Türkisches ­Volksfest

Die rassistische Pogromstimmung türkischer Nationalisten ist durch die Krise im Nordirak an ihren bisherigen Höhepunkt gelangt.

Etwa 1 200 Demonstranten sorgten am vergangenen Sonntag auf dem Berliner Hermannplatz für türkische Volksfeststimmung. Eine Gruppe der Berliner Janitscharen hatte zu einer Unterstützungskundgebung für den Kampf des türkischen Militärs gegen die kurdische PKK aufgerufen. Familien tummelten sich gemeinsam mit Jugendlichen, die triumphierend das Zeichen der Grauen Wölfe zeigten. Es ist nicht verwunderlich, dass es derzeit nach türkisch nationalistischen Versammlungen zu Angriffen auf kurdische Vereine und Jagd auf Kurden kommt, die sich in Cafés und Wohnungen flüchten müssen, wie es am Sonn­tag nach der Kundgebung in Kreuzberg und auch in anderen europäischen Städten passierte.

Denn diese Vorfälle spiegeln die Entwicklung in der Türkei, wo es in den vergangenen Wochen große nationalistische Demonstrationen und Attacken auf Kurden sowie deren Geschäfte gab. Die Demonstrationen werden von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen: Kinder bekommen zu diesem Zweck schulfrei, Universitätsrektoren rufen zur Teilnahme auf, und auch die drei im Parlament vertretenen türkischen Parteien AKP, CHP und MHP fördern die allgemeine Mobilisierung der »türkischen Na­tion«. Die zunehmend hegemonial werdende, nationalistische Stimmung in der türkischen Gesellschaft findet in dem Satz »Ya sev ya terk et« (Liebe das Vaterland oder verlass es) ihren Ausdruck. Allein in der vergangenen Woche wurden nach Angaben von Milliyet 15 Millionen türkische Nationalflaggen verkauft. Ganze Wohnblöcke sind in rot-weiß getaucht. Die wenigen, die keine Fahne aus ihrem Fenster hängen, stehen unter Verdacht. Personen, die von einem aufgebrachten türkischen Mob als kurdisch identifiziert werden, müssen Angst haben, gelyncht zu werden. In der vergangenen Woche erreichte die Gewalt auch den Westen der Türkei, kurdische Läden und Parteibüros der DTP wurden in Izmir, Istanbul, Ayvalik oder Bursa angegriffen. Neben der grundsätzlichen Identifizierung der Kurden mit der PKK beschuldigt man sie, für die zunehmende Kriminalität in der Türkei verantwortlich zu sein.

Dieser Zustand stellt allerdings nur den bisherigen Höhepunkt einer rassistischen Pogromstimmung dar, der in den letzten zwei Jahren mehrere Menschen zum Opfer gefallen sind. So wurden der katholische Priester Fabrice Santoro (Februar 2006), der türkisch-armenische Verleger Hrant Dink (Januar 2007) sowie drei Mitarbeiter eines christlichen Verlages in Sivas (April 2007) Opfer von Mordanschlägen.

Allen diesen Vorfällen ist gemein, dass die Täter glauben, die angebliche Bedrohung der Einheit der in kemalistischer Tradition als sunnitisch-türkisch vorgestellten Nation verteidigen zu müssen. Ein paranoides Bedrohungsgefühl sorgt dabei für die beständige Produktion geeigneter Feinde, seien es Armenier, Kurden oder auch Missionare, deren spezielle Gefährlichkeit in der beabsichtigen Zerstörung des religiösen Elements der nationalen Gemeinschaft ausgemacht wird. Die Krise im Nordirak ist nicht der Grund, sondern nur ein weiterer Anlass, nationalistische Aggressionen zu schüren, und sie ist für die Kurden nicht nur in der Türkei gefährlich.