Gentlemans Geschichten

Louis Auchincloss setzt dem aussterbenden Ostküsten-Adel ein Denkmal. von doris akrap

Die US-amerikanische »Ostküste« gilt als Synonym für Geld und Juden. Dieses Klischee dürften wohl die White Anglo Saxon Protestants in diesem Landstrich besonders empörend finden. Einst galten die WASPs als die Fürsten der Ostküste. Doch die »Zeit unserer Herrschaft ist vorüber. Der Gentleman wird ebenso aussterben wie einst die Dronte. Juden, Katholiken, Iren und Latinos werden die Privatschulen und Clubs ebenso übernehmen wie die zurzeit noch bestimmten Kreisen vorbehaltenen Sommerfrischen, die Aktienbörse und sogar die Debütantinnenbälle«, prophezeit Tony Gates in Louis Auchincloss’ kürzlich auf Deutsch erschienenem Roman »East Side Story«.

Der Autor, ein aus eben dieser Schicht stam­men­der New Yorker, der vor zwei Wochen 90 Jah­re alt wurde, hat bislang 60 Bücher veröffent­licht. Vergangenes Jahr wurde mit »Die Man­hat­tan Monologe« zum ersten Mal eine Sammlung seiner Kurzgeschichten ins Deutsche übertragen. Ein Skurrilitätenkabinett und eine Freak­show, deren Protagonisten allerdings keine Underdogs, Aussteiger, Diskriminierte, Andersdenkende und Verlierer der amerikanischen Ge­sellschaft sind, sondern ihre elitäre Oberschicht bilden. Das Oeuvre von Auchincloss bevölkern die stinkreichen Söhne und Töchter der Anwälte und Großunternehmer der Upper East Side, die in der Park Avenue wohnen und ihren Sommer auf Long Island verbringen.

Louis Auchincloss ist nicht nur ein glänzender Beobachter, sondern auch ein Experte dieses Milieus, aus dem er selbst stammt. Das ist wohl auch der Grund, warum er in den USA durchaus renommiert ist, aber lange nicht den Ruf eines Norman Mailer, Philip Roth oder anderer Ostküsten-Literaten genießt. Auchincloss berichtet nicht nur aus einer Welt, für die man als aufklärerischer Literat nur Verachtung übrig haben kann, er hat sich von ihr auch niemals distanziert, war er doch bis zu seiner Pensionierung Anwalt einer Kanzlei an der ­Wall Street.

Dabei sind seine Erzählungen über die Upper Class keineswegs unkritisch, auch wenn dies in einer Rezension der FAZ behauptet wurde. Der Autor bewahrt ganz einfach Haltung. Während er die Psychopathologien, die Korruption, den Rassismus, den Antisemitismus und die Dekadenz dieser Klasse offenlegt, bleibt er Gentleman. Er stellt die Geld- und Geltungsgier der Emporkömmlinge aus der Alten Welt bloß, indem er schildert, wie sie leben und denken. Jeder der zwölf Nachkommen des schot­tischen Einwanderers David Carnochan wird in »East Side Story« durch die Beschreibung des Interieurs der im gregorianischen Stil erbauten Prachthäuser an der Fifth Avenue charakterisiert. »Nein, Sam Carnochan war nicht der Philister für den man ihn hielt, er hatte einen außergewöhnlich kundigen Blick für erstklassige Drucke mit Jagd- und Angelszenen, für er­lesene Gemälde und Zeichnungen von Vögeln und Säugetieren und für handwerklich heraus­ragende Blank- und Handfeuerwaffen aus früher Zeit.« Die sich als weltgewandte Führungs­elite der USA verstehenden Car­no­chans werden von Auchincloss als das gezeigt, was sie in der Alten Welt waren und in der Neuen Welt geblieben sind, »biedere Bürger mit einem scharfen Blick für ein gutes Geschäft«. Auchincloss schildert die presbyterianische Düsterkeit und klein­bürgerliche Langeweile des Geldadels, dessen Arroganz sich darauf stützt, dass sein Stammbaum auf die Mayflower zurückgeht.

Die einzige Frau in »East Side Story«, die nicht darauf aus ist, einen der begüterten Car­nochans zu heiraten, ist Kitty Atwater, die sich durch die High Society Manhattans schnorrt. Sie macht den Clan schlicht und ergreifend für die »herrschende Langeweile-Epidemie« verantwortlich, von der sie verschont bleiben will.

Louis Auchincloss: East Side Story, DuMont-Buchverlag, Köln 2007, 200 S., 19,90 Euro