Psychospinner vor der Tür

Einige heimische Psychosekten sind kaum besser als Scientology. Sie alle zu verbieten, wäre keine schlechte Idee, doch wird es dazu wohl nicht kommen. kommentar von peter bierl

Kaum ist die Debatte, ob Tom Cruise den Hitler-Attentäter Stauffenberg spielen darf, beendet, da fordert der Hamburger parteilose Innensenator Udo Nagel, die Organisation Scientology zu verbieten. Unterstützt wird er von den Senatsfraktionen der CDU und der SPD sowie vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU). Anlass ist die Flucht zweier Kinder von Scientologen und das neue »Schwarzbuch Scientology« von Ursula Caberta, der Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde.

Mancher Linke mag glauben, hier sei Antiamerikanismus am werk, zumal einige Vorwürfe verdächtig deutsch klingen. Als wäre es nicht das Normalste der Welt, dass der »Psychokonzern« maximalen Profit erzielen will und seine Anhänger ausbeutet. Wie die Sekte es schafft, dass sich ihre Mitarbeiter krank zur Arbeit schleppen, dürfte jeden Personalchef interessieren. Und profilierte sich nicht Günther Oettinger (CDU), der Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Lobredner des Nazirichters Filbinger, schon im Jahr 1995 im Kampf gegen Scientology?

Allerdings tat sein Parteikollege Heinrich Lummer wenig später eine Kampagne der Jungen Union gegen den Film »Mission Impossible« wegen der Mitwirkung von Tom Cruise als Spinnerei ab. Mit der »Sektenkeule« werde auf Scientology eingeschlagen, rügte er. Lummer selbst gilt als Anhänger der rechten Psychogruppe namens »Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis«. Die antideutsche Zeitschrift Bahamas fand es vor zehn Jahren »nicht so abwegig, wie es scheint«, dass sich die Scientologen als die Juden des neuen Deutschland bezeichneten, da Boykott, Berufsverbot und »behördliche Kennzeichnung« in der NS-Zeit zu den Vorbereitungen des Massenmordes gezählt hatten. Die ungeheuerliche, völlig falsche Gleichsetzung war damals Bestandteil der Scientology-Propaganda.

Die Ignoranz von Bürgerlichen wie Linken gegenüber Esoterikspinnern ist typisch. Wer die Werke von Lafa­yette Ron Hubbard, Rudolf Steiner, Helena Blavatsky, Thorwald Dethlefsen oder Bert Hellinger liest, hat Schmerzensgeld verdient. Aber ihre Lehren sind nicht bloß Wahnvorstellungen und Omnipotenzfantasien. Sie sind elitär und antidemokratisch, sie pflegen einen Führerkult und teilen die Menschen in erleuchtete Wesen und verbohrte Materialisten ein – »raw meat« (rohes Fleisch), wie die Scientologen sagen. Sie tragen, wie Ernst Bloch warnte, zur Faschisierung des Bürgertums bei. Die Erleuchteten frönen, frei von jüdisch-christlich-humanistischer Moral, einem spirituell verbrämten Herrenmenschentum. Der erleuchtete Übermensch, bei Hubbard der unsterbliche Thetan, soll die Welt erretten. Manche Esoteriker wie Tom Hockemeyer oder Jan Udo Holey relativieren die Shoah als »karmischen Ausgleich«. Einige Sekten sind geradezu mörderisch, wie die Massaker der Sonnentempler, der Heavensgate-Sekte, der Volkstempler in Guayana oder die Giftgas-Anschläge der Aum-Sekte in der Tokioter U-Bahn mit fünf Toten und über 5 000 Verletzten beweisen.

So mag Antiamerikanismus eine Rolle spielen, wenn deutsche Politiker und Medien sich über Scientology hermachen. Einheimischen Gewächsen gegenüber sind sie lax. Otto Schily (SPD) schaffte es, dass die Enquete-Kommission des Bundestags zu Sekten sich erst gar nicht mit der Anthroposophie zu befassen hatte. Das bayerische Kultusministerium gab dem Schulboykott der »Zwölf Stämme« nach und erlaubte der Sekte, ihre Kinder selbst zu unterrichten.

Über Verbote lässt sich streiten. Sie können effektiv sein, das belegt das KPD-Verbot von 1956, als Teil umfassender staatlicher Repression gegen Linke. In jüngster Zeit wurden islamistische Vereine wie der Kalifenstaat oder Hizb ut-Tahrir aufgelöst. Es wäre nützlich, faschistoide Gruppen und Sekten oder die NPD zu verbieten, vorausgesetzt, die Kader könnten nicht unter einem neuen Namen weitermachen. Dazu müssten Strukturen zerschlagen, das Vermögen beschlagnahmt und Wiederholungstäter aus dem Verkehr gezogen werden. Aber so hart ist der deutsche Staat noch nie gegen Nazis vorgegangen und wird es wohl auch gegen Scientology nicht tun.

Im Übrigen hat es doch was, wenn der Superstar von Scientology die Ikone eines deutschen Widerstandes mimt, dem der Historiker Hans Mommsen eine faschistische Grundeinstellung attestierte.