Harmonie für alle Klassen

Chinas KP setzt auf »Harmonie«, »bescheidenen Wohlstand« und »nachhaltige« Entwicklungsstrategien. Die wachsenden Probleme des Landes berührt das wenig. von volker häring

Für chinesische Verhältnisse ging der 17. Parteitag der Kommunisten unglaublich schnell über die Bühne: Nur sieben Tage tagten die Vertreter der KPCh diesmal, am 21. Oktober war schon wie­der alles zu Ende. Zwar sparte Generalsekretär Hu Jintao in seiner Eröffnungsrede nicht an Kritik und einige alt gediente Kader mussten das ZK »aus Altersgründen« verlassen. Die Zeiten der Richtungskämpfe zwischen Reformern, Zentristen und Reformgegnern sind jedoch endgültig vor­bei.

Innerhalb der kommunistischen Partei haben sich die Reformer durchgesetzt. Die Macht in Par­tei und Staat ist nicht nur offiziell, sondern auch faktisch von dem ehemaligen – inzwischen 81jäh­rigen – Generalsekretär Jiang Zemin auf Hu Jintao übergegangen. Was an Konflikten bleibt, sind eher persönliche Rivalitäten als ideologische Differenzen. Auch wenn sich vor dem Parteitag 100 Intellektuelle, vor allem ältere Menschen, gemeldet hatten und eine Rückkehr zu den Werten der Mao-Zedong-Ära forderten, ist dies nur ein letztes Zucken des chinesischen Sozialismus und sei­ner zumeist greisen Verteidiger. »Kapitalismus« wird in der Volksrepublik nun »bescheidener Wohl­stand« genannt, wobei als Vordenker eher Ludwig Erhard und John Maynard Keynes gelten kön­nen als Karl Marx. »Traditionalisten« heißen die Verteidiger kommunistischer Ideale inzwischen, und sie stehen spätestens seit dem 16. Parteitag 2002 und dem Rücktritt Jiang Zemins auf verlorenem Posten. Nach außen strahlte der 17. Parteitag eine seltene Harmonie aus.

Dennoch waren die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Tagungsort, die Große Halle des Volkes auf dem Tian’anmen-Platz, streng und umfassend. Dissidenten wurden bereits zuvor eingeschüchtert und zum Teil unter Hausarrest gestellt. Auf den ersten Blick scheint die Sorge der KPCh übertrieben. Die chinesische Wirtschaft boomt, im vorigen Jahr lag das Wirtschaftswachs­tum offiziell bei 10,7 Prozent. Mit den Olympischen Spielen 2008 steht dem Land ein internationales Großereignis ins Haus, das die interna­tionale Reputation des Landes verbessern und die Wirtschaft weiter ankurbeln dürfte.

Ein großes Problem ist jedoch die zunehmende Armut im Land. Das obere Fünftel der chinesischen Gesellschaft verfügt inzwischen über mehr als 80 Prozent des Gesamteinkommens. 1990 lag dieser Wert noch bei etwa 39 Prozent. Ähnlich drastisch ist das Einkom­mens­gefälle zwischen Stadt und Land. Die Öffnung für den Kapitalismus, die die KPCh seit nunmehr drei Jahrzehnten betreibt, kann sie nicht mehr rückgängig ma­chen.

Fraglich ist, ob sie das überhaupt will. »Wenn man das Fenster aufmacht, kommen auch Fliegen herein«, mahnte einst Deng Xiaoping und meinte den schädlichen westlichen Einfluss auf chinesische Intellektuelle. Die zunehmend fetter werdenden Fliegen sitzen nun bereits im Zimmer, und, was aus Sicht der KP viel schlimmer ist, vor allem in der Partei. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass die KP seit dem 16. Parteitag verstärkt Unternehmer umwirbt. Andererseits liegt es daran, dass in den letzten 20 Jahren ein Großteil der Kader ihre Beziehungen nutz­ten, um sich und ihrer Familie ein zweites Standbein in der Wirtschaft zu schaffen. Das in Hongkong erscheinende Magazin Far Eastern Economic Review veröffentlichte vor kurzem eine Studie, nach der 2 932 der 3 220 Chinesen, die ein Vermögen von mehr als 100 Millionen Yuan (knapp 10 Millionen Euro) besitzen, Kinder von Kadern seien.

Hu Jintao kritisierte in seiner Eröffnungsrede, dass die Partei das Volk enttäuscht habe. Dies ist zum einen auf die mangelhafte Globalsteuerung von Wirtschaft und Gesellschaft, vor allem aber auf die zunehmende Selbstbedienungsmentalität vieler Kader gemünzt, die zu einer in den vergangenen Jahren rapide gesunkenen Reputa­tion der Partei vor allem in den ländlichen Gebieten führte. Offener Protest von Bauern und Ar­bei­tern ist in den vergangenen Jahren häufiger ge­worden und wendet sich vor allem gegen die Korruption in der unteren Kader- und Verwaltungs­ebene. Als Reaktion auf die Unzufriedenheit auf dem Land hat die Regierung bereits vor dem Parteitag die Abgabenlast der Bauern vermindert und die illegale Besteuerung durch lokale Kader zu verhindern versucht. Vielen Bauern geht es dadurch heute deutlich besser als noch vor einem Jahr.

Der durch das Fernsehen bis in den hintersten Winkel des Landes sichtbare Wohlstand in den Großstädten der Ostküste relativiert diese kleinen Einkommensgewinne jedoch wieder. Zumal die Lebensqualität durch die nicht mehr zu ignorierenden katastrophalen Umweltschäden deutlich eingeschränkt wird. Nach Informationen der Weltbank ist die Trinkwasserversorgung von mehr als 300 Millionen Chinesen gefährdet. Die Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung in Chinas großen Städten bricht alle Rekorde, der individuelle Autoverkehr verstopft schon jetzt die Straßen der Großstädte. Wie bereits im März während der Sitzung des Nationalen Volkskon­gresses, des chinesischen Parlaments, beschlossen, sprach sich nun auch der Parteitag für eine Förderung »nachhaltiger Entwicklungsstrate­gien« aus.

Einerseits versucht sich die chinesische Führung hiermit gerade im Hinblick auf die an­ge­streb­ten »Grünen Olympischen Spiele« zu pro­fi­lieren, andererseits ist dies auch eine notwendige Flucht nach vorn. Es solle kein Wirt­schafts­wachs­tum mehr um jeden Preis in China geben, so Hu Jintao. Umweltschutzerziehung und Energiespar­maßnahmen werden wohl schon bald die üb­lichen Parteiparolen von Prosperität und Stabi­lität ablösen. Angesichts der katastrophalen Situation bleibt der KP gar nichts anderes übrig, als umwelt­politisch zu handeln.

Dass auch Reformen des politischen Systems überfällig sind, will man nicht vollständig den Rückhalt der Basis verlieren, ist der Partei klar. Politische Reformen werden keinesfalls generell ausgeschlossen, zur Aufrechterhaltung der po­litischen Stabilität sollen diese aber möglichst nur unter der strengen Kontrolle der KP und allmählich stattfinden. Wichtig, so Hu Jintao in seiner Rede vor dem Parteitag, sei die Schaffung einer »harmonischen Gesellschaft«. »Extreme« Positionen, sei es aus liberaler, traditioneller oder kapitalistischer Ecke, haben nach Auffassung der KP in der modernen chinesischen Gesellschaft keinen Platz.

Die Volksrepublik China ist jedoch inzwischen an einem Punkt angelangt, wo die Probleme nicht mehr totgeschwiegen werden können und die größer werdende urbane Mittelschicht zunehmend politische Partizipation fordert. Viele sehen ein Mittel der Mitbestimmung jedoch durchaus auch im Beitritt zur Partei. Die Mitgliederzahl der KP ist in den letzten zehn Jahren um sieben Millionen auf 72 Millionen Mitglieder gestiegen. Wobei ein Eintritt in die Partei oft auch als karrierefördernd angesehen wird, so dass emanzipatorische Impulse durch Neueintritte durchaus kritisch in Frage gestellt werden müssen.

Noch geht es der urbanen Mittelschicht jedoch zu gut, als dass sie die Politik der KP entscheidend in Frage stellen würde. Solange diese stabiles Wirtschaftswachstum und steigende Lebensqualität auch in ökologischer Hinsicht garantieren kann, wird kaum jemand das politische Machtmonopol der KP ernsthaft herausfordern. Und der Landbevölkerung, die trotz einiger Fortschritte weiterhin zu den Verlierern der Reformpolitik ge­hört, fehlt die politische Macht.