»Unsere Omas durften auch Kamel reiten«

Wajeha al-Huwaider, Gründerin der League of Demanders of Women’s Right to Drive Cars

In Saudi-Arabien herrscht strikte Ge-schlechtertrennung­. Zwar dürfen Frauen studieren und fast jeden Job außerhalb staatlicher Institutionen übernehmen, doch die Kommunikation im Hörsaal oder am Arbeitsplatz läuft über Bildschirme. Mit Sätzen wie »Es ist tausend Mal besser, eine alte Jungfrau zu bleiben, als einen Araber zu heiraten« sorgt Saudi-Arabiens prominenteste Feministin Wajeha al-Huwaider­ immer wieder für Aufsehen in der streng religiösen Gesellschaft des Ölstaats­. Sie ist Journalistin und Poetin und wurde mehrmals mit Publikations- und Ausreise­verbot belegt. Am Sonntag reichte sie bei König Abdullah eine Petition­ ein, in der gefordert wird, den Frauen endlich das Autofahren zu erlauben. interview: doris akrap

Am Sonntag hat Ihre Organisation König Abdullah eine Petition vorgelegt, in der zum ersten­ Mal eine Frauengruppe ihr Recht einfordern, Auto fahren zu dürfen. Was haben die Saudis gegen Frauen am Steuer?

Alles was neu ist, wird hier erstmal abgelehnt. Was glauben Sie, was hier los war, als die Fahr­räder­ in unser Land kamen? Oder das Satellitenfernsehen, die Mobiltelefone und die allgemeine Schulbildung. Erst 1966 kam König Faisal zu der Entscheidung, die Schultore für Frauen zu öffnen, auch wenn immer noch die Familie entscheidet, ob sie ihre Mädchen zur Schule schickt. So wird es auch mit dem Autofahren sein. Irgendwann wird der König seine Zustimmung erteilen, und dann werden die Saudis lernen müssen, damit umzugehen. Unsere Omas durften schließlich auch Kamel reiten. Wenn wir etwas für unsere Rechte tun wollen, dann müssen wir uns zuallererst frei bewegen können, auch in öffentlichen Gebäuden. Bis heute darf keine Frau ein Regierungsgebäude betreten, geschweige denn dort alleine ihren Pass beantragen.

Warum ist Saudi-Arabien das einzige Land der Erde, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen?

Es handelt sich ja nicht um ein Gesetz. Das Verbot resultiert aus einer strengen Interpretation des Koran durch unsere geistlichen Oberhäupter, die vorgibt, dass sich eine Frau in der Öffentlichkeit nur mit einem männlichen Bewacher bewegen darf. Die meisten Geistlichen waren früher Beduinen. Als sie in die Stadt kamen, verloren sie ihr altes Leben und versuchten, diesen Verlust durch die Kontrolle der Frauen zu kompensieren. Die religiösen Beduinen verbanden eine strenge Auslegung der Religion mit alten Traditionen. Das sind die Leute, die heute die Religionspolizei und die religiösen Gerichte besetzen. Diese Diskriminierung der Frau hat also weniger religiöse als soziale Ursachen. Die einzigen Frauen, die in unserem Land freie Fahrt haben, sind im Übrigen ausgerechnet die Beduinenfrauen. Sie fahren mit dem Auto in der Wüste umher, weil sie sonst nicht von einem Platz zum anderen kommen würden. Sie leben außerhalb der Stadt und außerhalb des Gesetzes.

In Saudi-Arabien kam es nur einmal zu einer öffentlichen Protestaktion von Frauen, und die hatte auch mit dem Autofahren zu tun.

Sie meinen sicher den 6. November 1990, als eine Gruppe von 50 Frauen sich einfach ein paar Autos schnappte und eine Spritztour durch die Stadt machte. Das war die erste Aktion, bei der Frauen ihr Recht auf das Autofahren forderten. Unsere Petition wird also die zweite Aktion einer Frauengruppe in der Geschichte Saudi-Arabiens sein. Damals verloren die Frauen, obwohl sie aus sehr angesehenen Familien stammten, ihren Job, ihren Reisepass und ihren Ruf. Noch heute spricht man von ihnen als den Ex-Fahrerinnen. Aber die Gesellschaft hat sich verändert. Die Leute haben begonnen, über Menschen- und Frauen­rechte zu diskutieren. Wir erhalten heute mehr Unterstützung. Bislang haben 700 Leute unsere Petition unterschrieben. Aber wir planen auch noch andere, wichtigere Dinge anzugehen.

Welche?

Unser ultimatives Ziel ist es, unser Leben zurück­zugewinnen. Frauen in Saudi-Arabien können keine einzige eigene Entscheidung treffen ohne die Erlaubnis eines männlichen Bewachers. Um zu heiraten, zur Schule zu gehen, einen Job zu bekommen, zu reisen, medizinische Versorgung zu erhalten, brauchen wir die Genehmigung eines­ Mannes. Es ist unser langfristiges Ziel, diese Verhältnisse abzuschaffen. Zunächst werden wir uns das saudische Gerichtssystem vornehmen, um die gängige Heiratspraxis zu stoppen. Zum einen sollen Mädchen mit neun oder zehn Jahren nicht mehr dazu gezwungen werden können, einen älteren Mann zu heiraten, der 70 oder 80 Jahre alt ist. Zum anderen fordern wir ein Gesetz, das junge Frauen vor ihren Vätern und Brüdern schützt. Die nämlich verbieten ihren gut verdienenden Töchtern und Schwestern zu heiraten, weil sie sonst keinen Zugriff auf deren Einkommen mehr hätten.

Sie schrieben einmal davon, dass die Situation der Frauen in Saudi-Arabien schlimmer sei als die der Gefangenen in Guantánamo.

Man kann die saudischen Frauen in der Tat mit den Gefangenen von Guantánamo vergleichen. Die Insassen von Guantánamo können wenigstens noch die Sonne sehen und müssen sich nicht mit einem schwarzen Umhang verhüllen. Auch könnten sie eine Affäre mit einem anderen Gefangenen haben. In Saudi-Arabien verliert eine Frau, die mit einem anderen Mann erwischt wird, ihr Leben. Die ganze Welt kennt die Zustände in Guantánamo und redet darüber, dass die Gefangenen dort ohne wirkliche Beweise festgehalten werden. Aber über die saudischen Frauen, die seit Jahrzehnten in Gefängnissen sitzen, redet niemand. Die saudischen Frauen leben in fünf Gefängnissen. Wenn sie keine Probleme mit ihrer Familie und ihrem Stamm haben, werden sie spätestens von der Gesellschaft attackiert. Wenn sie das durchstehen und nicht von der Religionspolizei verhaftet werden, kommt die Regierung. Wenn die sie ins Gefängnis wirft, sind sie vergessen.

Gibt es in Saudi-Arabien außer Ihnen keine andere Gruppe, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt?

Die Spritztour der Frauen von 1990 war die erste und letzte organisierte Aktion. Es herrscht einerseits eine große Angst und andererseits kaum ein Bewusstsein über die eigene Diskriminierung. Aber wir sind nicht die einzige Organisation, es gibt andere. Aber die haben einen anderen Umgang mit den Dingen als ich. Sie glauben, ich sei eine Extremistin.

Was macht Sie denn in deren Augen zur Extremistin?

Letztes Jahr habe ich demonstriert. Allein. Ich lief über die Fahd-Chaussee, die Bahrain mit Saudi-Arabien verbindet, und hielt dabei ein Schild hoch, auf dem stand: »Gebt den Frauen ihre Rechte«. Viele organisierte Frauen warfen mir vor, ich hätte das nicht alleine tun dürfen. Daraufhin­ rief ich alle zu einer gemeinsamen Demonstration auf. Aber keine kam. Sie sind zwar bereit, über ihre Probleme zu diskutieren, aber wenn es darum geht, auf die Straße zu gehen, haben sie Angst. Stattdessen holte mich die Polizei zu Hause ab und warf mir vor, einen Protest organisiert zu haben. Der hatte aber nie stattgefunden.

2003 erhielten Sie Publikations- und Kontaktverbot für in- und ausländische Medien. Trotzdem schreiben Sie weiterhin für liberalere arabische Zeitungen und organisieren die Autofahrerinnen-Kampagne.

Ich habe nie aufgehört zu schreiben. Ich kann nicht. Das wäre so, als würden Sie mir sagen: »Hör auf zu atmen.« Als mich die Polizisten festnahmen, forderten sie mich auf, nur noch legale Kanäle zu wählen. Sie sagten mir, ich solle mein Begehr dem König schreiben. Das tue ich jetzt. Ich schreibe dem König eine Petition, so wie es mir gesagt wurde. Das ist alles.

König Abdullah hat vor zwei Jahren schon einmal Ihre Forderungen abgelehnt. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem zweiten Versuch mehr Erfolg haben?

König Abdullah hat kürzlich gesagt, dass Frauen am Steuer keine politische Angelegenheit seien, sondern eine soziale. Die Regierung habe nichts gegen Auto fahrende Frauen. Er ist ein ehrlicher Mann mit einem großen Herz. Zu Beginn seiner Amtszeit vor zwei Jahren hat er sich mit Journalistinnen, Akademikerinnen und andere Frauen über ihre Situation unterhalten. Deswegen haben wir große Hoffnung, dass er unsere Forderung umsetzen wird. Vielleicht hat er nicht den Mut für große Veränderungen, aber wenigstens hört er zu.

Welchen Einfluss hat der König auf die Religionsgerichte und die Religionspolizei?

Mit König Abdullah, dem neuen System und der Globalisierung ändert sich das Land. Ich glaube, dass Frauen nicht mehr ins Gefängnis geworfen werden, wenn sie ihre Rechte einfordern. Es ist selbstverständlich nur mein Gefühl, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Das größte Problem in unserem Land aber ist die Ehe zwischen Politik und Religion. Wir wollen, dass sie sich scheiden lassen. Denn ohne eine Trennung dieser beiden kommen wir keinen Schritt weiter.

In den letzten Jahren gab es tatsächlich einige Veränderungen. Eine Reihe von Frauen hat einen guten Arbeitsplatz. Zwei Frauen wurden in den Vorstand der Handelskammer gewählt.

Ja, aber außerhalb von ursprünglich amerikanischen Firmen wie Aramco, wo ich arbeite, sind die Geschlechter an jedem Arbeitsplatz getrennt. Außerdem erhöht sich die häusliche Gewalt mit jedem Schritt der Emanzipation. Männer, die ihre Macht verlieren, schlagen zurück. Auch wenn die Frauen Auto fahren werden, wird die Gewalt gegen sie wachsen. Um den Frauen Bewegungsfreiheit zu ermöglichen, müssen Gesetze geschaffen werden, die männliche Gewalt unter Strafe stellen.