Car Wars

In der vorigen Woche hat der Europäische Gerichtshof das VW-Gesetz teilweise für ungültig erklärt. Dem Konzern und vor allem seinen Mitarbeitern stehen einschnei­dende Veränderungen bevor. Von Lutz Getzschmann

Das VW-Gesetz aus dem Jahr 1960 besagt im Kern, dass kein Aktionär des Konzerns über mehr als 20 Prozent der Stimmen in der Hauptversammlung verfügt, selbst wenn er mehr Anteile besitzt. Außerdem garantiert das Gesetz dem Land Niedersachsen und dem Bund je zwei Sitze im Aufsichtsrat, solange sie VW-Aktien halten. Der Bund hat seine Aktien allerdings schon vor langer Zeit abgestoßen.

Das VW-Gesetz räumte der niedersächsischen Landesregierung im Zusammenspiel mit der IG Metall einen großen Einfluss auf den Konzern ein. Da die Volkswagen AG unter die Montanmitbestimmung fällt, also der Aufsichtsrat je zur Hälfte mit Vertretern der Lohnabhängigen und des Unternehmens besetzt ist, war das Management bisher auf eine enge Kooperation mit einer lange Zeit sozialdemokratisch geführten Landesregierung und der IG Metall angewiesen. Entsprechend war VW bisher ein sozialpartnerschaft­licher Vorzeigekonzern: mit eingebundenen Gewerkschaftsfunktionären, übertariflichen Löhnen und angeblich einer, wie im Konzernvorstand immer wieder betont wurde, niedrigen Produktivität. Die Befriedung seiner Beschäftigten ließ sich der Konzern etwas kosten. Diese Verhältnisse haben sich seit den neunziger Jahren allmählich geändert.

Kontinuierlicher Abbau von Arbeitsplätzen, niedrige Tarifabschlüsse, repressive Maßnahmen, um den Krankenstand der Beschäftigten deutlich zu drücken, die Ablösung der sozialdemokratischen Landesregierung und schließlich der Skandal um die besonders fürsorgliche Betreuung von Betriebsräten durch Peter Hartz und seine Kollegen vom VW-Vorstand: Die Gewerkschaft steht unter Druck, und gleichzeitig deuteten sich seit einiger Zeit große Veränderungen der Konzernstruktur und -strategie an. Der Sportwagenhersteller Porsche hält inzwischen 31 Prozent der Anteile an VW, wurde in seinen Bemühungen um die Übernahme des Konzerns jedoch durch das VW-Gesetz gehindert. Dies ändert sich nun – mit gravierenden Folgen unter anderem auch für die bisher 324 000 Beschäftigten bei VW.

Mit dem Ende des VW-Gesetzes wird längerfristig neben der Höchstgrenze von 20 Prozent beim Stimmrecht auch die Mitgliedschaft der niedersächsischen Landesregierung im Aufsichtsrat enden. Zwar hat der neue Herr im Haus, der Vorstandsvorsitzende von Porsche, Wendelin Wiedeking, angekündigt, Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) weiterhin im Aufsichtsrat zu akzeptieren. Ein Widerspruch gegen den Umbau des Kon­zerns ist von diesen jedoch ohnehin nicht zu erwarten, und im Zweifelsfall könnte der Vorstand von Porsche nach dem Urteil jederzeit die Regierungsvertreter ausschließen. Der Einfluss des Staats auf den Konzern wird durch das Urteil noch geringer. Es bietet also eine gute Vorlage für radikale Veränderungen der internen Macht­verhältnisse und der Unternehmensstruktur.

Der Vorstand von Porsche begrüßte das Urteil, wie zu erwarten war. Gleichzeitig stellte er weiter Umgestaltungsansprüche. Die Aufstockung der Porsche-Anteile auf über 50 Prozent scheint noch nicht formell beschlossen worden zu sein. Ein Porsche-Sprecher sagte jedoch bereits, dass das Unternehmen sich zu diesem Zweck bereits die Option auf Bankkredite in Höhe von zehn Milliarden Euro gesichert habe.

Geschichtlich gesehen wäre die Machtübernahme Porsches bei VW eine Wiedervereinigung und eine faktische Rücknahme von Entflechtungs­maßnahmen, die nach 1945 erfolgt waren, um die deutschen Rüstungskonzerne zu zerschlagen, die die Kriegsanstrengungen des Nationalsozialismus gewinnbringend vorangetrieben hatten. War es doch schließlich der SS-Oberführer und Wehrwirtschaftsführer Ferdinand Porsche gewesen, der im Auftrag Hitlers den »Käfer« als »Volks­wagen« konstruiert und im Jahr 1938 das gleichnamige Unternehmen gegründet hatte, das dann im Zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen vor allem Rüstungsgüter produzierte.

Seine rechte Hand dabei war übrigens sein Schwiegersohn, Anton Piëch, dessen Sohn, Ferdinand Piëch, von 1993 bis 2003 Vorstandsvorsitzen­der bei VW war und heute dort Aufsichtsratsvorsitzender ist. Ferdinand Porsche hingegen wurde nach 1945 gezwungen, seine führende Rolle bei VW aufzugeben und ein Familienunternehmen unter eigenem Namen zu gründen. Durch allerlei Lizenzverträge und das VW-Alleinvertretungsrecht in Österreich war die Firma Porsche jedoch von Anfang an mit dem VW-Konzern verbunden. Porsche verdiente wegen der ihm gehörenden Patente an jedem »Käfer«, der verkauft wurde, 0,1 Prozent des Listenpreises.

Was wird sich nun konkret verändern? Der Spiegel spekuliert bereits über die bevorstehende Zer­schlagung des Konzerns. Tochterfirmen wie Seat und Skoda könnten im Rahmen der künftigen gemeinsamen Porsche-VW-Holding als eigenstän­dige Tochterunternehmen ausgegliedert werden. Wer übrig bleibt, darüber würde dann der Markt und die konzerninterne Konkurrenz entscheiden. Zumindest für Seat könnte es dabei eng werden.

Für die Beschäftigten bei VW dürften harte Zeiten anbrechen. Derzeit werden an den deutschen Produktionsstandorten bereits 20 000 Arbeitsplätze abgebaut. Gleichzeitig steigen die Gewinne: In den ersten neun Monaten des Jahres 2007 hat der Konzern fast 4,3 Milliarden Euro umgesetzt und seinen Gewinn nach Steuern mit 2,9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. An der Börse beeindruckt dies niemanden. Der Kurs gab nach Bekanntgabe der Zahlen sogar leicht nach. Und wie die Aktionäre könnte auch die neue Eigentümerfamilie Porsche/Piëch noch erheblich höhere Erwartungen haben. Die nächsten Tarifverhand­lungen dürften schwierig werden.

Vorsorglich forderte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh in der Bild-Zeitung »ein klares Signal, dass die Eigentümer-Familien Porsche und Piëch sich zu ihrer sozialen Verantwortung bekennen. Dazu gehört die Einhaltung von Tarifverträgen und Arbeitsplatzgarantien.« Doch der gewerkschaftliche Co-Manager kapitulierte bereits im selben Atemzug und räumte ein, es sei ein geschärftes Bewusstsein für »notwendige Veränderungsprozesse« erforderlich. Jedem bei VW müsse klar sein, dass der Konzern sich »in einem globalen Krieg der Autobauer« befände. Eine Kampfansage klingt anders.