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Zwei sehr unterschiedliche Bücher befassen sich mit den Beziehungen zwischen den USA und Israel. John J. Mearsheimer und ­Stephen M. Walt behaupten in »Die Israel-Lobby«, dass die amerikanische Außenpolitik unter dem Einfluss des jüdischen Staates stehe. Der Historiker Michael B. Oren untersucht in »Power, Faith and Fantasy« die Verwandtschaft zwischen dem amerikanisch-protestantischen Siedlerethos und dem Aufbau-Utopismus des Zionismus. Von Uli Krug
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Wer also meint, ohne Israel, die angebliche Supermacht im Nahen Osten, würden Sunniten keine Schiiten mehr um­bringen, Ussama bin Laden sich landwirtschaftlichen Pro­jekten im Sudan widmen, die moslemischen Gemeinden in Europa sich ihrer Umgebung an­pas­sen und der Ölpreis drastisch fallen, der wird die Botschaft von Mearsheimer und Walt si­cher­lich mit Gewinn lesen«, beschrieb Walter Laqueur jüngst den idealtypischen Käufer und Leser der deutschen Ausgabe von »Die Israel-Lobby«. Die Lobby erscheint in der Darstellung von Mearsheimer und Walt tatsächlich als so mächtig, dass sie den Weltfrieden stets aufs Neue sabotieren könne. Woran es dann aber liegt, dass die angeblich so mächtige Lobby die Enthüllung ihrer Aktivitäten nicht zu verhindern vermag, fragen sich weder die Autoren noch ihre Leser.

Der Verbreitungsgrad und die Wirkmächtigkeit von Elaboraten wie »Die Protokolle der Weisen von Zion« oder »Mein Kampf« belegen nämlich eher das Gegenteil der in ihnen behaup­teten These von der jüdischen Weltherrschaft. Und ähnlich verhält es sich auch mit der »Israel-Lobby«. Zwar wollen die beiden Autoren nicht gar so weit gehen wie andere Verschwörungstheoretiker, die alles Übel auf der Welt von A wie Aids bis Z wie Zins auf jüdischen Einfluss zurückführen. Aber auch das Vorhaben der Aka­demiker Mearsheimer und Walt ist nicht eben bescheiden: der versuchte Nachweis nämlich, dass die gesamte amerikanische Außenpolitik wie auch die öffentliche Meinung seit der Ära Kennedy von der »Israel-Lobby« gelenkt werde. Diese Lobby sei deshalb am islamischen Anti­amerikanismus inklusive 9/11 ursächlich schuld und habe letztlich nicht davor zurückgeschreckt, den Irak-Krieg anzuzetteln. »Washingtons enge Beziehungen zu Jerusalem machen es schwerer, jene Terroristen zu besiegen, die jetzt die USA angreifen. Gleichzeitig untergraben sie Amerikas Ansehen bei wichtigen Verbündeten weltweit«, tönt es in einer noch vergleichsweise zurückhaltend formulierten Passage des Werks.

Und so geht es ständig, in geradezu paranoischem Wiederholungszwang: Die Juden sind schuld daran, wenn die islamische Welt den Wes­ten, insbesondere die USA hasst. Letztlich aber setzt die Beweisführung beispielsweise dafür, dass die Israel-Lobby den Irak-Krieg angestiftet habe, nur auf die Person von Richard Perle, der dem amerikanischen Antisemiten in etwa das zu sein scheint, was Walter Rathenau dem deutschen Weißgardisten einst bedeutete. In Wirklichkeit war der dämonisierte Perle ledig­lich Vorsitzender eines beratenden Ausschusses im Verteidigungsministerium, besaß nie direkten Zugang zum Präsidenten und bekleidete nie ein Regierungsamt. Und so kläglich wie im Fall Irak-Krieg misslingt auch auf anderen Gebieten die Beweisführung – die angeführten Fakten wollen einfach nicht recht zu den herausposaunten Thesen passen.

Nun kostete dieses Opus die mutigen Enthüller keineswegs die Lehrstühle, sondern brachte ihnen vielmehr einen stattlichen Verlagsvorschuss von etwa einer Million Dollar ein. Die an­geblich so überaus mächtige Israel-Lobby ist also nicht in der Lage, mit Mearsheimer und Walt fertigzuwerden, und auch nicht dazu, ein gar nicht so kleines Segment der Bücher lesenden Bevölkerung vom Kauf abzuhalten – und doch soll diese Lobby die Strippen in den un­ter­schiedlichsten US-Administrationen und der öffentlichen Meinung seit 45 Jahren ge­zogen haben, also in den Worten der Autoren so­wohl »den politischen Prozess gelenkt« als auch »den öffentlichen Diskurs beherrscht« haben?

Tatsächlich besitzt Israel in den USA eine keineswegs einflusslose Lobby, zentriert um das AIPAC (American Israel Public Affairs Committee). Eine Lobby, an der aber nichts Geheimnisvolles oder gar Übermächtiges ist, genauso wenig wie an den Lobbys der Kriegsveteranen, der Ge­wehr­besitzer, der Rentner, der spanischsprachigen Immigranten etc. Nicht zu vergessen die überaus spendenstarken Lobbys der Ölimporteure und der Waffenexporteure (deren Interessen von mit denen Israels divergieren), aber auch die der Tierschützer, der Hausbesitzer oder der Rinderzüchter. Eine derart hegemoniale Dominanz einer Lobby, wie es Mearsheimer und Walt suggerieren, ist deshalb in den USA schlechterdings unmöglich. Allein das komplizierte und langwierige Verfahren der US-Präsidentenwahlen, mit ihren jahrelangen Test- bzw. Vorabstimmungen und Spendenrallys, schließt das schon rein logisch aus. Unzählige Kom­promisse müssen da geschlossen, grundverschiedene Gruppen bezirzt werden (und da haben andere Lobbys mehr zu bieten als das AIPAC – insbesondere für republikanische Präsidentschaftsbewerber).

Aber eines haben die Juden eben doch voraus, finden Mearsheimer und Walt: die Ausch­witz-Keule nämlich, und die würden sie mächtig schwin­gen. Die Waffe der Juden sei also der Antisemitismus – mit diesem über alle Maßen abgeschmackten Stereotyp wehren die Autoren den Einspruch ab, den schlicht die politische Rea­lität in den USA diktiert. Konsequent in seiner antimoralischen Einstellung ist das zur »neo­realistischen« Schule zählende Autoren-Duo aber ohnehin. Diese Schule plädiert nämlich für eine vollständige Loslösung der amerikanischen Außenpolitik von Fragen der gesellschaft­lichen Beschaffenheit von Freund und Feind. Das aber wäre nun keineswegs realistisch, sondern verrückt und selbstmörderisch, denn die »Neorealisten« verschweigen, wie ihre anvisierten Partner (Syrien, Iran) ideologisch ausgerichtet sind: eliminatorisch antiwestlich nämlich. Was insbe­sondere Walt, den man getrost einen Lobbyisten des Mullah-Iran nennen kann, nicht hindert, seit Jahren für eine Annäherung der USA an diesen Staat zu werben.

Allerdings verfängt solch gefährlicher Unfug bei der politischen Klasse der USA so gut wie gar nicht. Was Mearsheimer und Walt aber zum Absondern sinistrer Verschwörungstheorien animiert, geht tatsächlich auf eine gesellschaftlich sogar majoritätsfähige Grundsympathie für Israel in den USA zurück – etwas, was man sich in Deutschland einfach nicht vorstellen kann, wo zwei Drittel der Bevölkerung Israel für eine Bedrohung des Friedens halten und nicht seine Feinde. Während in Deutschland Naturromantik und Glorifizierung des Ursprünglichen die Vorstellungswelt wesentlich mitbestimmen, dominieren in den USA seit Jahrhunderten entgegengesetzte gesellschaftliche Wunsch­bilder: Urbarmachung der Wildnis und rule of law.

Der Historiker Michael B. Oren weist in seinem Bestseller »Power, Faith and Fantasy. America in the Middle East« darauf hin, dass der Pro-Zio­nismus in den USA in die Anfänge des neuen Staates zurückweist. Schon die Pilgerväter der Mayflower bezeichneten das von ihnen gegründete Gemeinwesen als das »Neue Israel« und forderten dazu auf, »Israels Söhnen und Töchtern das Gelobte Land Ihrer Vorväter« zurückzugeben. 1819 forderte US-Präsident John Adams im Zuge der Neuordnung nach Napoleon »einen unabhängigen Staat der Juden in Judäa« und seine Nachfolger bewunderten wie die Mehrheit ihrer Mitbürger die Aufbauleistun­gen der jüdischen Siedler im britischen Mandatsgebiet: Zu ähnlich war die jüdische Einwanderergesellschaft, die das Land aufbaute, der eigenen ame­rikanischen. Solche Gemeinsamkeiten bestimmen die freundschaftliche Haltung der USA zu Israel bis heute viel mehr, als eine noch so mächtige Lobby es je bewirken könnte – doch von der Wirklichkeit hat sich die Lust am Verschwörungsglauben bekanntlich noch nie dämpfen lassen.

John J. Mearsheimer/Stephen M. Walt: Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird. Campus, Frankfurt/M. 2007, 503 Seiten, 24,90 Euro

Michael B. Oren: Power, Faith and Fantasy. America in the Middle East: 1776 to the Present. Norton, New York 2007, 672 Seiten, ca. 35 Euro