Ten German Bombers

Battle reenactment, das spielerischen Nachstellen historischer Konflikte, ist in Großbritannien ein weit verbreitetes Hobby. Bei der Darstellung von Kämpfen im Zweiten Weltkrieg ist die Rolle des deutschen Soldaten sehr beliebt. Das habe nichts mit Politik zu tun, versichern die Teilnehmer. Sie betonen den angeblich rein spielerischen und »didaktischen« Charakter der Veranstaltungen, die sich als Teil der ­Living-History-Bewegung verstehen. Was dem Publikum dabei angeboten wird, hat mit Geschichte allerdings wenig zu tun: Waffen, Bier und Nazi-Propaganda.

Der Angriff kommt aus dem Hinterhalt. Die Maschinengewehre der 1. SS-Panzerdivision »Leibstandarte Adolf Hitler« haben freies Schussfeld, die Hand voll englischer Soldaten – an den flachen Helmen zu erkennen –, die hinter dem Wall eines Schützengrabens Stellung hält, stirbt im Kugelha­gel der von hinten anrückenden Deutschen. Nach­dem sie die Leichen der überwältigten Engländer achtlos zur Seite geräumt haben, machen es sich die Eroberer im Schützengraben bequem. Für kur­ze Zeit bricht idyllische Ruhe über die saftiggrüne englische Landschaft herein. Doch die Stille trügt. Aus der Ferne nähert sich bereits die Gegenoffensive der amerikanischen Artillerie, mehrere Panzer bahnen sich ihren Weg über die grüne Wiese in Richtung der deutschen Stellung. Auch englische Bodentruppen mischen sich wieder in das Gesche­hen. Auf halber Strecke wird das Feuer eröffnet. Granaten detonieren mit gewaltigem Krach. Rauch­wolken verdüstern die Szenerie. Für Momente ist nur dumpfes Grollen zu hören. Auf Seiten der Deut­schen werden Panzerabwehrgeschütze panisch in Stellung gebracht. Maschinengewehrsalven bellen, Handgranaten werden geworfen. Was folgt, ist ein zehnminütiges Sterben. Auch die Angreifer erleiden jetzt sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von einem Maschinengewehr umgelegt, Körper sacken zusammen. »Blow them up, British!« und »Come on, you lads!« tönt es anfeuernd aus dem Publikum. Erleichtertes Jubeln, als sich schließlich ein britisches Kampfflugzeug der Szenerie nähert und den deutschen Stützpunkt aus der Luft angreift. Bald ist es um die Stahlhelme geschehen. Wer noch lebt, wird erschossen oder muss sich er­geben. Begeistert applaudiert das Publikum den Siegern.

Diese nicht ganz realistische Darstellung einer Schlacht des Zweiten Weltkriegs ist Haupt­attrak­tion der Victory Show, eines zweitägigen Spektakels in der englischen Grafschaft Leicestershire. Ganze Familien haben es sich mit Picknickdecken am Rande des Schlachtfelds bequem gemacht, betagte Kriegsveteranen verfolgen das Geschehen auf mitgebrachten Campingstühlen; Angehörige der britischen Armee stehen mit Bier und Hotdogs herum. Die Veranstaltung ist eines von vielen Living-History-Ereignissen, die den Sommer über fast jedes Wochenende in England stattfinden. Eine große Szene so genannter reenactment groups trifft sich hier, um Geschichte für ein Pub­likum »lebendig« zu machen und dabei gleichzeitig ihrem Hobby, dem »Erleben von Geschichte«, nachzugehen. Ihr Anliegen ist die möglichst akkurate Darstellung von Angehörigen bestimmter historischer Epochen und ihrer Lebensumstände. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei militärische Verbände.

Die Victory Show ist ausschließlich dem Zweiten Weltkrieg gewidmet, einer Epoche, der sich ohnehin die Mehrzahl der in England existierenden reenactment groups verschrieben hat. Beim Schlendern über das Veranstaltungsgelände bietet sich dem Besucher ein finsterer Anblick: Neben englischen, amerikanischen und russischen Militäreinheiten präsentieren sich – trotz des Titels der Veranstaltung – mehrheitlich deutsche Kampf­verbände. Die 1. SS-Panzerdivision heißt hier »Second Battle Group Leibstandarte Adolf Hitler«, die zusammen mit der »Panzer-Aufklärungs-Abteilung Großdeutschland« die zahlenmäßig größte Gruppe bildet. Außerdem gibt es Einheiten der Fallschirmjäger, Gebirgsjäger, Feldgendarmerie und Waffen-SS. Auch die »Division Herman Göring« sowie die Hitlerjugend sind vertreten. Die Mitglieder der jeweiligen Gruppen tragen originalgetreue Uniformen inklusive Hakenkreuze und SS-Runen.

Auf dem Gelände haben sie voller Hingabe die Lebensumstände an der Front nachgestellt: Dreck­­­verkrustete Soldaten hocken in ausgehobenen Schützengräben, feiste Oberfeldwebel sitzen in Feldlagern herum und trinken Bier aus alten Schnappverschlussflaschen; Krankenschwes­tern umsorgen blutverschmierte Soldaten in Feld­lazaretten, in Feldküchen wird Mittagessen zubereitet.

Am Rand sind Panzer und andere Militärfahrzeuge aufgereiht. Stolz präsentiert ein junger Soldat in SS-Uniform dort auch Original-Maschinengewehre und Handgranaten. Auf die Frage, ob er an der Schlacht teilgenommen habe, erwidert er augenzwinkernd, dass an diesem Wochen­ende leider zu viele »deutsche« Gruppen da seien: »Es können ja immer nur einige mitspielen, wir hatten diesmal das Nachsehen«, sagt er in breitem schottischen Dialekt. Der junge Mann wirkt eigentlich ganz nett; was treibt ihn bloß dazu, in eine derart finstere Uniform zu steigen? Als Brite einen Nazi zu spielen? »Krieg kehrt doch bei allen beteiligten Parteien die dunkelsten Seiten hervor, die Alliierten haben genauso Dreck am Stecken«, winkt er ab. »Militärgeschichtlich sind die Deutschen einfach interessanter, vor allem was Waffen und Ausrüstung betrifft. Die mussten schließlich nach dem Ersten Weltkrieg alles abgeben. Im Zweiten Weltkrieg hatten sie dann eine vollständig neu entwickelte Ausrüstung, während die anderen ja ihre alten Waffen weiter benutzt haben.« Er habe sich schon als Junge für den Zweiten Weltkrieg interessiert. »Es ist einfach ein Hobby.«

Ein paar Meter weiter hat die Gruppe »Großdeutschland« ihre Zelte aufgeschlagen. In einem führt Geenie mit rötlichem Haar und strahlend blauen Augen alte Radio- und Funkgeräte vor. Sie trägt ein strenges grünes Kostüm. Offenbar in Plauderlaune erzählt sie, dass sie die deutschen Uniformen liebt. Ihre habe sie aus Originalmate­rial akribisch genau nachgenäht: »Die sind doch viel schicker als die der Engländer.« Auch privat trage sie gerne Dirndl, »die Deutschen haben einfach einen guten Geschmack«. Der Grund für ihren Beitritt zur Gruppe vor zwei Jahren seien jedoch nicht die schmucken Uniformen gewesen, sondern der Grund sei ihr Partner, der schon seit mehreren Jahren dabei ist. »Jetzt ist das eben unser gemein­sames Hobby. Wir sammeln alles, was uns aus der Zeit in die Hände kommt, vor allem Radios.« Fündig werde sie bei Ebay und auf Veranstaltungen wie dieser. »Wir sind fast jedes Wochenende unterwegs. Mittlerweile kennen wir die gesamte Szene. Eine richtig tolle Gemeinschaft«, sagt sie und fügt stolz auf Deutsch hinzu: »Kame­radschaft«. Nein, Berührungsängste habe auch sie nicht. »Das ist doch alles schon so lange her. Es geht doch auch nicht um Politik, sondern darum, die Geschichte am Leben zu erhalten.« Sie sei schließlich Geschichtslehrerin. Angesprochen darauf, warum denn trotz des Anspruchs auf eine möglichst authentische Darstellung der Geschich­te Kriegsverbrechen und Holocaust keine Erwähnung fänden, wehrt sie ab und beschreibt dabei treffend die Philosophie der Veranstaltung: »Der Krieg und der Holocaust haben doch nichts miteinander zu tun. Und Kriegsverbrechen haben alle begangen.« Sie freue sich schon auf den Tanz abends im Bierzelt. Es würde immer gut gefeiert in der Szene. Vor kurzem habe sogar ein Paar fest­lich geheiratet.

Diese Hochzeit in Uniform hatte in den britischen Medien für Schlagzeilen gesorgt. Nein, geschmacklos findet Geenie das nicht: »Das sind ganz anständige Leute.«

Geschmacklos fand das allerdings das BBC-Politmagazin »Panorama« und ging vor wenigen Wochen dem Phänomen der NS-Reenactorszene in einer Sendung nach. Der Reporter John Swee­ney berichtete aus der War and Peace Show im süd­englischen Kent, wo die Schlacht in der Normandie nachgespielt wurde. In dem Beitrag wurden einige Personen als rechtsextrem eingeschätzt, auch wurde die Unterwanderung einiger Gruppen durch Neonazis nachgewiesen. Zu dieser Beurteilung führten abends im Bierzelt mit versteckter Kamera aufgenommene einschlägige Aus­sagen. Der Beitrag deckte außerdem die Anwesenheit von David Irving auf, der gerade aus der Haft in Österreich entlassen wurde, nachdem er dort als Holocaust-Leugner verurteilt worden war. Der Handel mit NS-Devotionalien, darunter Gegenstände aus Konzentrationslagern, wurde ebenso dokumentiert.

Ein Skandal blieb jedoch aus. Das öffentliche Tragen und Zurschaustellen von NS-Symbolen ist in England, anders als in Deutschland, nicht verboten. Dass sich die britische Öffentlichkeit von derlei Vorkommnissen nicht großartig aus der Fassung bringen lässt, zeigte bereits vor zwei Jahren die »Wüstenfuchs-Uniform«, mit der Prinz Harry auf einer Verkleidungsparty aufgetaucht war. Der Vorfall wurde als weitere unreife Handlung des königlichen enfant terribles abgetan. In unzähligen Kostümverliehen finden Nazi-Outfits weiterhin reißenden Absatz.

Nach erregten Protesten von Mitgliedern der Reenactment-Szene, die sich durch den BBC-Beitrag pauschal als »Nazis« diffamiert fühlten, musste der Sender öffentlich klar stellen, dass »die Mehr­heit der Mitglieder deutscher Reenactment-Gruppen kein Interesse an und keine Sympathie für die Nazi-Ideologie« hätte.

Inwieweit dies wirklich der Fall ist, bleibt schwer einzuschätzen.

Die zahlreichen Open-Air Veranstaltungen der Living-History-Bewegung vermitteln zunächst einmal den Eindruck eines Treffpunkts für eine militärbegeisterte Szene.

Karl ist seit vier Jahren bei »Großdeutschland« dabei. Im richtigen Leben arbeitet er als Spielzeug-Ingenieur und ist in Teilzeit bei der englischen Armee beschäftigt. Im vergangenen Jahr war er eine Zeit lang im Irak stationiert, im Frühjahr wird er in Afghanistan eingesetzt werden. Es ärgert ihn, dass die Szene in der Öffentlichkeit seit dem Beitrag als rechtsextrem verschrien ist. »Wir versuchen, Politik weitestgehend aus den Gruppen herauszuhalten. Fast alle Gruppen haben groß in ihren Statuten stehen, dass sie keine extremen politischen Ansichten in ihren Reihen dulden. Politik ist Privatsache«, sagt er und räumt ein, dass es aber schon sein könne, dass einige Mitglieder politisch eher dem rechten Flügel zuzuordnen seien. »Das kann doch aber nicht alle in Misskredit ziehen. Für die meisten ist es einfach ein harmloses Hobby. Wir haben auch eine Familie in der Gruppe«, sagt er und deutet auf zwei Jungen, die mit einer Panzerfaust in einem Erdloch hocken. Er sei bereits seit sechs Jahren aktives Mitglied, erklärt der Ältere der beiden, ein Zehnjähriger, der eine Hitlerjugend-Uniform trägt, altklug. Anschließend setzt er zu einem Mo­nolog über deutsche Waffen an.

Auch die sonstigen Anwesenden auf der Victory Show geben mehrheitlich einen skurrilen Anblick ab. Unter den Besuchern erfreut sich bei Groß und Klein der Camouflage-Look großer Beliebtheit: Kinder sind mit Maschinengewehren und anderen Spielzeugwaffen ausgerüstet. Erwachsene Männer führen riesige ferngesteuerte Panzer spazieren. Es handelt sich um originalgetreu nachgebaute Modelle, wie einer der Männer stolz erklärt.

Auf einem Marktplatz gibt es alle erdenklichen Militaria zu erwerben. Einige Händler haben sich auf deutsche Waren spezialisiert. Unifor­men, Abzeichen, Waffen, Schriftstücke und Fotos, alles im Original, werden ebenso feilgeboten wie brandneue T-Shirts und Bierkrüge mit Aufdrucken der Waffen-SS und des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour.

Am Pommesstand hält sich eine Gruppe junger Fallschirmjäger auf. »Ein bisschen Luxus muss auch mal sein«, erklärt der Gruppenleiter grinsend. Nach zwei Tagen im Feldlager könnten sie das selber zubereitete Essen eben nicht mehr sehen. »Obwohl es eigentlich schon darum geht, möglichst wie damals zu leben.« Deswegen übernachten sie auch im Lager und nicht etwa im Hotel. Alle Mitglieder habe ein genuines historisches Interesse in die Gruppe geführt. »Und möglicherweise auch eine jungenhafte Faszina­tion am Kriegspielen«, fügt er augenzwinkernd hinzu. Mehrmals im Jahr treffen sie sich mit anderen Gruppen – »Amerikanern«, »Engländern« oder »Russen« –, um auf privat angemietetem Grund tagelange Kämpfe auszufechten. Im Gegensatz zu den Vorführungen auf Veranstaltungen wie dieser sei deren Ausgang dabei nicht festgelegt. »Da können wir dann auch mal gewinnen.« Die Auszeichnungen auf ihren Uniformen seien allesamt in diesen privat organisierten Kämpfen erworben. Als Gründe für ihre Entscheidung, ausgerechnet eine deutsche Einheit zu verkörpern, nennen auch die Fallschirmjäger ihre Faszination für die besseren Waffen und schickeren Uniformen. »Vielleicht ist es auch einfach so, dass es mehr Spaß macht, die bad guys zu spielen. Wer will schon bei ›Räuber und Gendarm‹ den Gendarmen spielen?« fügt einer hinzu. Mit politisch rechter Gesinnung habe das nichts zu tun. Im Gegenteil, in der Gruppe gebe es auch jemanden mit jüdischem Hintergrund. Ein anderer betont: »Wir sind uns der Sensibilität des Themas voll bewusst und versuchen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Wir werden auch immer wieder zu Veranstaltungen englischer Kriegsveteranen eingeladen. Diesen Sommer haben wir als Gruppe an den Feierlichkeiten zum Jahrestag des D-Day in der Normandie teilgenom­men. Wir begreifen uns als Teil der Living-History-Bewegung.« Im Januar werden einige von ihnen an einer Fahrt nach Russland teilnehmen, die von einem Veranstalter in Finnland organisiert wird. Neben Geschichtsunterricht wird es auch die eine oder andere Schlacht nachzuspielen geben.

Michael hat schon mehrere dieser Fahrten mit­gemacht. Er gehört einer Gruppe an, die eine Ein­heit der Roten Armee verkörpert. Dass hier auch Frauen Mitglieder sein können und er daher seine beiden Töchter in die Gruppe holen konnte, war nicht allein ausschlaggebend bei seiner Auswahl einer Gruppe: »Natürlich spielt da auch politische Affinität eine Rolle. Und ich fühle mich da eben eher den Roten nahe.«