Der Konvertit, der alle Register zog

Der ehemals linke französische Philosoph Roger Garaudy gehört zu den einflussreichsten Holocaustleugnern. Eine neue biografische Studie erhellt seinen verschlungenen Lebensweg, der ihn vom Christentum zum Islam und vom Kommunismus zum Antisemitismus führte. von Bernhard Schmid

Vor zwölf Jahren erschien die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde mit einer relativ unscheinbaren Artikelankündigung auf dem Titel: »Der ehemalige KP-Philosoph Roger Garaudy unterstützt in einem neuen Buch negationistische Thesen.« Im Spätherbst 1995 war Garaudys Buch »Les mythes fondateurs de la politique israëlienne« (Die Gründungsmythen der israelischen Politik) erschienen. Darin wird der von den Nazis begangene Genozid an den europäischen Juden als ein »Mythos« dargestellt, der zur ideologischen Unterstützung und Rechtfertigung der israelischen Militär- und Besatzungspolitik diene, ja eigens geschaffen worden sei. Eine politisch-ideologische Grenze schien eingerissen. Aber wer war Roger Garaudy?

Ältere Leser erinnerten sich, dass der Mann einige Jahre vor seinem Ausschluss aus der KP 1970 prestigeträchtige Ämter bekleidet hatte. In der französischen Nationalversammlung hatte er den Abgeordnetensitz des großen historischen Sozialistenführers Jean Jaurès inne, der als Kriegsgegner im August 1914 von einem Chauvinisten ermordet worden war. Garaudys Parteiausschluss war seine Opposition gegen den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Herbst 1968 vorausgegangen. Danach, so erinnerte man sich dunkel, durchlief Garaudy verschiedene religiöse Konversionen. Nacheinander wurde er Protestant, Katholik und schließlich Muslim. Was aber konnte ihn veranlasst haben, sich ausgerechnet auf die Seite der ­Auschwitz-Leugner zu schlagen?

Dank des in diesem Jahr erschienenen umfangreichen Werks von Michaël Prazan und Adrien Minard weiß man nun ein wenig mehr über die Umstände seiner Konversionen. Über Jahre hinweg haben die beiden Autoren die gesamte Vita ausgewertet, 1998 haben sie an seinen beiden Pariser Prozessen – dem Strafverfahren und dem Berufungsprozess, in dem das Strafmaß für Garaudy verschärft wurde – teilgenommen. Sie rekonstruieren seine politische Biografie, dabei bestätigen sie zum Teil Bekanntes, liefern aber auch neue, bisher unbekannte Informationen.

So widerlegen die beiden Verfasser die Annahme, Garaudy habe seine religiösen Konversionen erst begonnen, nachdem er die französische KP hatte verlassen müssen. Roger Garaudy wurde 1913 in einem als atheistisch geltenden Elternhaus in Marseille geboren. Der junge Garaudy engagierte sich in der kommunistischen Partei, bekannte sich aber noch während seiner Philosophiestudien auch zum Protestantismus. Anlässlich seines Parteibeitritts machte er es zur Bedingung, dass er – in der damals überwiegend vom militanten Atheismus geprägten KP – seinem Glauben nicht abschwören musste. Die Partei meinte, mithilfe dieses »atypischen« Intellektuellen in neue, ihr bis dahin verschlossene Milieus eindringen zu können.

Garaudy selbst hatte sich durch diese Sonderbedingung einen ganz eigenen Status innerhalb der Partei geschaffen. Vermeintlich garantierte ihm dieser intellektuelle Selbständigkeit in einer autoritär strukturierten Partei. Tatsächlich aber, so zeigen Prazan und Minard, führte dieser Sonderstatus zu intellektueller Beliebigkeit und schuf die Möglichkeit zum willkürlichen Zusammenfügen miteinander kaum vereinbarer Ideologieversatzstücke.

Aber erst in den sechziger Jahren gelang es den aufstrebenden marxistischen Intellektuellen, deren jüngere Vertreter es geschafft hatten, die kommunistische Philosophie aus der stalinistischen Erstarrung zu lösen, Garaudy an den Rand zu drängen. Seine zentrale Position verlor er, nachdem 1964 der langjährige Parteivorsitzende Maurice Thorez verstorben war und sich mit Louis Althusser ein neuer intellektueller Konkurrent durchgesetzt hatte. Auch deshalb trat Garaudy in Opposition zur neuen offiziellen Parteilinie, insbesondere hinsichtlich der Politik gegenüber dem Ostblock. Dabei war seine Dissidenz freilich auch Ausdruck und Konsequenz seiner innerparteilichen Marginalisierung. 1970 endete dann auch diese Dissidentenkarriere: Garaudy wurde auf dem Parteitag in Nanterre aus der KP ausgeschlossen.

In den siebziger Jahren begab er sich auf die Suche nach etwas Neuem, was ihm die verlorene »politische Heimat« ersetzen könnte. Er schwang sich zum »Erneuerer« einer gesellschaftlichen Alternative auf und verabschiedete sich endgültig von den Bezügen zum Marxismus. Um sein neues Gedankengebäude zu fundieren, zog er immer mehr religiöse Versatzstücke, Moralansprüche und Glaubenssätze heran. Zunächst versuchte er es, nach einer Konversion zur anderen christlichen Großkonfession, mit einer Mischung aus katholischer Befreiungstheologie, Ökologie und Dritte-Welt-Solidarität. Im Laufe der Jahre fischte er dabei ideologisch immer mehr im Trüben, da er auf der Suche nach etwas »Absolutem« war, was seinem weltanschaulichen Gemisch eine Kohärenz verleihen könnte.

Er vertrat die Auffassung, die gesamte abendländische Geschichte sei eine einzige Aneinanderreihung von Verbrechen. Im Gestus des moralischen Ekels verkündete er den Satz: »Der Okzident ist ein Akzident (Unfall).« Dabei verwies er auf Verbrechen, die sehr real waren, wie jene der Kolonialeroberung, leugnete aber zugleich ­jegliche Dialektik in der Geschichte des »Abendlands« wie der Welt insgesamt und bestritt die Brüche – Revolten und Revolutionen, emanzipatorische Bewegungen, Frauenbefreiung oder Laizismus und einige andere Errungenschaften gesellschaftlicher Kämpfe –, die es auch gegeben hatte. Garaudy zog eindeutige Gut-Böse-Urteile einem Denken in Widersprüchen, wie es das Marxsche Denken ausmacht, vor. Nun war er noch auf der Suche nach dem »Anderen«, das er mystisch verklären und dem als rein negativ Definierten entgegensetzen konnte.

1982 heiratete er eine muslimische, palästinensischstämmige Frau und konvertierte selbst zum Islam. Den Islam interpretierte er völlig willkürlich, so wie es seinen persönlichen Bedürfnissen entsprach. So mochte er im Islam zunächst nur den Mystizismus der Sufis entdecken. Gleichzeitig adaptierte er ein Weltbild, das gesellschaftliche Blöcke aufweist, die in Gut (der Islam, die Moralsuche im »progressiven Katholizismus«) und Böse (der glaubens- und ideallos gewordene »materialistische Westen«, …) eingeteilt werden können.

In dieser Phase ereigneten sich internationale Ereignisse, die Garaudy als Aufhänger für seine Ideologie dienen; insbesondere die israelische Invasion im Libanon im Frühsommer 1982 spaltete – nicht nur – die israelische Gesellschaft. In Tel Aviv demonstrierten 400 000 Menschen gegen den Einfall im Libanon. Verglichen mit der Bevölkerungszahl, entspräche das in der damaligen BRD rund sieben Millionen Demonstranten. Garaudy, frisch konvertiert, gab vor, die Ereignisse zu analysieren, indem er sie in sein Raster einfügt. Zugleich suchte er nach »absoluten« Antworten, die die Frage klären sollten, was auf die Seite des Guten oder des Bösen gehört. Er fand eine Antwort: Israel sei nicht nur ein Staat, der 1982 eine militärische Aggression im Libanon beging, sondern zugleich – Garaudy zufolge – auf eine Religion gegründet, die auf blutrünstigen Mythen aufbaute. Als Beleg zog Garaudy Textpassagen aus dem Alten Testament heran, die die Eroberung des »Gelobten Landes« schildern, bei der den Erzählungen des Josua zufolge dort ansässige Stämme – die Kanaanäer – massakriert wurden.

Da er nach »der Wahrheit« auf dem Grund der unterschiedlichen Religionen suchte, zog Garaudy eine direkte Verbindungslinie zu den aktuellen Ereignissen und kam zu dem Schluss: Die jüdische Religion sei aggressiv, und der Staat Israel bzw. seine konkrete Politik mit den »grundlegenden Mythen« dieser Religion gleichzusetzen. Es bleibt das Problem, dass die Gründungsgeschichte des israelischen Staates zwar tatsächlich eine religiöse Dimension aufweist, aber daneben und unabhängig davon auch einen eminent politischen Aspekt: die Entstehung des Zionismus als Reaktion auf den wachsenden europäischen Antisemitismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Im späteren Verlauf dieser politischen Geschichte spielte ein manifester Einfluss der Kolonialära – bei dem Versuch, die britische Kolonialmacht im Vorderen Orient als Verbündete zu gewinnen – eine Rolle. Aber ihre stärkste Durchschlagskraft erhielt die zionistische Bewegung, die zuvor unter den Juden weltweit minoritär gewesen war, nachdem der nationalsozialistische Staatsantisemitismus zum Vernichtungsprogramm der »Endlösung« für die europäischen Juden geführt hatte. Bei diesen widersprüchlichen politischen Aspekten mochte Garaudy sich aber nicht aufhalten. Für ihn war alles ein und dasselbe: die biblische Erzählung einschließlich der eher historiografischen denn religiösen Facetten des Alten Testaments; die Existenz und Politik des Staates Israel und seine Rechtfertigung durch den historischen Einschnitt des Genozids an den Juden im 20. Jahrhundert. Den Holocaust stellte Garaudy aus diesem Grund auf eine Stufe mit den Legenden und Erzählungen des Alten Testaments und qualifizierte diese als »Mythen«. Eben, in seinen Worten, als die »Gründungsmythen der israelischen Politik«.

Die grundlegenden »Ideen« seines 1995 veröffentlichten Buches waren bei Garaudy schon ab 1982 deutlich vorhanden und änderten sich seit diesem Zeitpunkt kaum noch. Bereits seit 1982 näherte Garaudy sich, auf der Grundlage einer essenzialistischen und ethnisierenden sowie konfessionalisierenden vorgeblichen Kritik am Judentum »an und für sich«, aus dem direkt die konkrete israelische Politik abgeleitet wird, rechtsextremen Denkern an. Sein wichtigster Verbündeter seit jener Zeit ist der katholische Priester Michel Lelong. Dieser galt vielen bis dato als »Mann des Dialogs«, da er einige Jahre lang für die französische katholische Kirche Beauftragter für den christlich-islamischen Dialog war. Tatsächlich ist Lelong ein rechts­extremer Priester, der bemüht ist, durch den Kontakt und die philosophische Konfrontation mit einer anderen Religion dem »christlichen Abendland« wieder stärker zu einer »kulturellen Identität« zu verhelfen. Der Islam und seine soziale Bindungskraft sollen dem katholischen Europa dabei letztlich als Spiegel dienen, um sich selbst »wiederzufinden«.

Lelong trat 1998 als Entlastungszeuge für Roger Garaudy in dessen Strafprozess auf. Aber im selben Jahr war er auch Zeuge der Verteidigung im Prozess gegen Maurice Papon, dem wegen seiner Rolle bei den Juden­deportationen aus Südwestfrankreich im Zweiten Weltkrieg in Bordeaux der Prozess gemacht wurde.

Garaudy ist heute zu alt, um in der Öffentlichkeit noch eine Rolle zu spielen. Die beiden Autoren haben den heute 94jährigen jedoch in seinem Wohnhaus, an der Marne in einem Pariser Vorort, treffen können. Dort textete der greise Philosoph sie mit Verschwörungstheorien über den 11. September und einer wirren Rechtfertigung seiner den Holocaust anzweifelnden Veröffentlichungen zu. »Als Denker ist er seit langem gestorben«: Mit diesen Worten schließen Prazan und Minard ihr Buch ab. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Michaël Prazan/Adrien Minard: Roger Garaudy. Itinéraire d’une négation. Calmann-Lévy, Paris 2007, 442 Seiten, 20,90 Euro