Auf Waljagd in Washington

Ermittler des Kongresses werfen der US-Regierung illegale Manipulation von Ministerien und Behörden vor. Zahlreiche hochrangige Mitarbeiter Bushs mussten bereits zurücktreten. von william hiscott

Karl Rove betrachtet sich gern im Lichte von Mythen. »Ich bin Moby Dick«, sagte der einflussreiche Berater George W. Bushs Mitte August. Doch anders als der weiße Wal stellte er sich dem Kampf nicht. Er trat zurück und verließ das Weiße Haus, angeblich, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Allerdings glaubt Rove nicht, dass die Ahabs im Kongress von ihm ablassen. »Sie werden mich weiter jagen«, prophezeite er in der vergangenen Woche.

Nicht nur ihn. Am Montag trat Justizminister Alberto Gonzales zurück, eine Begründung gab er in seiner öffentlichen Erklärung nicht an. »Sein guter Name wurde aus politischen Gründen in den Schmutz gezogen«, kommentierte Bush. Man­che Kommentatoren glauben, dass es nun selbst den Präsidenten und seinen Vize Dick Cheney treffen könnte. Probleme bereitet der Regierung nicht nur, und derzeit nicht einmal in erster Linie, der Irak-Krieg. Vor allem geht es um den Vorwurf ille­galer innenpolitischer Manipulationen. Ein solcher Vorwurf, und nicht die Kritik am Vietnam-Krieg, hat schon Richard Nixon zum Rücktritt gezwungen.

Bis zum Januar dieses Jahres zeigte der repu­bli­kanisch geführte Kongress keinen besonderen Eifer bei der Aufsicht über die Exekutive unter Präsident Bush. Auch nachdem die neue Mehrheit der demokratischen Abgeordneten ihre Sitze eingenommen hatte, änderte sich das nur langsam. Nach zwölf Jahren in der Minderheit mussten die neuen Machthaber sogar erst einmal Lehrgänge für ihre neuen Aufsichts- und Ermittlungskräfte durchführen.

Dann aber stießen sie unter der Leitung von Patrick Leahy, dem Vorsitzenden des Justizausschusses im Senat, und Henry Waxman, dessen Amtskollegen im Abgeordnetenhaus, auf politische Manipulationen, die zum Rücktritt von bislang einem halben Dutzend hohen Beamten des Justizministeriums geführt haben. Justizminister Gonzales musste ihnen folgen, obwohl er bis zum Schluss die Unterstützung des Präsidenten genoss.

So wie Rove bis zu seinem Rücktritt. Mit ihm mussten mehrere Schlüsselfiguren aus seinem Stab ihre Schreibtische räumen. Die Ermittlungen des Kongresses und deren mediale Aufbereitung haben den politischen Apparat im Weißen Haus weitgehend lahmgelegt. Und das, obwohl sich der Kongress noch in der Sommerpause befindet. Im September werden weitere Enthüllungen erwartet.

Obwohl durch die Verzögerungs- und Vernebelungstaktik der Regierung Bush noch vieles ungeklärt bleibt, sind der Öffentlichkeit genügend Indizien bekannt geworden, die ein ausgeklügeltes und offenbar zum Teil illegales System der Wahlmanipulation erkennen lassen. Es ist eine Komponente des Projekts, mit dem Rove und seine Helfer eine »permanente Mehrheit« für die Republikaner sichern wollten. Alle Sachentscheidungen der dem Präsidenten unterstellten Minis­terien und Behörden sollten so getroffen werden, dass sie die Republikanische Partei bzw. einzelne ihrer Kandidaten maximal begünstigen.

Rabiate Versuche, die Regierungsgewalt ausschließlich zum Wohl der regierenden Partei auszuüben, haben eine lange Tradition in den USA. Im Jahr 1939 trat der Hatch Act in Kraft, der die Instrumentalisierung der Verwaltung für Parteipolitik und Wahlkämpfe untersagt. Doch der Gruppe um »Bush’s brain« (Bushs Gehirn) Rove scheint es gelungen zu sein, die institutionelle Macht der Exekutivbürokratien unter ihre Kontrolle zu bringen.

So fanden in den vergangenen Jahren regelmäßige Beratungen von Roves Stab und den politisch Verantwortlichen in Washington mit den elf Regionalstellen der General Services Administration (GSA) statt, einer Beschaffungsbehörde mit einem Jahresbudget von 66 Milliarden Dollar, die 8 000 Gebäude und 130 000 Fahrzeuge der Regierung verwaltet. Geklärt werden sollte, wie man »den Kandidaten der Republikaner helfen kann«, erklärte Zeugenaussagen zufolge die Leiterin der GSA, Lurita Doan. Zu diesem Zweck sollten öffentliche Gelder für Gebäude, Projekte und Initiativen in bestimmte Wahlbezirke fließen, um dort die Wahlkampfaktivitäten republikanischer Kandidaten zu unterstützen. Es gibt Indizien für ähnliche Vorgänge in 18 weiteren Ministerien und Behörden.

Die Verstöße gegen den Hatch Act könnten noch als Kavaliersdelikte durchgehen. Doch das Weiße Haus zielte nicht nur darauf ab, Wähler für sich zu gewinnen. Vielmehr nutzte es das Justizministerium unter Gonzales, um die Wahl­chan­­cen der Demokraten zu verringern. Mit Hilfe der Bundesanwaltschaft sollten kurz vor der Wahl 2006 eine Reihe von aufgebauschten Korruptions­fällen um demokratische Amtsträger in den battle­ground states, Bundesstaaten wie Wisconsin und Minnesota, in denen ein knapper Wahlausgang erwartet wurde, den Republikanern zum Sieg verhelfen.

Diese Strategie flog auf, weil das Justizministerium eine halbes Dutzend Bundesanwälte kurzerhand entließ, die sich entweder weigerten, bei diesem Spiel mitzumachen, oder Korrup­tions­fälle bei den Republikanern untersuchten. So wurde der Bundesanwalt in New Mexico entlassen, weil er wenige Wochen vor der Wahl davon abgesehen hatte, politisch motivierte Ermittlungen gegen örtliche Demokraten einzuleiten. Der Bundesanwältin für Südkalifornien, Carol Lam, verantwortlich für den Fall eines republikanischen Kongressabgeordneten, der regelmäßig Bestechungsgelder aus der Rüstungsindus­trie kassierte, wurde die Entlassungsurkunde zugestellt. Mangelnde Loylität zu Bush sollte mit dem Verlust des Amtes bestraft werden, bestätigte Kyle Sampson, der inzwischen zurückgetretene Stabschef von Gonzales.

Die Regierung konnte bislang die Auswirkungen des Skandals begrenzen, doch die Ermittlungen gehen weiter. Weil prominente Regierungsmitglieder wie Harriet Miers, die ehemalige Rechts­­beraterin Bushs, Rove selbst und der derzeitige Stabschef des Weißen Hauses, Josh Bolton, sich weigern, Auskunft zu geben, sind in den vergangenen Wochen Ermittlungen wegen Missachtung und Behinderung des Kongresses eingeleitet wor­den. Die weitere Auseinandersetzung wird zumin­dest für gutes politisches Theater sorgen, da Bush unmissverständ­lich die Bereitschaft erklärt hat, eher eine konstitutionelle Krise zwischen der Exe­kutive und der Legislative in Kauf zu nehmen, als mit dem Kongress bei den Ermittlungen zu ko­operieren.

Eine weitere Komponente des Projekts »permanente Mehrheit« war das vote caging, der Ausschluss potenziell demokratischer Wähler von der Stimmabgabe. Auch diese Methode hat eine lange Tradition, angewendet wurde sie von den Republikanern im Jahr 2000 im Bundesstaat Florida und 2004 in Ohio, Nevada und Wisconsin, wo Zehntausende von Wählern erfolgreich an der Abgabe ihrer Stimme gehindert wurden, und wohl auch 2006 von Tim Griffin, einem Vertrauten von Karl Rove .

In allen diesen Fällen wurden persönlich adres­sierte Briefe an die in den Wahllisten eingetragenen Menschen eines bestimmten Bezirks verschickt, in dem man überwiegend demokratische Wähler vermutete. Wenn der Brief als nicht zustellbar zurückkam, etwa weil der Empfänger nicht quittieren wollte, nicht anwesend oder umgezogen war, wurde er auf Antrag des Absenders von der Wählerliste gestrichen.

Diese Strategie scheint hauptsächlich auf afro-amerikanische Wähler angewendet worden zu sein. Das vote caging ist nicht grundsätzlich illegal; stellt sich jedoch heraus, dass es gezielt auf bestimmte Bevölkerungsgruppen angewendet wird, so ist es ein Verstoß gegen den Voting Rights Act von 1965, der rassistische Diskriminierung verbietet. Mitte der achtziger Jahre hatten sich schon einmal die Beweise dafür verdichtet, dass die Republikanische Partei mit ähnlichen Strategien gegen das von der Bürgerrechtsbewegung erkämpfte Gesetz verstieß. Damals sagten die Re­publikaner zu, diese Praktiken künftig zu unterlassen, und das Justizministerium unter Präsident Ronald Reagan verfolgte den Skandal nicht weiter. In den gegenwärtigen Fällen scheint das Justizministerium nicht anders handeln zu wollen.

Noch ist nicht bewiesen, dass der Präsident selbst in all diese Machenschaften verwickelt war. Doch nach den Rücktritten von Rove und Gonzales steht nun niemand mehr zwischen dem Präsidenten und den Ermittlern. Auf die Solidarität seiner Partei kann er sich nicht unbedingt verlassen. Im republikanischen Establishment wächst die Angst davor, dass der immer unpopulärer werdende Präsident den langfris­tigen Interessen der Partei schaden könnte.

Selbst Präsident Richard Nixon sah sich gezwungen, mit dem Kongress bei dessen Ermittlungen zum Watergate-Skandal zu kooperieren. Er wies 1974 seinen Rechtsberater John Dean an, dem Kongress vollständig Auskunft zu geben, und lieferte damit faktisch die Beweise für seine eigenen kriminellen Machenschaften. Bald darauf trat er zurück, um einem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen.

Nixon, ein Zyniker und politischer Kleinkrimineller, ließ den Vietnam-Krieg langsam ausklingen und beugte sich mit seinem Rücktritt letztlich den Institutionen der Republik. Bush da­gegen, offenbar selbstgerechter und erfüllt von christlichem Sendungsbewusstsein, scheint entschlossen zu sein, die Kongressermittlungen weiterhin zu verhindern, bis er sich im Januar 2009 nach Crawford, Texas, zurückziehen kann. Genaueres über seine Pläne und die Verstrickung in die Skandale ließe sich in Erfahrung bringen, wenn, wie zur Zeit Nixons, ein Tonband die Gespräche im Oval Office aufzeichnen würde. Doch diese Quelle potenziell kompromittierender Informationen wurde nach dem Rücktritt Nixons entfernt.