Halluzinierter Sachverstand

Hokuspokusfidibus, schon wird aus einer legalen mexikanischen Salbeiart ein Arzneimittel oder, abrakadabra, sogar ein Betäubungsmittel. Die Bundesregierung will den Zaubersalbei verbieten. von ivo bozic
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Von den meisten Gesetzen, die im Bundestag verabschiedet werden, hat die Mehrheit der Abgeordneten keine Ahnung. Sie folgen in ihrem Abstimmungsverhalten den Empfehlungen der Experten ihrer Fraktion. Immerhin gibt es für die meisten Themen in den meisten Fraktionen einen so genannten Experten oder eine Expertin, oder sie haben zumindest einen Mitarbeiter, der als Experte gelten darf. Gern zieht man in Zweifelsfällen auch den Sachverstand von so genannten Sachverständigen zu Rate. Aber selbst wenn niemand eine Ahnung hat, bedeutet das noch lange nicht, dass Regierung und Parlament von einem Gesetzgebungsverfahren absehen.

Der gegenwärtige Versuch der Bundesregierung, die bisher legale pflanzliche Droge Salvia divinorum, auch Zauber- oder Wahrsagersalbei genannt, zu verbieten, ist ein besonders deutliches Beispiel für Handeln ohne Sachverstand. Der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen zufolge verfügt die Bundesregierung weder über Kenntnisse von Missbrauchsfällen, noch weiß sie etwas über das Gefährdungspotenzial dieser Naturdroge und sie hat auch nicht die leiseste Ahnung von der Zahl ihrer Anwender. Dennoch empfahl der offenbar ebenso ahnungslose Sachverständigenausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel ein Verbot des Zaubersalbeis durch seine Nennung im Betäubungsmittelgesetz. Als Begründung dient genau das, was offensichtlich nicht zu beweisen ist: angebliche Missbrauchsfälle, das Gefährdungspotenzial und eine wachsende Zahl von Nutzern. Im Eilverfahren will die Regierung nun darüber befinden, schnell, bevor womöglich tatsächliche Erkenntnisse ein solches Verbot erschweren könn­ten.

Denn eine toxische Wirkung des Zaubersalbeis ist nicht bekannt, ebenso wenig wie ein Suchtpotenzial, und in der einzigen ernst zu nehmenden Studie über seine Wirkung, die die Universitäten Barcelona und Madrid im Jahr 2006 veröffentlichten, nannten die befragten Konsumenten als negativste Begleiterscheinung seine viel zu kurze Wirkungsdauer. Je nachdem, ob man den Stoff raucht, lutscht oder in Form eines Gebräus zu sich nimmt, ist seine Wirkung zehn bis maximal 50 Minuten zu spüren. Dennoch ist Zaubersalbei nicht bloß ein harmloser Muntermacher oder Appetitanreger wie andere beliebte Freizeitdrogen. Das darin enthaltene Salvinorin A wirkt schon bei niedriger Dosis stark psychoaktiv, Konsumenten beschreiben die Effekte als stark bewusstseinsverändernd und halluzinogen. Einvernehmlich wird vor allem eine zweidimensionale Wahrnehmung der Umgebung geschildert, aber auch Vorstellungen, der eigene Körper zerfließe, falle auseinander oder verwandle sich in dieses oder jenes Objekt. Auch der Eindruck einer »Zeitreise« könne entstehen. Möglicherweise ist das nichts für Leute, die ohnehin psychisch labil sind, obwohl man nach dem Nachlassen der Wirkung wieder völlig klar im Kopf ist.

Heimisch ist die Pflanze in einem kleinen Biotop in Oaxaca in Mexiko, schon die Azteken sollen sich mit ihrer Hilfe in Trance versetzt haben. Heute gilt sie in den USA, Großbritannien und Europa als neue Trenddroge. Partytauglich sei sie jedoch nicht, warnen Anwender im Internet. »Leg dich auf ein Bett, bleib liegen, bis die Effekte wieder nachlassen«, heißt es in einem der vielen Online-Ratgeber. Die Wirkung sei mit keiner anderen bekannten pflanzlichen oder synthetischen Droge vergleichbar, auch nicht mit Halluzinogenen wie LSD, Meskalin oder Psilocybin.

Obwohl Konsum und Besitz der Pflanze bisher legal sind, laufen seit dem Jahr 2004 Gerichtsverfahren gegen Menschen, die mit Zaubersalbei gehandelt haben bzw. ihn importiert haben sollen. »In-Verkehrbringung eines gefährlichen, nicht zugelassenen Arzneimittels« lautet der Vorwurf. Für Tibor Harrach, Pharmazeut und Mitinitiator des Programms Drug-Checking in Berlin, der als Gutachter in zwei der Verfahren fungiert, ist schon der Tatvorwurf völlig absurd. Schließlich könne nicht die Rede davon sein, dass es sich bei Zaubersalbei um ein Arzneimittel handle. Nicht eine einzige therapeutische Wirkung sei bekannt. Der Name Salbei, der vom lateinischen »salvare«, also »heilen«, kommt, täuscht, denn im Unterschied zu den anderen Salbeiarten enthält Salvia divinorum keine ätherischen Öle mit heilender Wirkung. Die Bundesregierung hat dies in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen im Prinzip bestätigt.

Hinsichtlich der laufenden Strafverfahren folgert Harrach im Gespräch mit der Jungle World daher: »Hier hat man ein Genussmitteldelikt kreiert.« Und er fürchtet, dass ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte. Würde man alles, was körperliche und mentale Auswirkungen auf den Menschen hat, zum Arzneimittel erklären, wären Hunderte Stoffe betroffen, die in der Folge illegalisiert würden. »Im Grunde betrifft das auch die Tafel Schokolade«, sagt Harrach.

Ein Inhaber des Ladens »Elixier« im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg war 2004 zu seiner Über­raschung mit der Justiz in Konflikt geraten, weil auf dem Frankfurter Flughafen eine größere Men­ge Zaubersalbei aus Mexiko bei ihm gefunden wurde. Noch im Jahr 1997 waren bei einer Razzia in seinem Laden zwar diverse Dinge beschlag­nahmt worden, den Zaubersalbei hatte die Polizei dem 33jährigen jedoch unbeanstandet zurückgegeben. Sein Laden, der sich auf »entheobotanisch, entheogen und ethnobotanisch interessante Pflanzen« spezialisiert hat, ist inzwischen in die Niederlande ins Exil gegangen und vertreibt sein Sortiment vor allem über das Internet. Das Verfahren gegen den Händler befindet sich zurzeit in der dritten Instanz vor dem Oberlandesgericht.

In Deutschland wird Zaubersalbei nur noch von wenigen Headshops unter der Ladentheke verkauft oder aber als Zierpflanze in Gärtnereien, ansonsten läuft der Vertrieb übers Internet. Ihn selbst zu züchten, ist nicht so einfach, denn eine Aufzucht aus Samen gelingt Laien nur selten. Hat man hingegen einen Setzling, gedeiht die Pflanze auch im Zimmer vorzüglich. Sie braucht viel Wasser, aber relativ wenig Licht.

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Verbotsverfahren der Bundesregierung Erfolg haben wird, auch wenn die Kriterien für die Aufnahme des Zaubersalbeis ins Betäubungsmittelgesetz allesamt nicht erfüllt werden. Weder ruft sein Konsum eine Abhängigkeit hervor, noch ist eine Gefährdung der Gesundheit nachgewiesen. Einem »Missbrauch in nicht vertretbarem Ausmaß« widerspricht die Bundesregierung selbst, wenn sie erklärt, dass Studien »aufgrund der sehr geringen Konsumentenzahl« kaum durchführbar seien. Nicht einen einzigen Schadensfall kann das Gesundheitsministerium benennen. Doch wer angesichts des Verbots von Cannabis einerseits und der jährlich rund 50 000 Alkoholtoten in Deutschland andererseits immer noch an eine der Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnissen folgende Drogenpolitik glaubt, der ist ohnehin einer politischen Halluzination erlegen, wie sie wohl nur von einem Pfeifchen Zaubersalbei übertroffen werden kann.

Thema wird der Zaubersalbei übrigens auch bei der Tagung »Entheovision 2007« Ende September in den Hörsälen des Botanischen Gartens in Berlin sein, wo zahlreiche Drogenexperten außerdem über Themen wie »Fliegenpilze als Medikament«, westliches Schamanentum und Sex unter Drogeneinfluss diskutieren werden. Als »Outside-Workshop« wird eine »Kräuterwanderung« durch den Botanischen Garten angeboten. Zaubersalbei wächst dort allerdings nicht.