Verstehen Sie 129 a?

Dass der so genannte Terrorismusparagraf vor Jahren auf Druck der EU präzisiert wurde, spricht sich sowohl bei den Ermittlungsbehörden als auch in der linksradikalen Szene nur langsam herum. kommentar von christoph villinger

Die Bundesanwaltschaft (BAW) wollte es wissen. Anfang August hatte die Polizei Andrej Holm unter dem gewagten Vorwurf der Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« (MG) in Berlin verhaftet. Als der Bundesgerichtshof (BGH) den Haftbefehl gegen den Stadtsoziologen nach internationalen Protesten am 22. August außer Vollzug setzte, hätte die BAW keine Beschwerde einlegen müssen. Aber sie tat es.

Seit voriger Woche weiß die BAW: »Bloße Vermutungen« begründen keinen »dringenden Tatverdacht«. Mit dieser in seiner Deutlichkeit für alle Beteiligten überraschenden Entscheidung bestätigte der BGH nicht nur, dass der Haftbefehl zu Recht außer Vollzug gesetzt wurde. Vielmehr sei er sofort vollständig aufzuheben. Erstaunlich, dass entgegen den linken Vorstellungen von einem geschlossenen System sogar in Karlsruhe »checks and balances« greifen.

Die Richter ließen sich auch nicht auf das altbekannte Spiel vieler Linker ein, grundsätzlich alle Ermittlungsergebnisse der Polizei als pure Behauptungen und Konstruktionen abzutun. Vielmehr ist es egal, ob Holm eine »linksextremistische Einstellung« habe und »in die Szene eingebunden« sei. Auch ob er bei der Untergrundzeitschrift Radikal mitgewirkt oder unter konspirativen Umständen Florian L., der ebenfalls der Mitgliedschaft in der MG beschuldigt wird, getroffen habe, begründe keine vom Gesetz geforderte »große Wahrscheinlichkeit«, dass Holm selbst Mitglied der MG sei. Vieles könne man auch auf andere Weise interpretieren, erklärte der BGH an die Adresse der Fahnder.

Ob die Ermittlungen aber grundsätzlich berechtigt sind, blieb offen. Noch fällten die Richter mit dem auf den Fall von Andrej Holm reduzierten Beschluss keine Grundsatzentscheidung darüber, in welchen Fällen der Paragraf 129 a überhaupt greife, wann also Fahndungsmethoden von der Überwachung des Telefons bis zum Ausschnüffeln des persönlichen Umfelds eines Verdächtigen erlaubt seien. Immerhin tauchen nach Angaben der Anwälte in den Akten der beiden derzeit nach Paragraf 129 a geführten Ermittlungsverfahren rund 1 000 Namen von Personen aus der linken Szene auf, die alle zumindest oberflächlich vom BKA auf ihre Kontakte mit den Beschuldigten abgecheckt werden.

In den kommenden Wochen steht beim gleichen Senat des BGH die Haftbeschwerde der drei Berliner an, die Ende Juli versucht haben sollen, in Brandenburg drei LKW der Bundeswehr anzuzünden. Seitdem sitzen sie unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, namentlich der MG, in Haft. Auch was sie betrifft, glänzen die Fahnder nach Ansicht der Anwälte vor allem mit Vermutungen.

Der BGH wird entscheiden müssen, ob man mit dem Anzünden von drei Bundeswehrfahrzeugen »die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen« versuche. Anscheinend hatte weder die BAW noch die linke Szene vor fünf Jahren mitbekommen, dass der Paragraf 129 a auf Druck der EU hin präzisiert wurde. Die BAW meint, ihn weiterhin holzknüppelartig und zum Ausforschen des militanten Flügels sozialer Bewegungen benutzen zu können. Und in der Szene ist es schlicht unvorstellbar, dass nicht alles immer schlimmer und repressiver wird. So sind die Unterstützer der drei Inhaftierten unentschlossen, ob es sich bei dem den Beschuldigten vorgeworfenen Anschlag um einen »Angriff auf den Militärapparat des Staates« oder einen Lausbubenstreich etwas älterer Semester handele. Auch wird jede Auseinandersetzung mit der teilweise an marxistisch-leninistisches Denken angelehnten Ideologie der MG vermieden.

Zumindest was die Durchsuchungen vor dem G8-Gipfel wegen des Buchs »Autonome in Bewegung« angeht, hat der gleiche Senat des BGH in Vorberatungen bereits durchblicken lassen, dass er seine Zuständigkeit in Zweifel zieht. Was wohl bedeutet: Hier greift der Paragraf 129 a nicht.