Prime Time Paranoia

Die ZDF-Reihe »Mythos und Wahrheit« hat sich des 11. Septembers angenommen. Das Ergebnis lautet: Es gab keine große Verschwörung, aber eine kleine. von markus ströhlein

Andreas von Bülow hat das erste Wort. Mit einer verklärten Miene, mit der sich auch antike Seher die Aura des geheimnisvollen Allwissenden gegeben haben müssen, raunt der ehemalige Bundesminister für Forschung und Technologie und mitt­lerweile nur noch als Verschwörungstheoretiker tätige Mann in die Kamera: »Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge.« Mit dem Krieg meint er die Invasionen der USA in Afghanistan und im Irak, das weiß man aus seinen Büchern. Die vorangegangene Lüge betrifft den 11. September 2001. Al-Qaida? Mohammed Atta, Ziad Jarrah und die anderen Attentäter? Von Bülow weiß es besser: Die CIA und der Mossad seien verantwortlich für die Anschläge.

Wer sich mit dem Geringen zufrieden gibt, dem dürfte genügen: Andreas von Bülow hat in der ZDF-Dokumentation »Mythos und Wahrheit: Der 11. September 2001« das erste, aber nicht das letzte Wort. Michael Renz und Guy Smith, die Autoren der Sendung, bestreiten nicht das Offensichtliche und hegen keinen Zwei­fel daran, dass islamistische Terroristen vor sechs Jahren beinahe 3 000 Menschen ermordet haben. Dem ZDF-Mitarbeiter Renz und seinem Kol­legen von der BBC, Smith, ging es jedoch nicht nur um bloße Berichterstattung. Sie recherchierten in den USA in einer hehren Mission, wenn man Guido Knopp, dem bekannten öffentlich-rechtlichen Geschichtsonkel und Leiter der Redaktion »Zeitgeschichte« des ZDF, glauben möchte. Als der 45 Minuten lange Dokumen­tarfilm in der vergangenen Woche der Presse vorgestellt wurde, schwang in Knopps Äußerungen beinahe väterlicher Stolz mit: »Uns ging es auch um Aufklärung. Die Dokumentation will vor allem den im Internet kursierenden Verdächtigungen entgegenwirken. Das ist den beiden Kollegen sehr gut gelungen.«

Welch hohem aufklärenden Anspruch die Sendung zum 11. September gerecht werden musste, zeigte der erste Teil der Reihe »Mythos und Wahrheit«. Bereits im Februar lief »Dianas Tod« und wartete mit der bahnbrechenden Erkenntnis auf: Die Ehefrau des britischen Thronfolgers Prinz Charles starb in einem Verkehrsunfall. Das ist seit zehn Jahren bekannt und, ohne den Toten übel nachreden zu wollen, für das Weltgeschehen recht belanglos. Die 20 Prozent der Deutschen, die nach Angaben des ZDF nicht glauben wollen, dass das Zusammenspiel eines betrunkenen, zu schnell fahrenden Chauffeurs, nicht angeschnallter Insassen und eines Betonpfeilers tödlich enden kann, dürften auch nach einer solchen Sendung nicht bekehrt sein. Aber die angekündigten »neuesten Erkenntnisse« könnten sie zumindest vor den Fernseher gelockt haben.

Die Mischung aus Boulevard, marktschrei­erischem Sensationalismus und scheinbar seriöser journalistischer Arbeit und geschichtswissenschaftlicher Methode liefern auch Renz und Smith in ihrer Dokumentation. Wer all die Sendungen kennt, die in ihrem Namen das Wort »Wissen« tragen, kann sich nicht nur den Inhalt des Beitrags im ZDF ausmalen. Auch optisch unterscheidet die Reihe »Mythos und Wahrheit« nichts vom einschlägigen »Infotainment« der Privatsender. Man hat sich ein Logo ausgedacht, das in grün leuchtenden Buchstaben vor einem schwarzen Hintergrund in etwa so geheimnisvoll aufblitzt, als künde es von einer Schnitzeljagd. Fadenkreuze durchzucken das Dunkel. Ein grün eingefärbtes Auge schwebt durch das schwarze Bild. Warum auch nicht? Ein den Spannungsaufbau unterstützendes Streichorchester geigt dem Zuschauer unablässig ins Ohr, kann aber auch nicht ausgleichen, was Bild und gesprochenem Ton fehlt.

Die Ausführungen zum 11. September waren vom ZDF recht großspurig angekündigt worden. Die Autoren hätten verschiedene Verschwö­rungs­theorien verfolgt und seien zu brisanten Ergebnissen gekommen. Von »völlig neuen, mit harten Fakten belegbaren Hintergründen« sprach Renz aus Anlass der Präsentation seines Films. Die große Offenbarung stellte sich dann so dar: Der Brandschutz in den Twin Towers wurde vernachlässigt. Deshalb stürzte vor allem der Südturm so schnell ein. Diese Erkenntnis war deshalb derart neu und exklusiv, weil man nicht zur Kenntnis genommen hat, dass der Sender Vox am 9. September, also zwei Tage vor der ZDF-Sendung, eine BBC-Dokumentation mit dem gleichen Tenor ausstrahlte.

Um die Erkenntnisse dem Zuschauer nahe zu bringen, kommen in Renz’ Film ein Brandschutz­gutachter, der ehemalige Leiter der Feuerwehr in Manhattan, ein Armeepilot oder auch ein US-Luftwaffenexperte zu Wort. Auf Videoaufnahmen ist der dünne Brandschutz oder sein Fehlen auf den Stahlträgern der Hochhäuser zu sehen. Aber mitreden dürfen auch Andreas von Bülow, Dylan Avery, der Urheber des Verschwörungsfilms »Loose Change«, und der US-amerikanische Publizist Alex Jones, der die Ereignisse in New York mit dem von den Nationalsozialisten fingierten, vermeintlich polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz gleichsetzt. Am Ende stellen die Filmemacher die Erkenntnis vor, auf die man einzig nur kommen kann: al-Qaida hat einen Massenmord begangen. Um zu diesem Schluss zu gelangen, werden aber die Argumente der auftretenden Experten den Gespinsten der Konspirationisten gegenübergestellt, wird abgewägt, wo es nichts Gleichwertiges abzuwägen gibt. Das Verdienst der Sendung ist nicht, den mangelnden Brandschutz der Twin Towers aufgedeckt, sondern das paranoide Unken der Verschwörungstheoretiker zur besten Sendezeit als diskutabel dargestellt zu haben.

Nach der Präsentation des Films konnte man einen verwunderten Guido Knopp sehen. Erstaunlich sei es, dass etwa 40 Prozent der deutschen Jugendlichen die US-Regierung hinter den Anschlägen vermuteten, gab er sich verblüfft. Wem von Bülow, Avery und Jones diskussionswürdig erscheinen, der kann eben keinen Begriff von Verschwörungstheorien und ihrer sozialpsychologischen Funktion haben. Und wem zum 11. September nur Brandschutzbestimmungen und der Schmelzpunkt von Stahlträgern einfallen, der kann die Ereignisse des Tages wohl kaum politisch beurteilen.

Die große Verschwörung, so Renz und Smith, gab es jedenfalls nicht. Eine kleine zumindest hat der deutsche Autor aber ausgemacht. »Es gibt eine Verschwörung der amerikanischen Re­gierung nach dem 11. September«, sagte der Filmemacher vor Pressevertretern. Die Bush-Ad­mi­nistration müsse doch ein großes Interesse daran haben, die lästigen Theorien aus der Welt zu schaffen, offizielle Stellen hätten sich während seiner Recherche aber nicht sehr kooperativ verhalten, gab Renz weiter an. Dass ei­ne Regierung das Versagen der Geheimdienste und des Militärs beim Schutz der Bürger nicht herausposaunen möchte und ein deutscher Journalist nicht zum vertraulichen Plausch ins Oval Office geladen wird – einfach unglaublich!

Fortgesetzt wird die Reihe »Mythos und Wahr­heit« am kommenden Dienstag. Auch der Beitrag zum Mord an John F. Kennedy kann mit unglaublichen Einsichten aufwarten. Zwei Schützen waren an der Tat beteiligt. Vielleicht. Die Mafia gab den Auftrag. Unter Umständen. Dass man eben doch nichts Genaues weiß, ist aber auch sehr dienlich: Es hält das journalistische Geschäft mit den Verschwörungstheorien am Laufen.