Wie du mir, so ich dir

Wenn nach dem 10. Dezember keine Ver­hand­lungslösung in Sicht ist, will die ­Regierung des Kosovo die Unabhängigkeit erklären – im Widerspruch zu einer Re­solution des UN-Sicherheitsrats von 1999, die die »territoriale Unversehrtheit« Jugoslawiens garantiert. Eine serbische Reak­tion darauf würde nicht lange auf sich warten lassen. von boris kanzleiter, belgrad

Durchhalteparolen sind die Antwort auf das vorläufige Scheitern der Verhandlungen über den zukünftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo. Dreitägige Gespräche im pittoresken Schloss Weikersdorf im Kurort Baden bei Wien haben vergan­gene Woche bestätigt, was ohnehin schon alle Beteiligten wussten: Es gibt keinen Kompromiss. Zurück in Belgrad erklärte der serbische Minister­präsident, Vojislav Kostunica, wieder und wieder, seine Regierung bestehe unter allen Umständen auf der »territorialen Integrität« Serbiens. In Pris­tina hält der designierte Ministerpräsident des Kosovo, der frühere UCK-Kommandant Hashim Thaci, dagegen an der Forderung nach Unabhängigkeit fest.

Nach fast zwei Jahren international geführter Verhandlungen sind die Positionen damit genauso unvereinbar wie zu Beginn. Einig sind sich die Kontrahenten nur darin, dass sie sich nicht einigen können.

Am 10. Dezember wird die Vermittlergruppe, be­stehend aus Diplomaten der USA, Deutschlands und Russlands, dem UN-Sicherheitsrat Bericht er­statten. Danach wollen die Kosovo-Albaner ihre Unabhängigkeit erklären. Die USA und die meisten EU-Länder haben angedeutet, dies diplomatisch anzuerkennen. »Wir können kein exaktes Datum nennen, aber es wird sehr schnell passieren«, kündigte der Präsident des Kosovo, Fatmir Sejdiu, an.

Ein solches Vorgehen würde auf den erbitterten Widerstand Serbiens und seiner Schutzmacht Russland stoßen. Kostunica nennt die kosovo-albanischen Absichten ein »Verbrechen«. Serbiens Außenminister, Vuk Jeremic, warnt, dass es »oh­ne Kompromiss keinen Frieden« geben werde. Ein neuer »Krieg um das Kosovo« ist aber trotz der angespannten Lage nicht wahrscheinlich. Die ser­bische Armee ist zu einem Einmarsch ins Kosovo militärisch nicht in der Lage. Eine offensive Bewegung serbischer Truppen würde zur Konfrontation mit den starken Nato-Verbänden in der Pro­vinz führen.

Außerdem steht die Stimmung großer Teile der serbischen Bevölkerung in Kontrast zu den starken Worten der Politiker. Nach einer aktuellen Um­frage des Meinungsforschungsinstituts Strategic Marketing wollen zwar 93 Prozent der Serben das Kosovo als Bestandteil ihres Staates erhalten. Aber die grassierende Arbeitslosigkeit und der niedrige Lebensstandard erscheinen sehr viel wich­tiger. Der Möbeltischler Dejan Romic aus dem proletarischen Stadtviertel Karaburma bringt die Stimmung in der Bevölkerung auf den Punkt. »Kostunica will das Kosovo verteidigen, aber es gibt kein Geld, um in Belgrad Brücken zu bauen«, flucht er und schiebt sich mit seinem Lieferwagen im Schritttempo durch die chronisch verstopften Straßen der Zwei-Millionen-Einwohner-Metro­pole.

Gefährlich könnte die Situation vor allem für die noch etwa 150 000 Serben und Roma im Kosovo werden. Der serbische Präsident, Boris Tadic, hat bereits eine »ebenbürtige Antwort« auf die Unabhängigkeitserklärung angekündigt. Die serbischen Landkreise könnten ihrerseits die Unabhängigkeit von einem unabhängigen Kosovo erklären. Somit könnte sich ein Szenario wiederholen, das aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina vom Beginn der neunziger Jahre bekannt ist. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen albanischen und serbischen paramilitärischen Gruppen und eine Auseinandersetzung um die Kontrolle des Territoriums wären dann wahrscheinlich. Das erste Opfer wären die Bewohner kleiner serbischer Enklaven im Süden des Kosovo. Tausende von ihnen bereiten sich auf ihre Abreise vor.

Die neue Krise auf dem Balkan wird zwar von lokalen Akteuren ausgetragen. Und falls es zu Ge­walt kommt, wird wieder schnell vom »tausend­jährigen Hass der Balkanvölker« die Rede sein. Aber nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass der gegenwärtige Konflikt in hohem Maße eine Folge der Politik der so genannten internationalen Gemeinschaft ist. Ein Problem birgt die Resolution 1 244 des UN-Sicherheitsrats, mit der im Juni 1999 das Nato-Bombardement Ser­biens beendet wurde. Dieses Dokument garantiert die »territoriale Unversehrtheit« der Bundesrepublik Jugoslawien, deren Rechtsnachfolger Serbien ist. Dem Kosovo wird eine »substanzielle Autonomie« eingeräumt, keinesfalls aber die Unabhängigkeit.

Im offenen Gegensatz zu diesen im Konsens der Vetomächte gefassten Beschlüssen handelt seit 1999 allerdings die UN-Verwaltung des Ko­sovo (Unmik). Konsequent wurden albanische Selbstverwaltungsorgane geschaffen und mit wachsenden Befugnissen ausgestattet. Unmik-Funktionäre wie der derzeit amtierende Chef der Übergangsverwaltung, der Deutsche Joachim Rücker, versprechen seit Jahren eine »Lösung der Statusfrage« und meinen damit ausdrücklich die Unabhängigkeit.

Die Vorwegnahme des Ergebnisses durch die UN-Vermittler hat zur Blockade der Verhandlungen geführt. Denn die Regierung im Kosovo war zu keinem Zeitpunkt gezwungen, sich ernsthaft über mögliche Kompromisse Gedanken zu machen. Die serbische Regierung dagegen konnte unter Berufung auf die Resolution 1 244 auf einen gültigen Rechtsakt verweisen.

Mit viel Pomp und Kitsch argumentiert der rechtskonservative Ministerpräsident Kostunica mit der »spirituellen Bedeutung« des Kosovo und seiner mittelalterlichen Klöster als dem »Her­zen Serbiens«. Gerne zeigt er sich mit Weihrauch schwingenden Popen der orthodoxen Kirche und singt Volkslieder, die vom Kosovo-Mythos handeln. Angesichts der demographischen und politischen Verhältnisse in der Provinz, deren Bevölkerung zu 90 Prozent aus Albanern besteht, scheint die Beschwörung der Vergangenheit anachronistisch. Die unbequeme Wahrheit ist, dass Serbien unter den gegebenen Umständen nicht weniger als ein Militärregime errichten müsste, um die Provinz zu kontrollieren. Ein beide Seiten erschöpfender Guerillakrieg wäre die Folge.

Dennoch hat die serbische Seite ein starkes Argument aufzubieten. Denn eine Unabhängigkeits­erklärung des Kosovo würde nicht nur klar gegen internationales Recht verstoßen, sondern die Prinzipien der Badinter-Kommission vom Dezember 1991 verletzen. Diese Gruppe von Völkerrechtlern hatte im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft am Beginn des Zerfalls Jugoslawiens ein Prinzip festgelegt, an das sich der Westen trotz des vielen Blutvergießens bisher gehalten hat: Nur ehemalige Republiken Jugoslawiens sollen ein »Recht auf Selbstbestimmung« erhalten, nicht aber autonome Provinzen wie das Ko­sovo oder im Krieg selbst proklamierte Sezessions­gebiete wie die »serbischen Republiken« in Kroa­tien oder Bosnien-Herzegowina.

Sollte dieses Prinzip nun aufgegeben werden, hätten serbische Nationalisten gute Argumente, die Revision der Grenzen in Bosnien-Herzegowina zu fordern. Denn warum sollte auf einmal für die Kosovo-Albaner gelten, was den bosnischen Serben seit 15 Jahren verweigert wird? Das ist der Tenor in zahlreichen serbischen Medien. Die gegenwärtige Krise könnte so weniger ein Epilog zu den Kriegen in Jugoslawien als vielmehr der Auftakt neuer Sezessionskonflikte sein. Und das nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch in Mazedonien und Südserbien, wo bewaffnete albanische Extremisten bereits jetzt den Zusammenschluss mit dem Kosovo und ein »Großalbanien« fordern.

Es droht nicht weniger als eine weitere ethno-nationale Zersplitterung bestehender territorialer Einheiten. Und das nicht nur auf dem Balkan, sondern auch im Kaukasus und an anderen Orten, wo die Entwicklungen im Kosovo aufmerksam verfolgt werden. Die begründete Furcht vor Übertragungseffekten ist, neben dem Wunsch der russischen Regierung, ihre Macht zu zeigen, auch der eigentliche Hintergrund für Vladimir Putins starre Haltung im UN-Sicherheitsrat.

Gefährlich ist die Lage im Kosovo nicht zuletzt wegen einer negativen Gesellschaftsentwicklung. Wie die Autoren einer vertraulichen Studie, die im Auftrag des deutschen Bundesverteidigungsministeriums erstellt wurde, treffend schreiben, wird das Land von einer »politisch-mafiösen Füh­rungskaste« kontrolliert, die ein »umfassendes Omerta-Regime« errichtet hat. Der BND nennt die zwei früheren und den amtierenden Ministerpräsidenten – die UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj, Agim Ceku und Hashim Thaci – »Multifunktionspersonen« zwischen Politik und Mafia.

Der UN-Verwaltung des Kosovo ist es trotz Milliarden Euro teurer Aufbauprogramme nicht gelungen, auch nur Rudimente eines Rechtsstaates und Ansätze sozialer Entwicklung zu schaffen. Stattdessen kennzeichnen organisierte Kriminalität und extreme Armut den Alltag. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei über 40 Prozent. Etwa gleich viele Menschen leben nach Informationen der Weltbank von weniger als 1,37 Euro pro Tag. Die perspektivlose Bevölkerung hat mit nur 25 Jahren das jüngste Durchschnittsalter in Eu­ropa.

»Alles scheiße hier«, meint Fatmir Gashi. Der Student aus Pristina hat im Sommer sein Examen abgelegt und versucht nun auszuwandern. Bisher hat er aber kein Visum erhalten.