Familienausflug zur Königin

Der letzte Kampf der Box-Weltmeisterin Regina Halmich geriet zur beschaulich-bombastischen Vorstellung. martin krauß war dabei

Die DM-Arena in Karlsruhe-Rhein­stetten hat eine sehr hohe Decke aus hellem Holz. Das verleiht ihr den Charme einer Reithalle. Vielleicht wird hier manchmal auch geritten. Oder es werden Kühe ver­steigert. An diesem letzten Novemberfreitag des Jahres wird aber geboxt: Regina Halmichs letzter Kampf steht an. Daher hat man noch eine Zusatztribüne aufgebaut. 7 500 Menschen sind da, und nur wenige sehen aus wie das üb­liche Boxpublikum. Die badische Mittelschicht zeigt sich in bester Garderobe. »Hier sitzt man aber gut«, sagt eine etwa 40jährige Dame, als sie erfährt, dass sie sich im Sitzplatz geirrt hat. »Verraten Sie mir, was Sie für die Karte bezahlt haben?«

Halmich ist nicht nur gebürtige Karlsruherin. Sie steht auch für die Illusion des anständigen Profiboxens. Wie einst Henry Maske hielt auch die freundliche Badenerin den Sport frei von Skandalen: keine nach einer Sauftour verprügel­ten Polizisten, keine Zuhälter, keine Knaststrafen. Regina Halmich ist ein Henry Maske im BH.

Bis sie endlich boxt, herrscht in der Arena die Stimmung eines Familienausflugs. Das Vorprogramm nimmt man nicht wahr. Nicht mal ein Boxer wie Yavus Azal, gebürtiger Karlsruher in seinem fünften Profikampf, findet Interesse. Er verliert nach Punkten. Der Ringsprecher sagt: »Am Beginn der Karriere muss man noch Lehrgeld zahlen.« Der Applaus fällt schwach aus.

Während der Vorkämpfe ist die Vorhalle voll. Familien sitzen hier und picknicken. Papa gibt Flammkuchen aus, Mama trinkt ein Picco­lö­chen aus dem Sektplastikbecher. Trinken mit Stiel.

Security-Leute unterhalten sich gelangweilt, welcher Job morgen auf sie wartet. »Langsam sollten die uns das mal sagen.« Die Pütz-­Security-AG ist mit einem Großaufgebot in der Halle vertreten. Gebraucht wird sie nicht.

Auf den Plätzen unterhält man sich über Weih­nachtsgeschenke und neue Jobs. Vor der Frauen­toilette steht ein junger Mann im schwarzen An­zug, der ein weißes Lackhandtäschlein festhält. Er tut gelangweilt. Am Bierstand wird »Tannenzäpfle« von Rothaus ausgeschenkt. Das Rot­haus­milieu steht Schlange.

Zwei junge Männer schimpfen über den Stand, an dem das Gläserpfand zurückgezahlt wird. »Ein Riesenandrang, da steht gerade mal eine Frau, und die hat kein Kleingeld mehr.« »Wegen dieser Scheißorganisation wird aus Karlsruhe nie etwas. Das ist wie beim Fußball.«

Der Abend nähert sich seinem Höhepunkt. »Regina ist schon in der Halle«, gibt der Ring­sprecher durch. »Sie bekommt die Stimmung mit. Wir freuen uns auf die Königin, the one and only – Regina Halmich.« Ein bisschen mehr Applaus kommt auf.

Als der Ringsprecher die Leute bittet, die Plätze einzunehmen, denn das ZDF gehe bald auf Sendung, nehmen die Leute die Plätze ein. Schließlich geht das ZDF bald auf Sendung.

Dafür darf man sich auf einer der großen Leinwände lieblos montierte Pausenfilme des ZDF angucken. In einem wird der Name »Zlot Erdei« eingeblendet, der Boxer heißt Zsolt Erdei. In einem anderen übt sich das ZDF in Plural: »Die Klitschko’s«.

Mutter und Schwester Halmich flanieren, vom ZDF mit Lampen und Kameras verfolgt, durch die Halle. Im Fernsehen wird das sehr natürlich aussehen. Mutter Halmich grüßt spontan in die Menge.

Auch die Prominenz nimmt Platz. Karl-Heinz Schwensen, besser bekannt unter einem Spitznamen, gegen den er sich mittlerweile wegen rassistischer Diskriminierung wehrt, vertritt das klassische Boxmilieu. Günther Oettinger, der Ministerpräsident mit der Respekt einflößenden Stimme, vertritt Baden-Württemberg. René Weller, Ex-Boxer aus dem benachbarten Pforzheim, vertritt vermutlich beides.

Das ZDF sendet mittlerweile das »Heute-Journal« in die Halle. Auf den Leinwänden sieht und hört man einen Beitrag über Aids in Afrika.

Im Publikum wird derweil der bevorstehende Kampf zum Thema. »Shmoulefeld«, sagt ein jun­ger Mann über Halmichs Gegnerin Hagar Shmou­lefeld Finer. »Wie die schon heißt. ­Schmuh!« Das Fachsimpeln wird unterbrochen, natürlich vom ZDF, der natürlichen Autorität des Abends. Man ist auf Sendung.

Die finnische Sängerin Tarja Turunen singt »I Walk Alone«. Dann sagt Moderator Alexander von der Gröben seinen Text auf: Zwölf Jahre lang war Halmich Weltmeisterin, »das hat kein Boxer je erreicht. Ein Rekord für die Ewigkeit.«

Besser als jeder männliche Boxer ist die Regina? Das hört man in Karlsruhe gern. Ein Film über Halmichs Karriere wird gezeigt. Darin auch Bilder von ihrer Niederlage 1995 gegen Yvon­ne Tremino. Man sieht und hört René Weller: »Ich habe schon immer gesagt, dass man Frauen nicht boxen lassen sollte.« Das Publikum pfeift die Leinwand aus. Der im Publikum sitzende Weller lächelt gelassen. Als Stefan Raab in dem Film zu sehen ist, wird noch mehr gebuht. Bei Lothar Matthäus wird hämisch gelacht. Verona Pooth sagt über Halmich: »Sie hat die Markt­lücke gefüllt.«

Es wird ernst. Als Herausforderin wird Hagar Shmoulefeld Finer zuerst in den Ring gerufen. Sie trägt eine Israel-Flagge, tänzelt, reckt siegesbewusst einen Arm in die Höhe.

Verhaltener Beifall. Nur eine kleine israelische Fangemeinde ist anwesend. Shmoulefeld Finer wartet im Ring. Halmich wird gerufen. Das Pub­likum steht auf. Halmich kommt mit goldenem Mantel und Lichteffekten. Die Musik wird live von Doro Pesch gesungen. »We Are Like Thunder« heißt das Lied, von Pesch für ihre Freundin Regina geschrieben.

Das Publikum setzt sich kurz auf die Stühle und Schalensitze, dann muss es wieder hoch: die Hymnen. Nach der Hatikva, der Hymne Israels, gibt es knappen Applaus. Beim Deutschlandlied wird leise mitgesungen, dann großer Applaus.

Endlich beginnt der Kampf. Erste Rufe aus dem Publikum. »Rä-gi-na, Rä-gi-na«. Und »Kaahhls-ruh, Kaahhls-ruh«. Wenn es ruhiger wird, kommen die Einzelrufer: »Regina! Hau weg die Schei­ße!« Gelächter. »Zeig ihr, wer die Chefin von Karls­ruhe ist!« Phonetisch muss es wohl »Schäffin fun Kallsruh« heißen.

Die erste Runde ist ausgeglichen. Shmoulefeld Finer geht in Siegerpose in ihre Ecke. Pfiffe, Buhrufe. So etwas mag man nicht. Die Israelin stört’s nicht, sie wird jede Runde mit Siegerpose beenden. Im Kampf ist sie nicht anders. Sie lässt gerne die Hände baumeln, macht zum Schlagen einladende Bewegungen, guckt verächtlich, wenn Halmich sie trifft.

Das Publikum macht derweil La Ola. In der sieb­ten Runde ruft einer: »Regina, nimm sie aus­einander.« In der neunten Runde fängt sich Hal­mich einen Schwinger, der sie durchschüttelt.

Während den letzten Sekunden des Kampfes steht das Publikum auf. Jubel, während sich die Boxerinnen in die Arme fallen.

Aber dass Shmoulefeld Finer sich auf den Schultern ihres Trainers in Siegerpose durch den Ring tragen lässt, wird mit Pfiffen quittiert. »Sie hat gut geboxt«, sagt ein Zuschauer über die Israelin. »Scheiße ist sie trotzdem.«

Ab jetzt hat Shmoulefeld Finer auch nichts mehr zu melden. Das Punktgericht verkündet eine 2:1-Entscheidung. Ein finnischer Punktrich­ter wertet unentschieden: Jede Boxerin habe fünf Runden gewonnen. Die zwei anderen Punkt­richter stimmen für Halmich.

Die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr, die den ganzen Abend die Konfettikanonen bewacht haben, kommen zum Einsatz: Goldene Schnipsel fliegen durch die Halle. Es knallt und bummt und kracht. Dann riecht es wie ein verbranntes Tischfeuerwerk. Karlsruhe feiert.

Die Stimmung, die der badische Mittelstand zum Abschied seiner Regina verbreitet, steckt an. Eine Stunde später, die Halle wird schon längst gefegt, sagt Hagar Shmoulefeld Finer brav: »Ich bedanke mich für die Ehre, zu dem letzten Kampf eingeladen worden zu sein.«