Das große Rumfuchteln

Die Grenzen der Wii-Spielekonsole liegen auf der Hand: Mit den Füßen geht nichts. von lukas wieselberg

Einer der größten Unterschiede zwischen den USA und Europa besteht darin, dass Amerikaner gerne Dinge in die Hand nehmen. Dazu muss man nicht in den Irak schauen, es reicht schon ein Blick auf ihren Sport. In allen Nationalsportarten der USA geht es mit den Händen zur Sache: im Baseball, Basketball, Eishockey und wie zum Hohn auch im American Football. Da werden Bälle bzw. Pucks geschlagen, geworfen, geschossen und getragen mit Hilfe jener Gliedmaßen, die durch den aufrechten Gang frei geworden sind. Findige Kulturwissenschaftler haben die USA deswegen auch schon als die »taktile Gesellschaft« bezeichnet. Bevölkert wird sie von Bürgern und Bürgerinnen, die gerne greifen: nach Chancen und den Sternen, im Sport nicht zuletzt nach Bällen. Fehlgriffe sind da natürlich nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu herrscht im Sportverständnis Europas der Fußfetisch vor.

Die meisten Tore der eben begonnenen Fußballsaison in der Alten Welt werden einer schönen Tradition gemäß mit den Füßen erzielt. Ein vergleichsweise schwieriges Unterfangen. Einen Ball mit einem Schläger zu treffen, mit dem Ball in der Hand über eine Linie zu laufen oder ihn in einen Korb zu werfen, ist viel einfacher und passiert deswegen auch viel öfter. Ein torloses Unentschieden im Fußball kann spannend sein, ein 0:0 in einem Basketballspiel wäre eine Katastrophe für alle Beteiligten. Ein Grund für das immer noch weitverbreitete Unverständnis in den USA für Fußball, diesen Sport für Soccer-Mums und ihre Mädchen, ist, dass dabei sehr oft nichts passiert, keine oder wenige Tore fallen.

Als vor etwa 140 Jahren die ersten Fußballregeln in England niedergeschrieben wurden, führte die Unterscheidung von Hand- und Fußgebrauch zur Trennung von Fußball und Rugby, aus dem sich das American Football entwickelt hat. Mit ein Grund für das Handverbot der Fußballer war der Schutz des »Zivilisationsmediums« Hand. Weil man diese für kulturell so entscheidende Tätigkeiten verwenden kann wie Feuer machen, Teppich klopfen oder Bankschecks unterschreiben, sollte sie unter eine Art kulturellen Denkmalschutz gestellt werden. In der Tat ist die Verletzungsgefahr für die Arme im Fußball weitaus geringer als im Tennis oder Basketball. Wenn doch einmal etwas schief geht, werden die Arme einfach in eine Schlinge gelegt – so wie es Franz Beckenbauer bei der WM 1970 machen musste.

Seit vergangenem Jahr sind unsere vorderen Extremitäten aber von einer neuen Gefahr bedroht. Damals brachte Nintendo seine Spielekonsole Wii heraus, und seither wird weltweit in Millionen Haushalten herumgefuchtelt, dass es eine wahre Freude ist. Die Wii geht zahlreich über die Ladentische, obwohl ihre Grafik nicht berauschend ist, obwohl man mit ihr keine DVDs oder Bluerays schauen kann, und obwohl sie keine Superprozessoren in sich trägt wie die Konkurrenz von Sony und Microsoft. Dafür ist ihr Prinzip sehr einfach: Man nimmt eine Fernbedienung in die Hand, stellt sich vor den Fernseher und macht sich zum Deppen. Sensoren übertragen die Bewegungen, die man mit dem Controller tätigt, in das Spielgeschehen auf dem Schirm.

Schon bei den Einsteigerspielen wird die Richtung vorgegeben: Bowling, Tennis, Golf, Baseball und Boxen sind allesamt Sportarten, bei denen es in erster Linie auf die Hände ankommt. Das Schwingen des Schlägers, das Rollen der Kugel und das Schlagen des Balls kann mehr oder minder exakt simuliert werden. Wer will, kann das auch mit einem Golf- oder Tennisschläger aus Plastik machen, in den die eigentliche Fernbedienung integriert wird. Wenn man sich dabei nichts auskugelt, liegt der Spielspaß buchstäblich auf der Hand. Auf einschlägigen Webseiten (»wiidamage.com«) kann man bereits Wii-Unfälle aller Art bewundern, besonders gefährdet sind natürlich die Fernsehgeräte, aber auch allfällig herumstehendes oder ‑hängendes Zeug im Wohnzimmer, und nicht zuletzt die Spieler selbst.

Diese Unfälle beweisen, dass Nintendo mit der neuen Hands-on-Bedienung eine Innovation gelungen ist. Und das in einer Branche, die sich zwar kreativ nennt, aber eigentlich unter Fantasielosigkeit großen Ausmaßes leidet. Seit Jahrzehnten gibt man sich mit den immer gleichen Spielideen zufrieden, dafür ist die Grafik mittlerweile fast realer als die Wirklichkeit. Auch bei der Steuerung hat man sich lange nichts überlegt. Die Simulation menschlicher Bewegung und Koordination bestand in einer maximalen Reduktion: Welt ist, was die Finger einer Hand auf den entsprechend konstruierten Controllern, Joysticks oder Joypads zu drücken, schieben und hämmern imstande sind. Seit den Urspielen Pong und Co. hat sich bis heute daran wenig geändert. Die vielfältigen, oft grobschlächtigen Bewegungen der Spielfiguren auf dem PC-Monitor oder Fernsehschirm werden übersetzt in winzige Bewegungen der Finger meist nur einer Hand.

Diese Übersetzungsleistung, mit der die Welt in die Hand genommen wird, hat zwar nahe liegende Vorbilder wie das Schreiben mit der Hand, der Schreibmaschine oder dem Computer. Ein wenig spielerischer als bei der A-B-X-Y-Tasten von Microsofts X-Box oder der Kreuz-Dreieck-Viereck-Kreis-Tastatur von Sonys Playstation hätte das Resultat jahrzehntelangen Nachdenkens der Ingenieure aber schon ausfallen können. Natürlich können einige Bewegungen leichter simuliert werden als andere. Autofahren z.B. funktioniert in der Realität und am Computer mit der Hand, entsprechend war eines der ersten Zusatzgeräte ein Lenkrad für die Montage auf dem Schreibtisch samt Verbindung zu Gas- und Bremspedalen darunter. Auch Verprügeln und Schießen wird von den meisten Leuten mit der Hand erledigt, weshalb Beat-’em-Ups, Ego- und sonstige Shooter auch so beliebt und realitätsnah sind. Bei Verrichtungen, die eindeutig nichts mit der Hand zu tun haben, wird es schon schwieriger. Laufen und Springen etwa. Jump-and-Run ist auch in der Wii-Welt sehr beliebt, die Beine des Spielers bleiben dabei aber unbewegt.

Und damit sind wir wieder beim Fußball angelangt, der statutengemäß auf den Einsatz der Hand zu verzichten hat. Hier tut sich die Wii – hergestellt in Japan, wo die Vorliebe für Baseball ebenfalls als Indiz für eine »taktile Gesellschaft« herhalten kann – besonders schwer. Zwar könnte man mit ihrem Controller drei der nicht zu unterschätzenden Hilfsmittel zum Torerfolg sehr gut simulieren: Rippenstoß, Leberhaken und Ellbogencheck. Mit der eigentlichen Fußarbeit aber sieht es schlecht aus. Während es vom handzentrierten American Football bereits ein Game für die Konsole gibt, existiert noch kein ernst zu nehmendes Fußballspiel.

Mit dem vor kurzem angekündigten »Wii Balance Board« könnte das ein wenig besser werden: Auf dem Brett soll man Yoga, Aerobic und andere Körperübungen machen können, die dann auf den Bildschirm übertragen werden. In Sachen Fußball wird ebenfalls etwas versprochen: Heftiges und rechtzeitiges Nicken soll eine Art Kopfballturnier simulieren. Für den Ball am Fuß wurde bisher allerdings noch nichts angekündigt.

Was daran schwer sein soll – ein Sensorband oder ähnliches, das man sich um den Fuß bindet –, ist nicht einzusehen. Vielleicht liegt es ja an den ungleich größeren Möglichkeiten, mit dem Fuß das Wohnzimmermobiliar zu zerstören, und der Angst vor entsprechenden Schadenersatzklagen. Die Vormachtstellung der taktilen Gesellschaft im Spielzimmer wird jedenfalls auch durch die Wii kaum beeinträchtigt.

www.wiidamage.com

de.wii.com