Hugo mag kein Zuckerrohr

Unermüdlich preist Brasiliens Präsident Lula die Äthanolproduktion an. Das bringt ihn in Konflikt mit dem Öl exportierenden Venezuela. von astrid schäfers

Eigentlich ist kein Feind in Sicht, aber das brasilianische Militär soll stärker werden. Präsident ­Inácio Lula da Silva will den Verteidigungsetat für das Jahr 2008 um mehr als 50 Prozent erhöhen, unter anderem soll das erste nuklear betriebene U-Boot fertiggestellt werden. »Es ist an der Zeit, unser Wissen auf dem militärischen und dem zivilen Sektor zu einen, um darüber nachzudenken, wo wollen wir, als souveräner Staat, in zehn bis 15 Jahren mit unseren Streitkräften stehen. Wir können nicht Untergeordnete sein, wir müssen mutig sein«, forderte Lula. Dank militärischer und ziviler Zusammenarbeit sei es zu »technischen Innovationen« gekommen, unter anderem bei der Entwicklung von Motoren, Antriebstechniken für Flugzeuge und Methoden zur Anreicherung von Uran.

Brasilien soll künftig zu den Weltmächten gehören, dazu muss der militärisch-industrielle Komplex ausgebaut werden. Um die ehrgeizigen und anlegerfreundlichen Industrialisierungspläne zu verwirklichen, betont Lula die Energieautonomie Brasiliens, er propagiert vehement den Bau eines weiteren Atomkraftwerks an der Küste des Bundesstaats Rio de Janeiro.

Die oft beschworene Energieknappheit sorgt dafür, dass ein großer Teil der Bevölkerung dieses Projekt unterstützt. Doch es gibt in diesem Jahr sogar einen Energieüberschuss in Brasilien, der dafür genutzt werden könnte, Wasserkraftwerke eine Zeit lang abzustellen und zu modernisieren. Doch Lula will die Energieerzeugung steigern, um das Wachstum der einheimischen Industrie zu fördern und internationale Investoren anzulocken: »Wenn die Wirtschaft jährlich um fünf Prozent wachsen soll, müssen wir den Investoren versichern können, dass in Brasilien ab 2012 kein Energiemangel mehr herrschen wird«, erklärte er Anfang Juni.

Zudem soll Brasilien Energieexporteur werden, und brasilianische Unternehmen wollen sich an der Äthanolproduktion in anderen Ländern beteiligen. In dieser Woche will Lula den Bio­sprit in Afrika anpreisen. Bereits Mitte August warb er in lateinamerikanischen und karibischen Staaten für die Äthanolproduktion: »Wir bieten der Welt die Chance, Reparationen zu leisten für die Menge an Schmutz, die sie bereits in die Atmosphäre geblasen hat«, verkündete er in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Doch der für die Herstellung von Äthanol notwendige großflächige Anbau von Zuckerrohr ist keineswegs ökologisch, zudem laugt der chemische Dünger die Böden aus, und nicht selten atmen die Arbeiter Giftstoffe ein, während sie ihn auf den Feldern versprühen. Denn die meisten haben keine ausreichende Schutzkleidung.

In Brasilien habe die Äthanolindustrie direkt und indirekt bereits sechs Millionen Arbeitsplätze geschaffen, behauptet Lula. Nachdem der Weltmarktpreis für Zucker im vergangenen Jahr um 32 Prozent gesunken ist und viele Investoren sich zurückgezogen haben, ist die Euphorie jedoch wieder verflogen. Doch bis 2012 soll die Produktionsmenge um 37 Prozent gesteigert werden, 2006 produzierte Brasilien 470 Millionen Tonnen Zucker.

Immerhin reagierte die Regierung auf Kritiker, die den Zuckerrohranbau als Bedrohung für den tropischen Regenwald sehen. So sollen keine neuen Anbauflächen in Amazonien und im Feuchtgebiet Pantanal mehr genehmigt werden. Allerdings ist fraglich, ob sich so verhindern lässt, dass Land an die Agrarkonzerne verkauft wird. Lula hat das Umweltamt Ibama personell zurechtgestutzt, so dass nicht genügend Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um die Einhaltung dieser Bestimmungen überwachen zu können.

In Kingston in Jamaika weihte Lula eine von der EU subventionierte Fabrik ein, in der täglich bis zu 700 000 Liter Äthanol verarbeitet werden sollen. Das Konzentrat für die Benzinbeimischung dürfen die Jamaikaner dann zollfrei in die USA exportieren. Ein Vorzeigebeispiel, doch allgemein ist die US-Handelspolitik restriktiver. Die USA werden ihre Einfuhrzölle für Äthanol nicht, wie von Lula gefordert, reduzieren, erklärte Johanna Mendelson-Forman vom US-amerikanischen Zentrum für Strategische und Internationale Studien der Jungle World. Daher würden die brasilianischen Äthanolexporte in die USA wesentlich geringer ausfallen als Lula plant.

Dass Präsident George W. Bush seinem brasilianischen Kollegen demonstrativ eine Kooperation auf dem Gebiet der Äthanolproduktion und ‑vermarktung anbot, war wohl eher ein politisches Signal. Denn die Energiepolitik ist entscheidend für die Machtverteilung unter den lateinamerikanischen Staaten. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez kritisiert die Ausweitung der Äthanolproduktion, da sie die Ernährung der Armen gefährde. Sie könnte zudem den Einfluss mindern, den Chávez mit seinen Öleinnahmen in der Region ausübt.

Die Energiepolitik ist eng mit sicherheitspolitischen Strategien verbunden, die weit über die Grenzen der Region hinausreichen. Wenn er Fragen zu Lateinamerika habe, so rufe er Lula an, erklärte Bush während dessen Besuch in den USA. Die US-Regierung will Brasilien stärken, allerdings offenbar ohne ökonomische Zugeständnisse machen zu wollen.

Der Konflikt um die regionale Führungsrolle in Lateinamerika wird selten offen ausgetragen, und es gibt weiterhin Kooperationprojekte. Ende September vereinbarten Lula und Chávez, den Bau einer Erdgaspipeline durch den amazonischen Regenwald voranzutreiben. Die Erschließung des venezolanischen Ölfelds Carabobo I im Orinoko‑Becken soll mit Hilfe zweier Joint Ventures der staatlichen Ölkonzerne beider Länder beschleunigt werden, der venezolanische Ölkonzern PdVSA soll 60 Prozent des dafür erforderlichen Kapitals stellen, Petrobras 40 Prozent.

Brasilien stellt allein die Hälfte der Wirtschaftsleistung Lateinamerikas, doch Lulas unternehmer­freundliche Politik macht es ihm schwer, diese Macht einzusetzen, und bringt ihn ständig in Konflikte mit linken Gruppierungen wie der Landlosenbewegung MST. Chávez’ Sozialpolitik dagegen ist nicht nur in Venezuela populär, er hat die PdVSA unter Kontrolle gebracht und kann die Öleinnahmen politisch investieren.

In der regionalen Zusammenarbeit propagiert Chávez einen solidarischen Handel »außerhalb des Kapitalismus«. Im Mai fand im venezolanischen Barquisimeto das erste Gipfeltreffen der Bolivarianischen Alternative für Amerika (Alba) statt, die Ende 2004 als Gegenentwurf zur von den USA dominierten Freihandelszone Alca entstand. Obwohl Alba bisher kaum konkrete Ergebnisse vorweisen kann, ist sie inzwischen auch von Bolivien und Nicaragua akzeptiert worden, die dem Bündnis kürzlich beitraten. Der von Brasilien dominierte »gemeinsame Markt« Südamerikas, Mercosur, steckt dagegen in einer chronischen Krise. Seit Jahren denken Paraguay und Uruguay über einen Austritt nach, weil sie sich durch die brasilianische und argentinische Dominanz benachteiligt sehen.

Brasilianische Unternehmen investieren verstärkt im Ausland, und Lula möchte diesen ökonomischen Einfluss ausbauen. Konzerne wie Petrobras sind von der Verstaatlichungspolitik in Bolivien und Venezuela betroffen. Im vergangenen Jahr besetzte die bolivianische Armee auch Anlagen von Petrobras, der Konzern erlitt erhebliche Einbußen. Brasilien ist auf Öl- und Erd­gas­importe aus Nachbarstaaten angewiesen. Eine Reduzierung der Abhängigkeit insbesondere von Bolivien und Venezuela würde deren politischen Einfluss mindern.