Privatsphäre 2.0

Das Private war mal politisch und ist heute vor allem internet-affin. Warum Datenschutz bei vielen Usern kein Thema ist. Von Elke Wittich

Ein Junge schläft, von seinen Kumpels mit Filzstift bemalt und an intimen Körperstellen mit Kartoffelsalat dekoriert, in einer Ecke seinen Rausch aus. Ein tanzendes Mädchen zieht unter dem Gejohle der Umstehenden plötzlich sein T-Shirt aus und präsentiert seine nackten Brüste.

Es sind von den Betroffenen oft selbst ins Internet gestellte und mit launigen Kommentaren versehene Bilder und Filmchen wie diese, die die US-amerikanische Journalistin Emily Nussbaum meint, wenn sie sagt: »Das Verhältnis zur Privatsphäre ist einer der Hauptunterschiede zwischen den heutigen Generationen.« Themen wie Datenschutz und Privatsphäre entzweiten Eltern und Kinder heute ähnlich wie früher Rock­musik, schrieb Nussbaum kürzlich in einem Aufsatz in der New York Times.

Die sorglose Offenheit, mit der vor allem Jugendliche und junge Erwachsene Weblogs als Tagebücher nutzen und über ihr Sexualleben genauso offen berichten wie über Schumme­leien bei Klassenarbeiten oder über Drogen­experimente, ist vor allem für ältere Menschen kaum nachzuvollziehen.

Dabei ist den wenigsten Internetnutzern klar, wie gläsern man als User bereits jetzt ist. Die Spuren, die man beim Surfen auf jeder einzelnen Webseite hinterlässt, sind vielfältig.

Webseiten-Provider bieten Pagebetreibern tägliche Benutzer-Statistiken an, in denen sowohl Datum, Uhrzeit und Länge der Besuche als auch weitere Details vermerkt sind. Angezeigt werden außerdem die Webpage, von der ein Visitor gekommen ist, über welche Stichworte bei einem Searchengine er auf das Angebot stieß, was für einen Rechner mit welcher Software er benutzt. Und die benutzte IP-Nummer, die weitere Rückschlüsse auf die Person hinter dem Computer erlaubt: Über den Anbieter Ipsearch.com können Betreiber herausfinden, welchen Internetdienst man benutzt und auch, aus welcher Stadt man kommt. Die neueste Demo-Version, www.ip2location.com/1.2.3.4, zeigt zusätzlich den Längen-und Breitengrad an, bislang nur in einer groben Variante, die auf das Zentrum des jeweiligen Ortes verweist – in Zukunft könnten allerdings auch Stadtteile oder sogar die Straße, in der ein User wohnt, so ermittelbar sein.

In Foren hinterlassen User noch weit mehr persönliche Informationen. Wohnort, ICQ- und Skype-Nummer, Fotos, Alter, E-Mail-Adresse gehören zu den Angaben, die die meisten Foren-Nutzer freiwillig zu ihrem in aller Regel öffentlich einsehbaren Profil hinzufügen.

Und sie sind dabei trotz schlechter Erfahrungen extrem sorglos: Das Meinungsforschungsinstitut Kairos Future befragte im Auftrag der schwedischen Datenschutzbehörde »Data­inspek­tionen« 500 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren über ihre Ansichten zum Thema Privat­sphäre und Internet. Obwohl kurz zuvor eine landesweite Kam­pagne über die Risiken im Inter­net aufgeklärt hatte, war das Ergebnis erschreckend. »Zwischen Wissen und Handeln besteht kein Unterschied«, erklärte ein Mitarbeiter von Kairos Future. Jemand, der die Datenschutzrichtlinien und seine Rechte als Konsument kennt und genau weiß, welche Informationen er beim Surfen hinterlässt, verhält sich nicht anders als jemand, der vollkommen ahnungslos im WorldWideWeb unterwegs ist.

83 Prozent der Befragten nutzen der Unter­suchung zufolge das Internet täglich, um zu chatten und zu surfen. Jeder hatte im WWW bereits ein Bild von sich veröffentlicht, fast jeder – 79 Prozent – tat dies unter Nennung seines eigenen Namens.

Dabei hätten viele durchaus Grund gehabt, mit der Preisgabe persönlicher Details vorsichtig zu sein: 51 Prozent hatten persönliche Angriffe erlebt, 25 Prozent waren Opfer von Identitätsdiebstahl geworden, das heißt, eine andere Person war im Internet unter ihrem Namen aufgetreten.

Trotz dieser negativen Erfahrungen gaben lediglich 33 Prozent der befragten Teenager an, sich Sorgen darüber zu machen, dass von ihnen veröffentlichte Bilder oder Postings gegen sie verwendet werden könnten.

Mehr als 50 Prozent haben der Untersuchung zufolge allerdings niemals einen Gedanken da­ran verschwendet, wie ihre persönlichen Informationen verwendet oder missbraucht werden könnten – nach Angaben der Forscher glaubten viele, dass alles, was im Internet veröffentlicht wird, nach ein paar Jahren »irgendwie von selber« verschwinde.

Dabei hat jeder, der schon einmal eine Suchmaschine benutzt hat, festgestellt, dass zum Beispiel Google selbst von nicht mehr existierenden Seiten noch Textzeilen anzeigt. Auch können eigentlich vom Netz genommene Seiten in Internetarchiven noch komplett verfügbar sein – keine guten Aussichten für den betrunkenen Jungen mit den mayonnaisebeschmierten Ohren und der aus dem Hosenschlitz baumelnden Gurke. Falls er sich in einigen Jahren für einen Job als Filialleiter bewirbt, ist es gut möglich, dass das alte Party-Foto über seine weitere berufliche Karriere entscheidet. Schon jetzt haben sich Detekteien darauf spezialisiert, im Auftrag von Firmen Informa­tio­nen aus dem Internet über einen Bewerber zusammenzutragen.

Personalchefs sind allerdings nicht auf Hilfe von Detektiven angewiesen. Seit August 2007 befindet sich der auf Personensuche zugeschnit­tene Searchengine Spock in der öffentlichen Beta-Testphase. Spock, abgekürzt für »single point of contact (by) keyword«, ist als eine Art Google für Menschen darauf spezialisiert, öffentliche Plattformen wie MySpace, Blogs, LinkedIN und Wikipedia zu durchsuchen. Spock wird nach der Fertigstellung nicht nur nach Namen suchen können, sondern auch Namen und Bilder anzeigen, wenn nach Begriffen gesucht wird, und so zum Beispiel detaillierte Angaben über eine gesuchte Person zusammentragen.

Schon jetzt wirft die Suchmaschine, die bisher nur in einer englischsprachigen Version existiert, zum Beispiel unter dem Begriff »democrats« Namen von Leuten aus, die der amerikanischen demokratischen Partei in irgendeiner Form verbunden sind.

Auch die Suche nach Fotos wird in Zukunft wesentlich einfacher sein – und manche dann vergessene Jugendsünde zutage fördern.

Kürzlich wurde Google Portrait vorgestellt, ein von Schweizer Informatikern des Instituts IDIAP (Institut Dalle Molle d’Intelligence Arti­ficielle Perceptive) entwickeltes Programm, mit dessen Hilfe Gesichter auf Fotos erkannt werden können. Das Programm sorgt per Filter dafür, dass dem Suchenden nur Bilder menschlicher Gesichter präsentiert werden. Und die dazugehö­rigen Namen, wie Sébastien Marcel, Forschungs­beauftragter am IDIAP, erklärt: »Jeder Benutzer kann Fehler von Google Portrait korrigieren und dem dargestellten Gesicht den richtigen Namen zuweisen. Damit können wir eine riesige Datenbank mit Bildern und den zugeordneten richtigen Namen anlegen. Wenn die Software dann die Ergebnisse ihrer Suche mit den elektronischen Daten dieses Katalogs vergleicht, dürfte es gelingen, den gefundenen Gesichtern die richtige Identität zuzuordnen.«

Und was hilft gegen die Fotosuche, gegen Cyber­detektive und neugierige Webseitenbetreiber?

Amerikanische Datenschützer haben einfache Regeln für den Schutz der Privatsphäre entwickelt: In Blogs, Foren und auf Plattformen wie My­Space sollte man grundsätzlich nicht unter richtigem Namen auftreten, die Preisgabe persönlicher Details wie Adresse, Telefonnummer oder Arbeitsstelle sollte tabu sein.

Da man keine Kontrolle darüber hat, wer sich persönliche Fotos anschaut oder sogar weiterverwendet, sollten nur solche Bilder veröffentlicht werden, die man auch einem späteren Arbeitgeber zeigen würde.

So weit, so einfach. Doch es gibt noch einen weiteren Punkt, den selbst sehr vorsichtige Inter­netuser, die keinerlei persönliche Details über sich verraten, nur ganz selten beachten: Datenschutzerklärungen sind nicht dazu da, sie genervt ohne weiteres Durchlesen zu akzeptieren. Sie enthalten in aller Regel genaue Angaben darüber, welche Informationen ein Unternehmen oder Seitenbetreiber über den User sammelt. Insbesondere bei Spielen kümmert sich allerdings kaum jemand um diese Datenschutz­erklärungen oder EULAs (End User License Agree­ments).

John Lagrave, Senior Producer im wegen des Einsatzes von Spionagesoftware in die Kritik geratenen World-of-Warcraft-Team erklärte dazu: » User sollten jedes EULA aufmerksam lesen. Wenn sie es nicht tun, dann kommt das der Klage ›Ich habe den Vertrag nicht gelesen, bevor ich ihn unterschrieben habe – warum gehört dem Teufel nun meine Seele?‹ gleich.«