Ihr Matten lebt wohl!

Viele Schweizer glauben, es gebe keinen Rassismus in ihrem Land. Die Realität sieht anders aus. von michi stegmaier, Zürich

Die Wahlen sind vorbei, und einmal mehr steht die national-konservative Schweizer Volkspartei (SVP) als grinsende Siegerin da. Sie erreichte einen Wähleranteil von über 29 Prozent. Seit 1919 hat keine andere Partei mehr einen so hohen Stim­men­anteil bei den Wahlen erzielt. Und das, obwohl die SVP in den erzkonservativen Bergregionen und der französisch und italienisch sprechenden Schweiz ihr Wahlpotenzial noch längst nicht ausgeschöpft hat. Es war ein für Schweizer Verhältnisse gehässiger Wahlkampf, der von der SVP und ihrer rassistischen Wahlkampagne dominiert wurde.

Rassismus ist in der Schweiz ein weitaus brennenderes Problem, als dies allgemein wahrgenommen wird. »Rassismus bei uns? – So etwas gibt es nicht!« war die Reaktion vieler Schweizer auf die internationale Negativpresse der vergangenen Wochen. Selbst das unsägliche Schäfchen-Plakat war für die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer vollkommen unbedenklich. Wochen vergingen, bis das Plakat überhaupt skandalisiert wurde. Mittlerweile gibt es zwar Dutzende von verfremdeten Anti-SVP-Schäfchenplakaten, aber darüber hinaus fand eine inhaltliche Debatte mit dem extrem rechten Programm der SVP nicht statt. Glenda Loebell-Ryan von SOS Rassismus Deutschweiz erzählt: »Viele Leute getrauen sich nun offen, ihren Rassismus auszusprechen. Die Schweizer haben zwei Gesichter. Nun zeigen sie ihr anderes Ich, das des frus­trier­ten Schweizers, welcher gerne nach unten tritt.« Bei SOS Rassismus Deutschweiz haben sich seit der Lancierung der Abschiebungsinitiative viele dunkelhäutige Menschen darüber beschwert, dass sie beschimpft werden. Wo früher noch hinter dem Rücken getuschelt wurde, wird jetzt offen ausgesprochen, was viele denken: Ausländer raus.

Der rassistische Hintergrund von Angriffen wird jedoch häufig von den ermittelnden Behörden nicht als solcher wahrgenommen. Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte werden als Lausbubenstreiche abgetan, Übergriffe auf Fremde sind für die Polizei oft nichts anderes als eine Abrechnung unter Drogendealern, wie nach den Schüssen auf einen Wohncontainer für Flüchtlinge im aargauischen Birr behauptet wurde. Alleine in den vergangenen Monaten gab es diverse Übergriffe mit lebensgefährlich Verletzten, bei denen nie seriös geklärt wurde, ob ein rassistisches Tatmotiv bestand.

Es existieren in der Schweiz kaum Organisationen, die solche Fälle recherchieren und öffentlich machen würden. Zwar sind im Zusammenhang mit der Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg rund zehn Millionen Euro für antirassistische Projekte zur Verfügung gestellt worden, jedoch verschwand ein Großteil der Gelder in Projekten, wo jede klare politische Positionierung gescheut wurde. Es existiert heute ein Netzwerk von Anlaufstellen für Opfer rassistischer Gewalt, in der Praxis funktionieren diese jedoch nicht.

Recht lebendig ist allerdings die Neonazi-Szene, die sich stark an den »freien Kameradschaften« und der NPD orientiert, es aber bislang nicht geschafft hat, eine eigenständig schweizerisch-nationalistische Position zu entwickeln, die über die Deutschtümelei hinausgehen würde. Feder­führend innerhalb der Neonazi-Szene ist die Partei national orientierter Schweizer (PNOS) sowie Blood & Honour. Die SVP, insbesondere Chris­toph Blocher, genießt innerhalb der Neonazi-Szene großen Respekt. Für die SVP selbst hingegen gibt es in der Schweiz keine Neonazis. Aus bekennenden Neonazis werden kurzerhand patriotische Burschen gemacht, wirkliche Berührungsängste gibt es auf beiden Seiten nicht. Am gescheiterten »Marsch auf Bern« am 6. Ok­tober nahmen auch zahlreiche Neonazis teil. Führende Exponenten der SVP, wie beispielsweise Dr. Ulrich Schlüer, der immer wieder rassistische Initiativen wie das Minarett-Verbot lanciert, sind klar im rechtsextremen Lager anzusiedeln. Diese Verquickung liegt im Programm der SVP begründet, ganz nach der Devise, die der Parteipräsident Ueli Maurer einmal formulierte: »Es darf rechts von der SVP keine andere Partei geben.«

Die eigentliche politische Stärke der SVP aber liegt in der Schwäche der politischen Gegner. Sie profitiert von der Zahnlosigkeit und Feigheit der anderen. Sie muss nur kurz die Zähne zeigen, und die Kritiker verstummen im vorauseilenden Gehorsam. Einer der Gründe dafür ist sicher in der »direkten Demokratie« selbst zu suchen. Bei nichtigsten Themen wird ein Referendum initiiert und der Zorn der Bevölkerung heraufbeschworen. Sogar im rot-grün regierten Zürich käme heutzutage kaum jemand mehr auf die Idee, mit öffentlichen Geldern progres­sive soziale Projekte zu initiieren, die nicht dem Gusto der SVP entsprechen. Alleine schon die Androhung, ein Projekt zur Abstimmung zu bringen, reicht oft aus, dass eben dieses schnell wieder in der Schublade verschwindet.

Und wenn das nicht genügt, wird eben abgestimmt. So erging es beispielsweise 1998 in Zürich einem Integrationsprojekt für in der Schweiz wohnhafte Kosovo-Albaner. Obwohl das Projekt von der Stadt Zürich mit gerade mal 30 000 Euro unterstützt werden sollte, initiierte die SVP ein Referendum dagegen. Begleitet von einer Plakatkampagne »Kosovo-Albaner Nein«, die alleine schon eine halbe Million Euro kostete, wurde das Projekt zur Abstimmung gebracht und so verhindert. Eine Strafanzeige der Demokratischen Juristinnen und Juristen (DJS) wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm blieb damals so chancenlos wie unlängst eine Sammelklage der Partei der Arbeit (PdA) gegen die Schafsplakate.

Es gibt kaum bürgerliche Stimmen, die sich offen gegen die SVP stellen. Am liebsten würde man das leidige Thema einfach totschweigen und so tun, als ob es keine SVP und keinen Christoph Blocher gäbe. Es gibt kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung oder gar Widerstand gegen die xenophobe Politik der SVP in der Schweiz. Und solange die SVP den Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft abrufen kann, wird sie ihren Siegeszug ungehindert fortsetzen. Der Schweizer selbst hält sich für besonders aufgeklärt, liberal, weltoffen und empfindet sich als Nabel der Welt. Schließlich wähnt sich die Schweiz als Ur-Demokratie und als Land der humanitären Traditionen. Was diesem Selbstbild abträglich ist, wird in der Regel einfach totgeschwiegen.

Dass die Schweiz ein massives Rassismus-Problem hat, lässt sich nicht von der Hand weisen, doch dessen Wahrnehmung unterscheidet sich im In- und Ausland eklatant. Was hierzulande nur ein Schulterzucken verursacht, wäre in vielen anderen Ländern schlichtweg undenkbar.

Vielleicht ist dieser Rassismus auch historisch bedingt, und Jahrhunderte der Selbstisolation haben ihre Spuren hinterlassen. Es gab nie Druck auf den »Sonderfall Schweiz«, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und es gibt vor allem keine Debatte innerhalb der moderaten und progressiven Kräfte über den Umgang und die Strategien gegen die SVP. Die Wahrheit ist, dass die Schweizer schon längst kapituliert haben.