Kein Wahlsieg nach dem Volkskrieg

Die Maoisten Nepals fordern die sofortige Abschaffung der Monarchie. Sie wollen Wahlen verhindern, solange die bürgerlichen Parteien die Republik nicht ausrufen. von benjamin kumpf, kathmandu

Die angekündigten Massen kamen nicht nach Kathmandu. Vor nur knapp 400 Unterstützern sprach am Sonntag ein Politbüro-Mitglied der Maoisten, Dr. Baburam Bhattarai, während in neun weiteren Orten Demonstrationen seiner Kommunistischen Partei Nepals – Maoisten (CPN-M) stattfanden.

Seit ihrem Heraustreten aus dem Untergrund im Frühjahr des vergangenen Jahres sind Demons­trationen der Maoisten in der Hauptstadt Nepals keine Besonderheit mehr. Auch am Sonntag war der Umzug eher von Routine denn von Enthusiasmus gekennzeichnet, Jugendliche schwenkten Fahnen mit Hammer und Sichel, sie riefen eher lustlos die von Agitatoren per Megaphon vorgegeben Parolen nach.

Lediglich die Sprecher, darunter Bhattarai, sorgten für Stimmung. Mit geballter Faust drohten sie der derzeitigen Regierung, vor dekorativen roten Transparenten mit der klassischen Aufreihung von Marx, Engels, Lenin, Stalin und natürlich Mao. Das Ziel der Demonstration war die sofortige Ausrufung der Republik durch die Regierung als Vorbedingung für die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung. »Ich fordere die anderen Parteien heraus, in die Dörfer zu gehen und zu versuchen, Wahlen abzuhalten, ohne zuvor unsere Forderungen erfüllt zu haben«, sagte Bhattarai. Er stellte erneut klar, dass die Maoisten versuchen werden, die Wahlen bis auf weiteres zu verhindern.

Die Euphorie des Frühjahrs 2006 ist inzwischen einer allgemeinen Ungeduld gewichen. Der unpopuläre König Gyanendra hatte seit seiner Macht­übernahme im Jahr 2001 bürgerliche Freiheitsrechte immer weiter eingeschränkt und dem Parlament seine Befugnisse sukzessive entzogen. Der Widerstand wurde Ende 2005 zu einer Massenbewegung gegen den König. Eine Koalition der sieben größten Parteien organisierte wochenlang Großdemonstrationen und Streiks.

Gyanendra antwortete mit Repression, doch Ausnahmezustand, Abschaltung des Mobilfunknetzes und Lahmlegung der Internet-Verbindungen, Verhaftungen, Folterungen und Polizeigewalt gegen Protestierende halfen letztlich nicht gegen die Revolte. Im April musste sich das Oberhaupt des Hindu-Königreichs dem Druck der Massenbewegung beugen und sämtliche Machtbefugnisse abtreten. Selbst die loyalen Partner Indien und USA drängten Gyanendra schließlich, der politischen Macht zu entsagen, besorgt über eine Macht­übernahme der Maoisten im Falle des Fortbestandes der tyrannischen Monarchie.

Nach dem Rückzug des Königs unterzeichneten die Maoisten ein Friedensabkommen und erklärten das Ende ihres »Volkskriegs«, des Guerillakampfes. Dafür erhielten sie die gleiche Zahl an Sitzen wie die beiden größten Parteien, die CPN-UML (Kommunistische Partei Nepals – Vereinigte Marxisten-Leninisten) und der Nepali Congress, im Interimsparlament sowie fünf Ministerposten. Nach zehn Jahren Bürgerkrieg willigten sie in die von der Uno überwachte Entwaffnung ihrer Kombattanten ein. Eine verfassunggebende Versammlung sollte schnellstmöglich gewählt werden, um einer neuen politischen Ordnung eine juristische Grundlage zu geben. Doch seit dem Frühjahr gerät der Friedensprozess immer wieder ins Stocken, neue Konflikte brachen aus.

Im Terrai, dem Grenzgebiet zu Indien im Süden Nepals, kam es im Frühjahr zu Ausschreitungen, bei einem Vorfall wurden 28 Maoisten von Anhängern des Madhesi-Janadhikar-Forums, einer bewaffneten Abspaltung der CPN-M, gelyncht. Mehrere Gruppen erheben den Anspruch, die benachteiligten Bevölkerungsgruppen des Terrai zu vertreten, und fordern mehr Autonomie sowie eine stärkere Repräsentation in der Regierung. Zwischenzeitlich wurde sogar nationale Unabhängigkeit gefordert, doch der Ruf nach einem eigenständigen Terrai ist inzwischen weitestgehend verklungen und pragmatischeren Forderungen gewichen. Die politische Situation in dem Gebiet ist jedoch nach wie vor prekär. Die meisten politischen Morde und Entführungen finden im Terrai statt. Beinahe täglich berichtet die Presse über Verschleppungen und Hinrichtungen.

Im September wurde der Friedensprozess durch den Austritt der Maoisten aus der Regierung abermals verlangsamt. Alle Minister der CPN-M legten ihre Posten nieder, und die Partei unterbreitete der Regierung eine Liste mit 22 Forderungen, unter anderem der nach der Ausrufung der Republik durch das Interimsparlament als Bedingung für die Teilnahme der Maoisten an der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung.

Die Demonstrationen am 18. November sollten nun diese Forderungen und den parlamentarischen Coup der beiden kommunistischen Parteien Nepals durch den Druck der Straße unterstützen. Anfang November stimmten sowohl die Mao­isten als auch die Marxisten-Leninisten für die sofortige Abschaffung der Monarchie. Nach wie vor stehen sich die beiden kommunistischen Parteien mit großer Feindschaft gegenüber, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der jeweiligen Jugendorganisationen sowie die Ermordung von Mitgliedern der CPN-UML durch Maoisten sind selbst nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs keine Seltenheit. Dementsprechend überraschend war das gemeinsame Vorgehen der beiden Parteien.

Dem Kalkül der Maoisten zufolge muss nun die Regierung die Forderungen der Partei akzeptieren, andernfalls ist sie für die weitere Verzögerung der Wahlen verantwortlich. Denn allen Beteiligten ist klar: Ohne die Teilnahme der Maoisten an den Wahlen wäre das Vorhaben, eine neue Staatsform herbeizuführen, zum Scheitern verurteilt.

Die Maoisten selbst haben sich durch ihren Widerstand gegen die Wahlen eine weitere Pause verschafft, eine klare Strategie scheint die Partei aber nicht zu haben. Nachdem es den Maoisten seit Beginn des »Volkskriegs« relativ schnell gelungen ist, weite Teile Nepals zu kontrollieren und ihre Macht stetig zu vergrößern, muss sich nun in ihren Reihen erst die Erkenntnis durchsetzen, dass die Übernahme der kompletten staatlichen Macht durch einen militärischen Sieg nicht mehr realisierbar ist.

Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrags gelang es der Partei kaum, eigene politische Akzente zu setzen und damit um Wähler zu werben. Die Maoisten haben sich während des Bürgerkriegs für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, Angehörige der unteren Kasten und Frauen eingesetzt. Doch die Partei hat es versäumt, seit ihrer Integration in die legale politische Ordnung weiterhin an konkreten Veränderungen zu arbeiten. In ihren Reihen wächst zudem die Unzufriedenheit über den »Ausverkauf der Revolution«, wie ein Sprecher der CPN-M kürzlich in der Tageszeitung Kathmandu Post ausführte.

Die Interimsregierung unter Premierminister Girija Prasad Koirala besticht derzeit durch Nichtstun. Staatliche Leistungen in der Gesundheitsversorgung sind kaum mehr spürbar, es gibt kaum Schutz vor Übergriffen der Sicherheitskräfte, Milizen und der maoistischen Jugendorganisation, die Schlangen vor Tankstellen sorgen für Frustration in der Mittelschicht, und internationales Geld bleibt angesichts der prekären Lage weitestgehend aus. Viele Maoisten hingegen hängen immer noch am romantischen Bild des mit seiner Kalaschnikow Kathmandu befreienden Kämpfers. Die Integration in eine bürgerliche Demokratie würde jedoch die CPN-M zu einer Partei unter vielen machen. Allen Prognosen zufolge würden die Maoisten bei den Wahlen die absolute Macht in den derzeit von ihnen beherrschten Gebieten verlieren.