My Home is my Laptop

Bei einer Anhörung beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht in der vorigen Woche zum ersten Mal mit Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen. Anfang nächsten Jahres wird ein Grundsatzurteil erwartet. Von Christoph Villinger

Früher standen die »Herren des Morgengrauens« pünktlich um sechs Uhr morgens vor der Haustür: »Hausdurchsuchung – Razzia!« Zwar traten die Polizisten manchmal, wenn sie »Gefahr im Verzug« witterten, einfach die Tür ein. Aber in der Regel hielten die Ermittler dem Durchsuchten einen Hausdurchsuchungsbefehl unter die Nase. Obwohl man sich meist heftig stritt, waren die Fahnder als körperliches Gegenüber greifbar. Stunden später lag der Inhalt des Kleiderschranks für jeden sichtbar im Zimmer verteilt herum, und nicht selten fanden die Durchsuchten im angerichteten Chaos etwas, das sie seit Monaten gesucht hatten.

Doch inzwischen hat sich im Zuge der elektronischen Revolution die Alltagswelt radikal verändert. Liebesbriefe oder verbotene Bastelanleitungen versteckt man nicht mehr im Kleiderschrank, sondern in verschlüsselten Dateien auf dem eigenen Computer. Dieser kann einen an alle Orte dieser Welt begleiten. Denn nicht mehr der Arbeits- oder Wohnort, sondern die E-Mail-Adresse und die Handynummer stellen in Zeiten der allgemeinen Flexibilisierung die individuellen Kontinuitäten dar.

»Der Computer hat sich in den letzten Jahren zu einem Inbegriff der Privatheit entwickelt«, sagte daher der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum in der vorigen Woche während einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dort klagt der FDP-Politiker zusammen mit zwei weiteren Juristen, der Journalistin Bettina Winsemann und Fabian Brettel, einem Mitglied im Landesvorstand der Partei »Die Linke« in Nordrhein-Westfalen, gegen ein Landesgesetz, das dem Verfassungsschutz in dem Bundesland seit Anfang dieses Jahres die heimliche Online-Durchsuchung erlaubt. Mittels eines so genannten Trojaners soll ein Programm auf den Com­puter, iPod oder BlueBerry eines Verdächtigen geschleust werden, um von dort unbemerkt die Daten zu kopieren oder die Internetkommunikation mitzulesen.

Bereits im Jahr 2004 hatte Baum gemeinsam mit Anderen erfolgreich Verfassungsbeschwerde gegen den Großen Lauschangriff eingelegt. 2006 klagten der Liberale und Andere gegen das neue Luftsicherheitsgesetz, das im Entführungsfall den Abschuss von Passagierflugzeugen erlaubt hätte, und sie bekamen weitgehend Recht. Nun kämpft Baum gegen die Online-Durchsuchungen. Denn diese griffen stärker in die Privatsphäre der Menschen ein als der Große Lauschangriff, empört sich Baum. »Ein heimlicher Komplettzugriff auf die Festplatte ist ein Grundrechtseingriff von neuer Qualität«, sagte er.

Bereits bei der Anhörung zeigte das Bundesverfassungsgericht, dass es diese Bedenken sehr ernst nimmt. Anfang kommenden Jahres will der Erste Senat ein Grundsatzurteil zu Online-Durchsuchungen fällen, das weit über den konkret verhandelten Fall hinausreichen dürfte. Dagegen drückt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufs Tempo. Er möchte im geplanten neuen BKA-Gesetz auch der Polizei den heimlichen Zugriff auf »Terrorcomputer« erlauben, denn »Terroristen nehmen keine Rücksicht auf unsere Debatten«. Doch noch blockiert die SPD und verlangt eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts. Dieses hatte bereits im Januar festgestellt, dass für Online-Durchsuchungen jegliche gesetzliche Grundlage fehle. Besonders problematisch ist, dass sich mit der neuen Befugnis das BKA weiter in Richtung einer Geheimpolizei verändert. Aber was im rechtsstaatlichen Denken einem Geheimdienst wie dem Verfassungsschutz erlaubt sein kann, darf die Polizei noch lange nicht.

Die Fahnder hingegen beklagen, dass sie so genannten Terroristen technologisch hinterherhinkten. Da Mails vor dem Versenden verschlüsselt und erst nach dem Herunterladen auf den Computer des Empfängers entschlüsselt würden, hätten herkömmliche Abhörmethoden keinen Erfolg mehr. Anders wäre dies nur, wenn die Ermittler die entschlüsselte Mail auf dem Computer mitlesen dürften. Doch selbst das Bundesverfassungsgericht glaubt den Fahndern nicht, dass sich ihr Interesse auf den Mail-Verkehr beschränke, sondern geht davon aus, dass es um alle gespeicherten Texte und Dateien gehe. Dies gab der Präsident des BKA, Jörg Ziercke, in Karlsruhe auch zu: »Es geht um die Festplatte.«

Den polizeilichen Überwachungsträumen kommt zudem ab dem 1. Januar 2008 ein weiteres Gesetz zu Hilfe, das von den Anbietern von Telekommunikation die Vorratsdatenspeicherung aller Verbindungsdaten für sechs Monate verlangt. Dann kann die Polizei jederzeit ermitteln, wer mit wem per Telefon, Mail oder SMS in Verbindung stand. Da dieses Gesetz auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, klagt inzwischen sogar die Republik Irland vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen. Viele Rechtsexperten, darunter sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, »rechnen durchweg damit, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung schon in wenigen Monaten in Luxemburg für nichtig erklärt wird«, hofft Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

Der Arbeitskreis ist wie viele andere Initiativen Teil einer neu entstandenen Bewegung, der es mehr um persönliche Freiheiten als um die angebliche Sicherheit vor Terroristen geht. Sie reicht von bürgerlichen Liberalen über den Chaos Computer Club und Datenschützern bis hin zu linken Gruppen, die einen neuen Überwachungsstaat fürchten. Ende September demonstrierten in Berlin rund 10 000 Menschen gegen die als »Stasi 2.0« titulierten neuen Sicherheitsgesetze. Dabei übersehen sie allerdings, dass die Entwicklungen der elektronischen Revolution, wie etwa Internet und E-Mail, zunächst auch Möglichkeiten boten, die staatliche Kontrolle der siebziger und achtziger Jahre, etwa das Abhören von Telefonen, zu umgehen. Heute versucht der Staat, das seinem Zugriff entzogene Terrain wieder einzuhegen und seine Gesetze sowohl der materiellen als auch der sozialen Entwicklung anzupassen.

Dadurch – weil viele Gesetze neu formuliert werden müssen – werden die Fragen des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Sicherheit gesellschaftlich neu debattiert. Einerseits gibt es eine reale Bedrohung durch terroristische Attacken wie auf die Londoner U-Bahn. Allerdings spielen Innenminister Schäuble und manche Medien mit der in der Bevölkerung verbreiteten diffusen Angst, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Nicht ohne Erfolg, denn nach einer Umfrage des Politbarometers von Mitte September stimmen 65 Prozent der Bevölkerung Schäubles Plänen zu. Dagegen kritisieren liberale Medien wie etwa die Süddeutsche Zeitung die Ausweitung der staatlichen Überwachungsmöglichkeiten: »Es ist nun einmal Kennzeichen eines Rechtsstaates, dass es Grenzen des staatlichen Agierens gibt.«

Wie berechtigt die Zweifel an der Zuverlässigkeit der »staatlichen Organe« jedoch sind, zeigte vor kurzem ein Fall in Berlin. Ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der mit der Überwachung der elektronischen Kommunikation von ausgewählten Botschaften betraut war, soll nach Angaben der Berliner Zeitung seine technischen Möglichkeiten auch privat genutzt haben. Dem Beamten wird vorgeworfen, während des Dienstes den E-Mail-Verkehr eines Deutschen ausgespäht zu haben, weil er diesem ein Verhältnis mit seiner Frau unterstellte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.