richters, Jonathan Meese, hat sich erst vor kurzem den Kunstpreis der BZ aus den Händen von Guido Westerwelle überreichen lassen. Zu solchen Dingen könnte ein Künstler, der sich gerne im Quertreiber-Image von jemandem wie Frank Castorf sonnt, einfach auch mal »Nein« sagen.