Die Profis der Mini-Utopie

Das »Camp for Climate Action« am Londoner Flughafen Heathrow war ein großer Erfolg. Zumindest für die britischen Umweltschützer, die das Thema Klimaschutz ganz oben auf die politische Agenda ihres Landes setzen wollen. Die Medienresonanz war groß und überwiegend positiv. Konkrete politische Vorschläge fehlten dagegen. von fabian frenzel

Auf der Straße parkt eine Reihe von Polizeibussen. Die Türen des ersten öffnen sich, als ich vor ihnen ankomme. Und dann stehen sie auch schon vor mir, drei Londoner Polizisten: »Ich werde Sie jetzt durchsuchen«, informiert mich einer. Auf welcher rechtlichen Grundlage, will ich wissen. »Paragraf 44«, sagt er. Dann geht es los. Freundlich anmutende Fragen nach meiner Herkunft (»Ist das ein südafrikanischer Akzent?«) werden gestellt, meine Hosentaschen und mein Rucksack durchforstet. Paragraf 44 des britischen Antiterrorgesetzes aus dem Jahr 2000 erlaubt es Polizisten, zur Vorbeugung gegen Terrorismus Passanten und Fahr­zeuge ohne konkreten Verdacht zu durchsuchen. Die Einsatzleitung muss die Anwendung des Para­grafen autorisieren. Nach Paragraf 44 gibt es keine Verpflichtung, sich auszuweisen oder Namen und Adresse anzugeben. Natürlich wollen die Ord­nungshüter beides dennoch wissen. Ich sage, ich wohne im Climate Camp, und ohne mit der Wimper zu zucken, schreibt es der Protokoll führende Beamte in den Durchsuchungsbericht. Das ist so gut wie jede andere Adresse. Nachprüfen kann er die Angaben ohnehin nicht, ein Melderegister gibt es in Großbritannien nicht.

Nieselregen, Flugzeuglärm, und nun noch eine Durchsuchung wegen Terrorverdachts – das erwartete nach vier Tagen Zelten, Workshops und Protest die meisten Teilnehmer auf ihrer Rückkehr vom Camp for Climate Action, das in der dritten Augustwoche am größten Flughafen Euro­pas stattfand. Protestiert wurde gegen den Aus­bau des Flughafens, diskutiert wurde über die um­weltschädliche Wirkung des Flugverkehrs im Allgemeinen. Im März 2008 soll in Heathrow ein neues Terminal eröffnet werden, für 2020 plant der Flughafen eine dritte Start- und Landebahn. Für deren Bau müssten möglicherweise Tausende Einwohner des nahe gelegenen Dorfes Sipson umgesiedelt werden.

Das Climate Camp hat nicht nur in der britischen Öffentlichkeit Schlagzeilen gemacht. Medienberichte in über 40 Ländern, Reporter und Ka­meras in Hülle und Fülle und Aktivisten, die halb stolz, halb perplex die Zahl ihrer Exklusiv­interviews verglichen. Was alle im Camp über­rasch­te, war, dass die Medienresonanz nicht nur erstaunlich groß war, sondern auch überwiegend positiv. »Der wichtigste Protest unserer Zeit«, titelte die linksliberale Zeitschrift New Statesman, der Independent beschrieb die Veranstaltung als »surreales Gemenge aus Glastonbury (Open-Air-Festival, Anm.d.Red.), einem naturwissenschaftlichen Seminar und einer Bürgerrechtsbewegung«. Im konservativen Daily Telegraph war zu lesen, wie wichtig es sei, am Camp teilzunehmen und gegen die Flugindus­trie zu demonstrieren.

Überall war in den vergangenen Wochen von einer »neuen sozialen Bewegung« die Rede. Das alles scheint ein wenig überraschend angesichts der Tatsache, dass maximal 1 500 Menschen in Heathrow zum Protestieren, Diskutieren und Demonstrieren zusammenkamen.

Der Ort ist einfach zu erreichen. Vom kleinen Dorf Sipson, das vom geplanten Ausbau des Flughafens bedroht ist, waren es 600 Meter zum Camp. Wagemutige Umweltschützer errichteten das Zeltlager auf einem Gelände des Londoner Imperial College, ohne dessen Einwilligung. Geschickt vermieden sie, dass bekannte Aktivisten von Sonder­einheiten verfolgt wurden, und kamen den 1 800 Polizisten, die speziell für das Climate Camp in Bereitschaft versetzt worden waren, zuvor. Jahrzehnte lange Erfahrung mit politischen Aktionen in den Grenzgebieten des britischen Rechts, gepaart mit einer Menge Spontaneität, kam hier zum Tragen. Sobald auf dem Gelände die ersten Zelte errichtet waren, wurde das Camp trotz illegaler Besetzung für die Polizei unantastbar. Für eine Räumung wäre ein richterlicher Beschluss erforderlich gewesen, und den zu bekommen, hätte länger als das Camp selbst gedauert. So jedenfalls die Erklärung, die für die Polizei an einer Tafel am Eingang des Camps aufgehängt wurde.

Die Leute in Sipson haben eine Menge Respekt vor den Umweltschützern. Überall im Dorf hängen die kleinen Plakate der lokalen Protestgruppe No Trag (No Third Runway Action Group) an den Laternen. No Trag kämpft seit sechs Jahren gegen eine dritte Landebahn, die der Betreiber des Flughafens, die British Airport Authority (BAA) und auch die britische Regierung bauen wollen. Flugverkehr ist eine Wachstumsbranche, fünf Mil­liarden Pfund erwirtschaftet der Flughafen im Jahr, das sind Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und eine Menge internationales Prestige. Und zweifellos platzt Heathrow bereits jetzt aus allen Nähten. Mit 67 Millionen Passagieren pro Jahr handelt es sich um den mit Abstand größten Flug­­hafen Europas, der mit 61 Millionen auch die meisten internationalen Passagiere hat. Lange Schlangen beim immer penibleren Sicherheitscheck, verspätete Flüge, verlorene Koffer sind an der Tagesordnung.

Doch der Bau einer dritten Landebahn bedeutet, dass Sipson vom Erdboden verschwinden würde. »Ich bin hier vor 40 Jahren hergezogen. Natürlich wusste ich, dass es Nachteile gibt, in der Nähe eines Flughafens zu wohnen, aber nun soll unser Haus, die Schule unserer Kinder, unsere Vergangenheit weggerissen werden«, sagt Lynne Davies. Mit anderen Dorfbewohnern baute sie im Camp zwei No-Trag-Zelte auf. »Wir sind den Aktivisten sehr dankbar«, erklärte auch John Oakes, ein anderer Dorfbewohner. »Sie schaffen eine Menge Aufmerksamkeit für unseren Kampf gegen die BAA. Alleine haben wir keine Chance.«

Ursprünglich wollte die BAA das Camp mit juris­tischen Mitteln verhindern. Mit einer richterlichen Anordnung, die die Umweltschützer als »die Mutter aller Verfügungen« bezeichneten, versuchte die BAA, Mitgliedern der das Climate Camp unterstüt­zenden Gruppen von vornherein jegliche Aktionen in der Nähe des Flughafens zu verbieten. Der Versuch der Kriminalisierung stellte sich als mediales Desaster heraus. Von nun an stand die BAA im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Kritik, galt als industrieller Goliath, der einen friedlichen Protest unterdrücken wollte. Und auch in der Sache ging die BAA beinahe leer aus: Der richterliche Beschluss gewährte nur eine sehr eingeschränkte Verfügung gegen die Kampagne »Plane Stupid«. Die Gruppe, die die Kampagne organisiert hatte, hatte im vergangenen Herbst die Rollbahn eines britischen Provinzflughafens besetzt und damit für erhebliche Verzögerungen im Flugverkehr gesorgt.

Solche Aktionen waren diesmal ohnehin nicht geplant. Von Anfang an hatten die Veranstalter verlauten lassen, keine direkten Aktionen auf dem Flughafengelände unternehmen und Passagieren keine Unannehmlichkeiten bereiten zu wollen. Im Camp wurde deutlich, dass diese Selbstbeschränkung nicht bloße Rhetorik, sondern Grundlage einer sorgsam zusammengesetzten Koalition ist.

Beim Workshop mit John Steward vom Heathrow-Anwohnerverband Hacan kamen verschie­dene Gruppen zusammen. Eine Sprecherin von No Trag bestand darauf, dass der Protest friedlich bleiben müsse. Ihre Gruppe werde vom Bezirksrat finanziell und politisch unterstützt. Dies sei in Gefahr, falls aus dem Camp »illegaler Protest« organisiert würde. Sie wolle sich nicht jahrelange Kampagnenarbeit zunichte machen lassen.

Dem widersprach Gene Bland aus dem Londoner Stadtteil Richmond, die mit Hacan zusam­men­arbeitet. Die gut gekleidete ältere Dame wirkt nicht gerade wie eine klassische Anarchistin. Doch sie sprach deutliche Worte: »30 Jahre lang habe ich friedlich und im Rahmen der Gesetze gegen die BAA protestiert, und es hat nichts gebracht. Es ist an der Zeit, mit direkter Aktion gegen die Firma vorzugehen!«

Die Frage der Aktionsformen bestimmte die De­batten im Camp und wurde mindestens so heftig diskutiert wie der Klimawandel selbst. Einerseits wurde gefordert, die positiven Reaktionen der Öf­fentlichkeit nicht durch »Aktionen« zu gefährden, die Passagiere in ihren Urlaubsreisen stören. Andererseits wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Medien gar nicht an Ort und Stelle wären, wenn das Camp nicht eine – zumindest implizite – Drohung darstellte, ein Drehkreuz globa­ler Mobilität lahmzulegen. Und was seien schon einige frustrierte Passagiere im Vergleich zu den Opfern der Klimakatastrophe?

An der Diskussion beteiligte sich auch der Unter­hausabgeordnete des lokalen Wahlkreises. John McDonnell ist ein prominenter Labour-Linker und erklärter Gegner der Erweiterung von Heath­row. Er hatte im Juni erfolglos gegen den neuen Premierminister Gordon Brown für den Parteivorsitz kandidiert. Das Climate Camp hat er offiziell in seinen Wahlkreis eingeladen. »In den vergangenen Jahren haben wir erkannt, dass unser lokales Anliegen in dem größeren Zusammenhang des Klimawandels steht. Man kann nicht beides haben, Erweiterung des Flughafens und Klimaschutz. Dieses Camp steht für ›global denken, lokal handeln‹.« Nicht alle haben das unbedingt so verstanden. »In anderen Teilen des Landes ist doch viel mehr Platz für Flughäfen als hier«, hatte ein Anwohner zuvor erklärt.

Die Journalisten Mark Lynas und George Monbiot gehören zu den prominentesten Publizisten der britischen Klimabewegung. Sie haben Bücher geschrieben mit apokalyptischen Titeln wie »Heat« und »Six Degrees: Our Future on a Hotter Planet«. Beide waren im Camp anwesend. Als Monbiot sprach, füllte sich das größte Zelt bis in die letzte Ecke. »Neue Forschungsergebnisse«, begann er, »machen alle bisherigen Pläne zur Reduktion von CO2 hinfällig. Wir brauchen über 100 Prozent Reduktionen, die es erfordern werden, größere Mengen an Biomasse wachsen zu lassen und dann zu vergraben.«

Er forderte Sonnenkollektoren für die Sahara, geothermische Kraftwerke in Island und Windfarmen in der irischen See, all dies verbunden in einem europäischen »Superstromnetz«. »Es tut mir leid«, sagte er wie in Erwartung von Widerspruch, »so sehr ich auch kleine Lösungen bevorzuge, wir brauchen jetzt große, sehr große Lösungen. Und um das zu ermöglichen, brauchen wir einen starken Staat.« Der zu erwartende Aufruhr unter den öko-anarchistischen Linken im Zelt blieb aus. Stattdessen gab es tosenden Beifall, und ein Hauch von Apokalypse legte sich über das versammelte Camp.

Der spontan entstandene Zeltplatz war selbst ein Ausdruck ökologischer Mini-Utopie. Pressevertretern wurde ein Rundgang angeboten. Da gab es die Solarzellen und Windturbinen, die das Camp mit Strom versorgten, das organische und vegane Essen, das weit weniger CO2 verursacht als Tierprodukte. Der Müll wurde recycelt, Abwasser und Fäkalien wurden vollständig kompostiert. Auf Chemieklos konnte man verzichten.

Bei sich selbst mit dem Klimaschutz anzufangen, war unter den Teilnehmern populär. Viele erklärten, sie wollten nicht mehr fliegen, vor allem nicht in den nächsten Urlaub. David Harvie vom Turbulence Collective griff das Thema am nächsten Abend auf. »Der Klimawandel ist nur im Kontext einer umfassenden Kapitalismus­kritik zu begreifen.« Die Krise, die auch von einigen Klimaschützern beschworen werde, sei im Kapitalismus nichts Neues. »Ähnlich wie schon die Ölkrise in den siebziger Jahren ist der Klimawandel eine Chance des Kapitalismus, sich zu erneuern.« Schlicht »Krise« zu rufen, könne den falschen Kräften in die Hände spielen. »Es ist ein Mythos, dass der Klimawandel alle gleich trifft. Wer reich ist, kann sich freikaufen und noch vom Klimachaos profitieren. Darauf laufen die marktwirtschaftlichen Lösungsstrategien jedenfalls hinaus.« Doch obwohl er individuellen Maßnahmen widersprach, wollte erneut keine Kontroverse im Zelt entstehen.

Um aktuelle Zusammenhänge herzustellen, wa­ren im Camp Bilder von Menschen in den überfluteten Gebieten Yorkshires und Gloustershires zu sehen, die in ihren Wohnzimmern bis zur Taille im Wasser standen. Die beiden Sommerfluten waren für viele Briten ein Anlass, die Dringlichkeit des Klimawandels zu unterstreichen. Und immer mehr Menschen nehmen wahr, dass die Regierung Brown in dieser Frage widersprüchlich handelt. Der Premierminister hatte bei seinem Amtsantritt den Klimawandel zu einem der dringlichsten politischen Probleme der Zeit erklärt und ihn als ein klassisches Beispiel für Marktversagen angeführt, das den Einsatz des Staats erfordere. Ein Gesetz über Klimaschutz wird derzeit beraten. Gleichzeitig will die britische Regierung Flughäfen ausbauen und auch neue Autobahnen und Kohlegruben eröffnen. Eine Studie des renommierten Tyndall Centre für Klimaforschung hat gezeigt, dass dieser Plan, CO2-Emissionen zu reduzieren, nicht aufgehen kann.

Für die Medien hatten sich die Klimaschützer einen schönen Aufmarsch ausgedacht. »Wir sind bewaffnet … mit wissenschaftlichen Fakten«, war auf ihren Plakaten zu lesen, daneben hielten sie die Zusammenfassung des Tyndall-Reports in die Luft. Dies war nicht nur eine Kritik der Anwendung von Terrorismusgesetzen auf die Demonstranten. Es zeigte auch die Nähe von Klimaforschung und Klimaprotest.

Angesichts der weit verbreiteten Unterstützung ist es vielleicht nicht erstaunlich, dass das Camp keine konkreten politischen Alternativen entwickelte. Es ging eher darum, die Dringlichkeit des Problems klarzumachen, insbesondere gegen machtvolle ökonomische Interessen. Das Schlagwort »Ein Nein und viele Jas« der Globalisierungs­kritik scheint auch hier Anwendung zu finden.

Dazu passt die Vielfalt der Anwesenden. Mehre­re Undercoverreporter der britischen Boulevardpresse mussten enttäuscht feststellen, dass vom erhofften »Camp Crusty« (Camp der Penner) keine Rede sein konnte.

Die Teilnehmer waren Studenten und Doktoran­den oder verfolgen bürgerliche Berufe und hatten für das Camp Urlaub genommen. Es gab kaum Berührungsängste der Gegenkultur mit dem System, dagegen professionelle Medienarbeit und politisches Kalkül. Ein wichtiger Teil dieser Vielfältigkeit waren die gezielten Regelverletzungen der direkten Aktion, die sich gegen die Repräsentanten der ökonomischen Interessen richteten.

Direkt an der nördlichen Grenze des Flughafens Heathrow ging das Camp mit einer 24stündigen Blockade des BAA-Hauptquartiers zu Ende. Auf dem Weg dorthin hatten sich 500 Leute durch ein Feld geschlagen und mit der »Fünf-Finger-Technik« Hunderte Polizisten umgangen. Die BAA sagte, sie habe ihre Angestellten nach Hause geschickt oder in andere Gebäude. Ansonsten gab es von der Firma – auch auf Nachfrage – keinen Kommentar.