Regenbogen auf Halbmast

In den Niederlanden kommt es häufiger zu Angriffen auf Schwule und Lesben. Homosexuellenverbände beklagen, dass alleine migrantische Täter in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. von tobias müller, amsterdam

Beinahe eine halbe Million Menschen feierte Anfang August entlang der Kanäle die jährliche Grachtenparade der Amsterdam Gay Pride. Die 72 teilnehmenden Boote bedeuteten einen neuen Rekord, es war ein heißer Tag, so dass es auch in Lederstrapsen nicht zu kühl wurde – fast konnte der Eindruck entstehen, alles sei wie immer in der selbst ernannten gay capital.

Dass dem nicht so ist, davon zeugten die Plakate, die einen ungewohnt ernsten Ton in das hedonistische Happening trugen. Bei über 20 homophoben Übergriffen, die in diesem Jahr bisher allein in der Hauptstadt registriert wurden, muss es ein strukturelles gesellschaftliches Problem geben, das war Konsens unter den beteiligten Organisationen. Ungefragte Bestätigung erfuhren sie noch in derselben Nacht: Drei ausländische Paradenbesucher wurden auf offener Straße angegriffen und zum Teil schwer verletzt.

In den Niederlanden, weithin als Hort der sexuel­len Toleranz gerühmt, »ist die öffentliche Sicherheit von Lesben und Schwulen nicht mehr ge­währ­leistet«. Mit dieser Aussage hatte der Verein für die Integration von Homosexualität (COC) bereits im Juni Aufmerksamkeit erregt. Seitdem gab es weitere Übergriffe in Amsterdam, Den Haag und Nijmegen, wo während eines Stadtfests zwei Frauen, die sich küssten, attackiert wurden. Für den Vorsitzenden des COC, Frank van Dalen, sind die Ereignisse das Ergebnis einer längeren Entwicklung: »Bisher waren solche Tendenzen eher unterschwellig vorhanden. Man war zwar tolerant, aber nur, solange wir uns ›normal‹ verhielten. Und das bedeutet eben nicht, Hand in Hand herumzulaufen.« Schon das kann heute ausreichen, um auf dem Rückweg aus einem einschlägigen Club oder einer der Cruising Areas von einer zahlenmäßig überlegenen Gruppe deren Sexualmoral eingeprügelt zu bekommen. Nicht nur der COC warnt vor der Rückkehr des lange überwunden geglaubten Phänomens des »Schwulenprügelns«.

Dass landesweit rund 50 Prozent der Täter aus – meist marokkanischen – Migrantenfamilien stammen, reduziert die öffentliche Diskussion über die Übergriffe oft genug auf eine Frage von kulturellen oder religiösen Werten. Die Tageszeitung Trouw bemerkte unlängst, dass dieser Hintergrund es gerade den Rechten ermögliche, sich als Hüter der Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten zu inszenieren.

Van Dalen stimmt dieser Sichtweise jedoch nicht ganz zu: »Das Problem ist größer und betrifft die Gesellschaft als ganze.« Wer sich auf die 50 Prozent Täter mit ausländischer Herkunft kon­zen­triere, vergesse die andere Hälfte, und gerade bei dieser sieht er eine manifeste homophobe Einstellung. Den viel zitierten »allochtonen Jugendlichen« hingegen unterstellt er, auf der Suche nach ihrem Platz in einer ihnen feindlich gesinnten Gesellschaft eher vordergründig deren Symbole zu bekämpfen. Dass dabei kontinuierlich Äußerungen wie »dreckiger Homo« fallen, stützt diese These jedoch nicht gerade.

Doch die Schläger sind nicht die einzigen, die ethisch-moralische Liberalität als Verwahrlosung begreifen und ihr deswegen den Kampf angesagt haben. Seit Ministerpräsident Jan Peter Balken­ende im vergangenen Jahr im Wahlkampf damit begonnen hat, mit »Normen und Werten« Propaganda zu betreiben, haben nur wenige Parteien sich dieser Rhetorik verweigert. Die derzeit regierende sozialkonfessionelle Koalition ergibt sich aus diesem politischen Klima.

Die ChristenUnie vermag dabei, als Juniorpartnerin von Christ- und Sozialdemokraten, die Forderungen ihres Klientels durchzusetzen, wie et­wa das Recht von Standesbeamten, das Schließen einer gleichgeschlechtlichen Ehe zu verweigern. Passend dazu betitelte der Chefredakteur des Reformatorisch Dagblad zuletzt einen Kommentar zur Gay Pride Parade mit »Wie Sodom und Gomorrha« und nannte die Veranstaltung »gottlos und himmelschreiend«.