So ein Ökotheater!

Angela Merkel und ihre Partei kümmern sich rührend ums Klima. Mehr aber noch um fossile Kraftwerke. von moritz schröder

Wenn sie so da steht, mit verschränkten Armen, die schmelzenden Eisberge mit besorgten Blicken musternd, würde man es ihr fast abnehmen: Angela Merkel rettet das Klima. Kaum eine Woche vergeht, in der sie nicht mit kraftvollen Worten vor der Erderwärmung warnt, sich international als Umweltschützerin profiliert. Ob vor den Eisgiganten in Grönland, als ehemalige EU-Ratspräsidentin in Brüssel oder bei der Hauptversammlung der Uno in New York – Angela Merkel versteht es, sich international als »Klimakanzlerin« zu präsentieren. So kann Deutschland auch beim Uno-Klimagipfel auf Bali, der noch bis Ende dieser Woche dauert, genüsslich seine selbst definierte Rolle als »Vorreiter« in Sachen Klimaschutz spielen, während zu Hause Umweltpolitiker und Öko-Aktivisten gleichermaßen den Kopf schütteln.

Abseits des weltpolitischen Geschehens wird aus der Ökoromantik auffällig schnell Industrieromantik. Wir erinnern uns: Noch im vergangenen Jahr hat Merkel gut gelaunt im niederrheinischen Grevenbroich den symbolischen Grundstein für das derzeit größte in Bau befindliche Kohlekraftwerk Deutschlands gelegt. Es wird in Zukunft rund 15 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr produzieren.

Im Januar hat Merkel sich gegen feste Abgasgrenzwerte für die europäische Automobilindustrie ausgesprochen, vor kurzem hat sie auch ein Tempolimit abgelehnt. Auf dem Landesparteitag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern im November machte sie sich gar für ein neues Steinkohlekraftwerk in Lubmin bei Greifswald stark.

Manchmal gibt sich das vermeintliche Musterland für Klimaschutz mit seiner Energiepolitik auch international eine Blöße. Der Leiter des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, sagte Ende November der taz: »Ich war sehr beeindruckt, dass sich Deutschland vorgenommen hat, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren.« Allerdings frage er sich, »wie dieses Ziel erreicht werden soll, wenn die Regierung 24 Kohlekraftwerke bauen lässt«. Merkels Umweltminister Sigmar Gabriel reagierte recht pikiert, wollte von den 24 Neubauten nichts wissen – es seien lediglich neun. Er gestand aber ein, dass, wenn die Zahl stimme, die von verschiedenen Umweltverbänden recherchiert wurde, Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen könne. Tatsächlich gelten die Recherchen der Verbände als sauber. Die vielen Kraftwerke sind einer der Haupt­gründe, weshalb Deutschland nach wie vor die sechstgrößte Kohlendioxidschleuder der Welt ist.

Die prompte Reaktion zeigt, dass die Regierung sehr auf ihr ökologisches Image im Ausland baut. So funktioniert eben politisches Marketing: mitunter pompös und realitätsfern. Mit dieser Strategie ist Deutschland unter den Industriestaaten nicht allein. Doch bei Angela Merkel hat das Bedürfnis nach grüner Selbstinszenierung noch andere Gründe. Und irgendwie ergibt auch alles einen Sinn. »Sie versucht, sich in einem Politikfeld zu profilieren, in dem sie als verortet gilt«, sagt der Politikwissenschaftler Peter Lösche. Schließlich hat Merkel schon als Umweltministerin unter Helmut Kohl in seiner letzten Amtszeit Erfahrungen mit dem Klimaschutz gemacht. Sie verhandelte beim Kyoto-Protokoll mit, um dessen Nachfolge derzeit auf Bali gestritten wird.

Zudem kamen Merkel die EU-Ratspräsidentschaft und der Vorsitz der G8 sehr gelegen. So konnte sie sich auf internationaler Bühne als »Klimakanzlerin« hervortun. Im Vergleich zum bösen Kyoto-Verdränger George W. Bush stand sie als vorbildliche Regentin da und Deutschland im Vergleich zu den USA und Kanada als Öko-Musterland. Nach den Sitzungen des Weltklimarats und einer regelrechten Konjunktur des Klimaschutzes in Medien, Wirtschaft und Öffentlichkeit, musste sich die Physikerin Merkel nur noch ein Herz fassen. »Der Ruf wurde laut nach einer Person, die verspricht, den Klimawandel zu bewältigen«, sagt Lösche.

Angela Merkel versucht mit einigem Erfolg, genau diesen Eindruck von sich zu vermitteln. Tatsächlich hat sie einen großen Anteil an dem, was als Klimaschutzplan der EU bezeichnet wird. Das jüngst verabschiedete Programm der Bundesregierung wird selbst von Umweltverbänden als »erster Schritt« gewürdigt: Die Entwicklungsinitiative Germanwatch hat in ihrer aktuellen Rangliste für Klimaschutz Deutschland mit dem zweiten Platz gekürt. Der Hauptgrund seien »Anstrengungen im internationalen Klimaschutz während des EU-Frühjahrsgipfels und des G8-Gipfels«. Andree Böhling, Energie- und Klimaexperte bei Greenpeace, erkennt an, dass Merkel im Vergleich zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder und gemessen an ihrer Partei beim Klimaschutz »oft weiter« sei.

Tatsächlich steht Deutschland im Vergleich zu anderen Unterzeichnern des Kyoto-Protokolls nur deshalb so gut mit seinen Emissionen da, weil die schmutzige Industrie in den östlichen Bundesländern nach der Wende zusammengebrochen ist. Diese Entwicklung hat einen großen Anteil an der bisherigen Einsparung von rund 18 Prozent seit dem Basisjahr 1990. Darauf weist auch Germanwatch hin. Das heißt, Deutschland betreibt zwar verhältnismäßig progressive Politik gegen die Treibhausgase, das allerdings auf niedrigem Gesamtniveau. Im vergangenen Jahr sind die Emissionen in Deutschland wegen der starken Konjunktur sogar leicht gestiegen. Gründe für Euphorie gibt es also keineswegs.

Doch politischer Erfolg speist sich bekanntlich kaum aus Solarzellen und Windrädern, sondern aus politischem Marketing. Deshalb, dank ihrer Vorsitzenden, darf sich derzeit auch die ganze CDU als »Klimaschutzpartei« verkaufen. Sie hat Anfang vergangener Woche auf dem Parteitag in Hannover ihr neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Darin wird stärker als zuvor vor den Risiken der Erderwärmung gewarnt. Der globale Klimawandel sei zur »ernsten Gefahr für die Schöpfung und die Lebenschancen künftiger Generationen« geworden, heißt es darin. Energie­effizienz und die erneuerbaren Energien sollen eine »tragende Säule« der Klimaschutzpolitik der CDU bilden. Ebenso die Atomenergie. Die erzeugt zwar kaum CO2, bringt dafür aber bekanntlich andere Sicherheits- und Gesundheitsrisiken mit sich.

Doch das ficht viele Parteimitglieder nicht an. Der Neubau von Reaktoren solle in Deutschland nicht ausgeschlossen werden, hieß es in einem Änderungsantrag für das Programm, der aber nicht angenommen wurde. Ein Kreisverband wollte vor das Wort Klimawandel ein »mutmaßlich« setzen lassen, was ebenfalls keinen Eingang in die Endversion fand.

Gerade die Betonung der erneuerbaren Energien im Grundsatzprogramm wirkt oberflächlich, waren es doch vor allem Landespolitiker der CDU, die in der Vergangenheit immer wieder gern gegen die »Verspargelung der Landschaft« durch Windräder wetterten, darunter die heutigen Ministerpräsidenten Roland Koch und Jürgen Rüttgers. Und auch auf Bundesebene gibt es so manchen Vorbehalt gegen einen allzu strengen Klimaschutz, häufig von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Es ist nichts Neues, aber besonders aufschlussreich, wenn sich der Industrie eng verbundene Politiker plötzlich als oberste Klimaschützer gerieren.

Andree Böhling von Greenpeace jedenfalls erwartet nach dem kürzlich beschlossenen und viel kritisierten Programm zum Klimaschutz keine großen Würfe mehr von der Bundesregierung. Denn ob dadurch bis 2020 tatsächlich 40 Prozent der Emissionen in Deutschland eingespart werden können, ist fraglich. Doch das muss wohl fürs erste reichen. Böhling richtet seinen Blick bereits in die Zukunft: »Die nächste große Entscheidungsschlacht beim Klimaschutz kommt wohl erst nach der Bundestagswahl.«