Überleben durch Öffentlichkeit

Gildardo Tuberquía ist ein Botschafter des »anderen Kolumbien«. Er reist kreuz und quer durch Deutschland, um auf die schwie­rige Situation der Friedensdörfer aufmerksam zu machen. Die gelten als ­pazifistische Alternative mitten im Krieg. von knut henkel

»Der einzige Schutz, den wir haben, ist die Präsenz der internationalen Freiwilligen. Die wirken wie lebendige Schutzschilde, und nur vor denen haben die bewaffneten Akteure Respekt«, erklärt Gildardo Tuberquía. Der kleine, drahtige Mann ist einer der Sprecher der Friedensgemeinde von San José de Apartadó und tourt derzeit durch Deutschland und Europa, um auf die verzweifelte Situation dieser und anderer Friedensgemeinden in Kolumbien aufmerksam zu machen. »Wir wehren uns dagegen, von den bewaffneten Akteu­ren instrumentalisiert zu werden«, sagt der 31jäh­rige Mann und reibt die kräftigen, von Schwielen bedeckten Handflächen gegeneinander. Tuberquía ist Bauer und will nichts anderes, als in Ruhe und Frieden sein Land bestellen. Doch da­zu kommt er nur sehr sporadisch. Als einer von zehn gewählten Vertretern der Friedensgemeinde ist er öfter auf Achse, als ihm lieb ist.

Dazu gibt es keine Alternative, denn das rund 1 400 Köpfe zählende Dorf kämpft genauso wie die anderen Friedensgemeinden in Kolumbien ums Überleben. Zwischen 20 und 50 dieser Friedensdörfer gibt es Menschenrechtsorganisationen zufolge in Kolumbien. San José de Apartadó ist das älteste und bekannteste. »Wir sitzen zwischen allen Fronten, denn rund um unser Dorf sind sowohl Guerillaeinheiten als auch Paramilitärs, Armeeverbände und die Polizei präsent.« Von den bewaffneten Akteuren des Bürgerkriegs haben die Bauern der Friedensgemeinde in der Regel nichts Gutes zu erwarten. »Seit wir uns am 27. März 1997 für neutral erklärten und San José de Apartadó zum ersten Friedensdorf Kolumbiens machten, wurden 180 Gemeindemitglieder ermordet«, sagt Tuberquía und blickt traurig zur Seite. 15 Gemeindevertreter sind unter diesen Toten, und auch er steht auf so mancher Todesliste.

Am 1. September, als Tuberquía den Aachener Friedenspreis bekam, starb ein weiteres Mitglied der Friedensgemeinde. Der 19jährige Bauer Alfonso de Jesús Bedoya Florez wurde, so steht es auf der Homepage des Verein Aachener Friedenspreis, von der 17. Brigade der kolumbianischen Armee gefoltert und ermordet. Kein Einzelfall. »Immer wieder hat die Armee Mitglieder der Gemeinde ermordet und sie anschließend in eine Uniform gesteckt, um sie als im Kampf gefallene Mitglieder der Farc-Guerilla zu präsentieren«, erklärt Tuberquía mit tonloser Stimme. Sich zu beherrschen hat der in San José de Apartadó aufgewachsene Mann gelernt.

Seit etlichen Jahren arbeitet er als gewählter Vertreter für die Gemeinde, zunächst bei der Organi­sation des alltäglichen Lebens, beim Anbau wie beim Hausbau, und seit einiger Zeit immer öfter auch als Botschafter der Gemeinde im Ausland. Besonnen und ruhig muss er dann auftreten, denn Hilfe im Inland hat das Dorf kaum zu erwarten. Keiner der 180 Morde an Gemeindemitgliedern wurde bislang aufgeklärt. Auf die weit reichende Straflosigkeit, den ausbleibenden Schutz für die eigene und die anderen Friedensgemeinden will der Botschafter des »anderen Kolumbien« aufmerksam machen. Einen Monat wird der Vater von drei Kindern deshalb durch Deutschland und Europa touren.

»Ohne die kontinuierliche Aufmerksamkeit aus dem Ausland hätten wir kaum eine Chance zu überleben«, erklärt Tuberquía. Erst im August waren mehrere Botschaftsvertreter in dem Friedensdorf nahe der Grenze zu Panama zu Besuch, doch ungleich wichtiger ist die ständige Präsenz der internationalen Freiwilligen von den Peace Brigades International und der Fellowship of Reconcilia­tion. »Ohne die hätten die Paramilitärs schon lange mit uns Schluss gemacht«, sagt Tuberquía.