Auf verschiedenen Gleisen

Streiks und Kündigungsdrohungen: Die Lokführergewerkschaft GDL fordert nicht nur höhere Löhne, sondern lehnt auch den Börsengang der Bahn ab. Von Winfried Rust

»Unverantwortlich« sei der Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GDL), sagte Bahnsprecher Gunnar Meyer. Darin ist er sich einig mit den meisten Vertretern von Presse, Politik – und Gewerkschaften. Tatsächlich wird für deutsche Verhältnisse mit harten Bandagen gekämpft. Lokführer erhielten beim Streik am Freitag Abmahnungen und Kündigungsdrohungen.

Das Vorgehen der GDL, Streiks nur noch kurzfristig anzukündigen, bringt die Deutsche Bahn in die Bredouille. Ohne einen Vorlauf von 24 Stunden gibt es keine Notfahrpläne. Das Interesse wächst, eine Annäherung der Verhandlungspartner zu erreichen. Der Vorsitzende des Energie­unternehmens Evonik und Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn, Werner Müller, scheint für diese Aufgabe prädestiniert zu sein. Der ehemalige Wirtschaftsminister lud Hartmut Mehdorn, den Vorstandsvorsitzenden der Bahn, und den Vorsitzenden der GDL, Manfred Schell, zu einem Treffen ein. Der Bild-Zeitung sagte Müller: »Wir müssen eine faire Lösung hinbekommen, damit das Land keinen Schaden nimmt.«

Dabei trägt die GDL ihre Forderung von 31 Pro­zent Lohnerhöhung nicht vor, um irgendjemandem zu schaden. Angesichts unregelmäßiger Schichtdienste und dem niedrigsten Einkommen von Lokführern in Westeuropa und bei einem gleichzeitigen Rekordgewinn der Deutschen Bahn fordert sie einen Brutto­einstiegs­lohn für Zugbegleiter von 2180 Euro und für Zugführer von 2 500 Euro.

Ende voriger Woche hat Schell jedoch zum ersten Mal angedeutet, dass die Gewerkschaft von der ­Forderung, den Lohn um 31 Prozent zu erhöhen, abrücken könnte. Die Forderungen zur Arbeits­zeit sind sowieso moderat: etwa die Absenkung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden und 13 freie Wochenenden im Jahr. Das jüngste Angebot der Bahn enthielt aber nur eine Lohnsteigerung um zehn Prozent unter der Bedingung, dass Lokführer auch zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten können. Am Mittwoch dieser Woche wollte man noch einmal verhandeln.

Problematisch ist, dass die GDL einen geson­derten Spartentarifvertrag verlangt. Die Deutsche Bahn möchte weder zweistellige Lohn­erhöhun­gen, noch unübersichtliche Tarifverhältnisse. Denn bereits jetzt hat sie mit Transnet und der Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und Anwärter (GDBA) zwei Gewerkschaften als Tarifpartner. Mit der Übernahme von Logistikkonzernen wie dem Unternehmen Schenker muss sie sich auch noch mit Verdi auseinandersetzen. Da kommt es ungelegen, dass die GDL immer eigenständiger agiert. Eine Spartengewerkschaft, die Mitarbeiter in strategisch zentralen Positionen vertritt, ist immer für hohe Tarifabschlüsse gut. Das bewiesen etwa die Pilotengewerkschaft Cockpit im Jahr 1999 und später die Vereinigungen der Krankenhausärzte.

Der geplante Börsengang der Bahn erzeugt weiteren Druck, übersichtliche Verhältnisse zu schaffen. Und ausgerechnet die GDL lehnt den Börsengang ab. Kein Wunder also, dass die Bahn versucht, sie unterzukriegen. Zusammen mit Transnet und der GDBA reklamiert sie in »kumpelhafter« Manier, wie der Bundesvorstand »Pro Bahn« kritisiert, »Tarifeinheit«.

Dem steht eine eigenartige Resistenz der GDL gegenüber. Eine Ursache liegt in einem ausgeprägten Berufsstolz. Manfred Schell ist Lokomotiv­füh­rer, wie es schon sein Vater war. Die Berufs­gewerk­schaft existiert seit 1867. Im Jahr 2002 lös­te sie sich aus der Tarifgemeinschaft der Deutschen Bahn und wehrte einen Ergänzungs­tarif ab, den Transnet und GDBA bereits akzeptiert hatten und der bis zu 18 unbezahlte Schichten pro Jahr bei DB Regio bedeutet hätte. Die GDL öffnete sich seitdem dem gesamten Fahrpersonal. Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals sind in ihr organisiert, bei den Lokführern sind es traditionell über 75 Prozent. Transnet zufolge wechselten in den laufenden Tarifverhandlungen etwa 1 000 Gewerk­schaftsmitglieder zur GDL.

Im Gegensatz zu Transnet kooperiert die GDL nicht mit dem Vorstand der Bahn in der Frage des Börsengangs. Mit ihrenn Lohnforderungen findet sie Zustimmung bei vielen Beschäftigten, die genug vom Reallohnverlust der vergangenen Jahre haben.

In der Belegschaft ist der Unmut gewachsen. Die Privatisierungsbefürwortung von Transnet und GDBA hält vielleicht nicht jeder Belastungsprobe stand. Die Aufrufe verschiedener Initiativen wie »Bahn für alle« und »Bahn von unten« stoßen auf große Resonanz. Die angekündigten Fahrpreiserhöhungen um 2,9 Prozent werden allseits kritisiert, die Erwägung der Schließung kleiner Bahnhöfe im jüngsten Entwurf der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung weckt Empörung. Und auch die Länder kritisieren die Bahn, weil sie des permanenten Kampfes um Regionalstrecken überdrüssig werden.

Die GDL sagt also zum passenden Zeitpunkt das Richtige. Aber sie vertritt, wie alle Gewerkschaften, nur ihr eigene Klientel. Der Service­arbeiter, der den Bahnhof reinigt, ist ihr egal. Dass er bei schlechterem Lohn den Betrieb ebenso auf­rechterhält wie der Lokführer, wird vergessen.

Vor dem CDU-Mitglied Schell muss die Bahn eigentlich auch nicht zittern. Als Bundestagsabgeordneter stimmte er 1993 zwar als einziger seiner Fraktion gegen den Einstieg in die Bahnprivatisierung, aber im Jahr darauf winkte er die Privatisierungsschritte für Post und Telekom durch. Eine grundsätzliche Gegnerschaft zwischen GDL und dem Management der Bahn gibt es nicht. Die Entschließung des Koalitionsausschusses zur Bahnprivatisierung im Jahr 2006 wurde von der GDL begrüßt. Die Gewerkschaft schreibt in ihren »Positionen zur Verkehrspolitik«, sie stelle sich nicht »gegen den Wettbewerb. Schon Mao Tse-Tung hat erkannt: Der Mann, der den Wind der Veränderung spürt, sollte keinen Windschutz, sondern eine Windmühle bauen.«