Auf dem hypnotischen Nagelbrett

Hart, krachig und verjunkt: Die Liars begeben sich auf eigenen Wegen in die musikalische Vergangenheit. von michael saager

Besonders auffällige Songs gehören an den Anfang oder ans Ende. Die Liars wissen das. Sie wissen außerdem, dass insbesondere der Schluss einer CD nicht nerven sollte. Dass man sich nach einem Bad in Metallsplittern mindestens auf einen flauschigen Bademantel freut. Oder dass man nach einer mitunter endlos anmutenden psychedelischen Reise in lichtarme musikalische Regionen ruhig versöhnt werden darf mit einem freundlich drogenschwangeren, von Velvet Underground inspirierten Kinderlied. Mit einem Stück wie »The Other Side Of My Heart Attack« zum Beispiel, dem letzten auf »Drum’s Not Dead« von 2006.

Ganz so wunderschön ist »Protection«, der letzte Song der neuen Platte der Liars, zwar nicht, aber seine Umgebung ist ja auch eine andere, dunklere, coolere. Auf »Protection« wechselt Sänger Angus Andrew von Strophe zu Refrain zwischen nachdenklicher Grabes- und erlöster Kopfstimme, und zu einem reduziert spielenden Drumbeat leiern sich Orgel- und Stringsounds in den Himmel.

Obgleich beide Songs einander in gewisser Weise ähneln – eines kann man den Liars nicht vorwerfen: Faulheit. Das vor ein paar Jahren auf Triogröße geschrumpfte ehemalige Quartett mit wechselnden Wohnsitzen in New York, L.A. und Berlin scheut die Wiederholung. Ob man, wie das in ihrem Fall gern getan worden ist, gleich von »Bandneuerfindungen« sprechen muss, steht auf einem anderen Blatt. Da die nächste Sensation im Popgeschäft eine Notwen­digkeit ist, bedeutet jeder Pups, den eine Band auf ihrer jeweils jüngsten Platte gerade nicht gemacht hat, dass sie sich wieder neu erfunden hat.

Andererseits: Der Schritt vom ersten zum zwei­ten Liars-Album war tatsächlich ein großer. Mit ihrem Debüt »They Threw Us In A Trench And Stuck A Monument On Top« von 2001 hatten sie sich direkt ins Herz des jungen New Yorker Neo-Postpunk-Hypes gespielt, nur um knapp drei Jahre später alle Erwartungen zu enttäuschen. »They Were Wrong, So We Drowned«, ein betont weirdes Walpurgisnacht-Konzeptalbum, kaprizierte sich auf strukturierten, perkussiven Lärm, hatte mit Melodien und einfachen zackigen Rhythmen nicht mehr viel im Sinn. Dabei hätten sie so groß werden können – für ein Jahr oder ein wenig länger.

Den Liars war’s recht. Sie wollten mit dem großen Popbusiness nichts zu tun haben, und so veröffentlichten sie 2006 »Drum’s Not Dead«, ihr bisher dichtestes und interessantestes Album. Die Musik darauf wirkt wie aus schweren Wolken gemacht, an deren Inneres man nicht wirklich herankommt – ein emotionaler Hy­brid aus Nähe und Distanz. Auf »Drum’s Not Dead« arbeiteten die Liars mit zwei Drumsets und zitierten flauschig, windschief und moderat lärmend zugleich mehrere Jahrzehnte Psychedelic – von Pink ­Floyd über Spacemen 3 bis zur Szene der Chicagoer Drone- und Ambient-Bands. Ein intensiver Trip.

Wenn eine Band wie die Liars, nur weil sie einige Platten eingespielt hat, die sich anhören wie aus einem Guss, ständig von Konzeptalben plappert, sollte man nicht hinhören. Der Begriff ist und bleibt korrumpiert durch all die naseweisen Progrockbands der Sechziger und Siebziger. Ihr schlicht »Liars« betiteltes neues Album hält die Gruppe indes für völlig unkonzeptionell, was vielleicht insofern einleuchtet, als es sich um eine relativ unverbundene Zusammenstellung von eigenständigen Songs handelt, die vor allem eines eint: ihr sehnsüch­tiger Blick auf eine Vergangenheit, die in den vergangenen Jahren ordentlich totgedudelt worden ist. Was die Liars in ihrer Jugend gerne gehört haben? Sie sagen: OMD, The Cure, Siouxsie And The Banshees.

Das hätte doller ins Auge gehen können, als es der Fall ist. Denn bei aller Gründlichkeit, mit der das Trio Erinnerungsspuren abfährt – der Wahnsinn der Liars wird auch hier gepflegt wie ein schnurrendes Riesenkätzchen, und es hat scharfe Krallen aus Metall. Kurz: Für ein Hitalbum ist »Liars« viel zu hart, zu krachig, zu verjunkt. Die Ruppigkeit der Produktion und das stoische Insistieren der Songs meist auf einem Thema erinnert zudem stärker an Sui­cide, The Jesus And Mary Chain und The Swans. Die böseren, kaltherzigeren Buben also. Und der Auftakt, wie könnte es anders sein, ist schlicht phänomenal: »Plaster Casts Of Everything« ist das gnadenlos hypnotische Nagelbrett für al­le, die etwas übrig haben für den abgefuckten Glamour, der in einer gelungenen Inszenierung körperlicher und geistiger Selbstzerstörung steckt.

Liars: Liars (Mute/EMI)