Aggro-Volksmusik vom Schwarzen Meer

Bei Youtube ist ein Videoclip aufgetaucht, in dem die Ermordung des Journalisten Hrant Dink und die Tötung von Christen verherrlicht wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Sänger und gegen den Verfasser des Liedes. von sabine küper-büsch, istanbul

Es ist nicht das erste Video auf dem Internetportal Youtube, das die Ermordung des türkisch-­armenischen Journalisten Hrant Dink verherrlicht, der am 19. Januar auf offener Straße erschossen wurde. Aber dieses Video birgt interessante Hintergrundinformationen über das Verbrechen.

Harmlos sind allein die ersten Takte des Musikstücks, mit dem der Clip unterlegt ist. Das Lied »Plan Yapmayin Plan« (Schmiede kein Komplott) setzt wie viele türkische Schwarzmeer-Schlager mit volkstümlichen Fiedel- und Zitherklängen ein. Doch dann beginnt Ismail Türüt, der wie Dinks Mörder Ögün Samast und der Drahtzieher des Verbrechens Yasin Hayal von der Schwarzmeerküste stammt, zu singen. Tü­rüts Lied, voller Hass auf die Armenier und voller Lob für die Mörder Dinks, ist so schockierend wie platt. »Wenn einer das Vaterland verkauft, dann ist er erledigt. Die Sonne der Türken und des Islam geht am Schwarzen Meer niemals unter«, heißt es in der Schnulze. Zur Untermalung ist die Leiche von Hrant Dink zu sehen.

Die türkische Nation werde kein Glockengeläut und keine Armenier-Freunde tolerieren, singt Türüt weiter. Damit wird offensichtlich auf die drei Missionare angespielt, die im April in Ma­latya grausam gefoltert und getötet wurden. Einer von ihnen war der deutsche Missionar Tilman Geske. In Trabzon am Schwarzen Meer, der Herkunftsstadt der Mörder Dinks, war im Jahr 2006 auch der Priester Andrea Santoro ermordet worden.

Wegen des Textes ermittelt inzwischen die türkische Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung gegen Türüt und den Verfasser des Liedes, Ozan Arif, die der ultranationalistischen Szene nahestehen. Türüt hat in diesem Zusammenhang verlauten lassen, die Ermordung von Priestern und Missionaren nicht gutzuheißen. Gleich­zeitig weisen Türüt und Arif die Vorwürfe zurück, der Text sei rassistisch und ein Aufruf zur Gewalt. 99 Prozent der Türken seien seiner Meinung, sagte Türüt in einem Interview mit der Tageszeitung Hürriyet. Arif betonte, er stehe zu seinem Text, habe aber niemanden konkret damit gemeint. Sänger und Liedtexter weisen beide uni­sono von sich, für das bei Youtube aufgetauchte Video verantwortlich zu sein. Die Website mit dem Video avancierte Mitte September zur am häufigs­ten aufgerufenen in der Türkei.

Doch erst nachdem in den türkischen Medien empörte Berichte und Kommentare erschienen waren, wurde die ansonsten in Sachen Zensur sehr umtriebige Staatsanwaltschaft aktiv und ließ die Internetseite mit dem Video sperren. Wenn es in dem Lied nicht um einen so unbequemen Kritiker des türkischen Staats wie Hrant Dink gehen würde, wäre die Justiz sofort tätig geworden, kritisiert der ehemalige Vorsitzende der Istanbuler Anwaltskammer, Yücel Sayman.

Der Videoclip zeigt auch den Mörder Dinks, wie er vor der türkischen Fahne posiert. Das Material stammt aus dem Videofilm, den die Polizei in Samsun direkt nach Ögün Samasts Verhaftung auf dem Revier gedreht hat. Polizisten stehen neben dem Mörder und klopfen ihm anerkennend auf die Schulter. Das ging einigen Kollegen offensichtlich zu weit. Ende Januar wurde der Videofilm den Polizeireportern des türkischen Fernseh­kanals TGRT zugespielt (Jungle World 06/07). Der Film wurde am 2. Februar in den Haupt­nachrich­ten von TGRT gesendet. Von dem ansonsten als rechtskonservativ einzuschätzenden Sender wur­de das Video als »Schande für den Rechtsstaat« bezeichnet.

Neben Ögün Samast und Yasin Hayal tauchen in dem Musikvideo noch weitere Gestalten auf, die in diesem Zusammenhang sehr interessant sind. So ist etwa Abdullah Catli zu sehen, ein gesuchter mehrfacher Mörder und Drogenhändler aus dem Umfeld der Ultranationalisten. Er starb am 3. November 1996 bei einem Autounfall nahe der westanatolischen Stadt Susurluk zusammen mit einem Polizeichef und einem Abgeordneten der damaligen Regierungspartei von Ministerpräsidentin Tansu Ciller. Eine parlamentarische Untersuchungskommission ermittelte damals Verbindungen zwischen Politik, Sicherheitskräften und einer ultranationalistischen Mafiagruppe, die bereits auf die siebziger Jahre zurückreichten, als die Polizei die Grauen Wölfe als Todesschwadronen gegen die türkischen Linken einsetzte. Es stellte sich heraus, dass Abdullah Catli einen vom damaligen obersten Polizeichef der Türkei, Mehmet Agar, unterzeichneten Diplomatenpass mit einem falschen Namen bei sich trug.

Agar muss sich deswegen jetzt Ermittlungen stellen, nachdem er bei den Parlamentswahlen im Juli als Parteivorsitzender mit seiner Partei des rechten Weges scheiterte. Die Tatsache, dass er jahrelang als Nachfolger Tansu Cillers die konservative Partei führen konnte, zeigt, dass die Machenschaften der so genannten Konterguerilla mittlerweile von einem Teil der Bevölkerung toleriert werden, vom Staatsapparat sowieso, denn Catli und Co. fungierten als Männer fürs Grobe im Anti-Terror-Kampf.

Politische Morde und Drogenschmuggel zur Finanzierung des unter nationalistischen Vorzeichen forcierten Gegenterrors waren die Strategien der »Abteilung für Sonderaufgaben« im obersten türkischen Polizeiministerium in Ankara. Ob diese Strukturen fortbestehen, danach wurde nach ihrer Aufdeckung nicht weiter gefragt. Und Serien und Filme wie »Das Tal der Wölfe« verherrlichen die brutalen Methoden von patriotisch gesinnten Spezial­agenten.

Der Barde Ismail Türüt hat sich ebenfalls bereits in der Vergangenheit als Anhänger einer aggressiven Mischung aus türkischem Nationalismus und Islamismus zu erkennen gegeben. In einem Song verherrlichte er einen rechtsradikalen Mafiaboss vom Schwarzen Meer. Auch ein Lob­lied auf den Chef der rechtsnationalen Partei MHP, Devlet Bahceli, hat er verfasst. All diese Nationalisten distanzieren sich von Mord als Mittel der Politik, was jedoch nicht unbedingt bedeutet, dass die Bluttaten, die andere begangen haben, verurteilt werden.

Auch der am Montag voriger Woche fortgesetzte Prozess gegen die Mörder Hrant Dinks verlief bislang enttäuschend. Die von der Regierung ausgesandten Inspektoren zur Untersuchung der Verwicklung des Sicherheitsapparats in den Mord haben die Ermittlungen eingestellt. Das ist wenig glaubwürdig, denn mehrere zusammen mit Samast angeklagte mutmaßliche Drahtzieher und Mitwisser aus der ultranationalistischen Szene von Trabzon haben ausgesagt, von Polizisten ermutigt worden zu sein.

Informiert über die Planung der Tat waren alle involvierten Polizeibehörden von Trabzon über Ankara bis Istanbul. Sie unternahmen nichts. Eben­so war der Polizei von Trabzon bekannt, dass Yasin Hayal, der im Jahr 2004 wegen eines Bombenanschlages auf eine McDonald’s-Filiale verurteilt worden war und frühzeitig aus der Haft entlassen wurde, Schießübungen abgehalten hatte.

Erhan Tuncel aus dem Umfeld von Yasin Hayal und Ögün Samast war zudem informeller Mit­arbeiter des Polizeireviers in Trabzon. Sein Mitbewohner, Tuncay Uzundal, sagte aus, er habe Ya­sin Hayal über die Spitzeltätigkeiten Tuncels informiert. Das habe den Anstifter Samasts nicht weiter gestört, er plauderte vielmehr aus, Polizei­beamte hätten geäußert, »der Staat hat über Dink den Griffel gebrochen«. Diese Äußerung kommt in der Türkei einem Todesurteil gleich, denn Rich­ter pflegten in der Vergangenheit ihre Schreib­instrumente zu zerbrechen, wenn sie die Todesstrafe verhängten.

Nach Informationen der Zeitung Agos, deren Herausgeber Hrant Dink war, versprach Minister­präsident Tayyip Erdogan der Witwe Rakel Dink, die Hintergründe der Tat aufzuklären, auch wenn die mafiösen Strukturen alle Bereiche des Staates durchzögen. Bislang ist noch nicht zu erkennen, inwiefern dieses Versprechen eingelöst wird.