Bücher fürs Volk

Ein Film rekapituliert die Lebensgeschichte des linken italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli. Von Uli Krug
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Nur ganz wenige Leben bergen den Stoff gleich für ein halbes Dutzend Biografien. Das des italienischen Multimillionärs und Großverlegers Giangiacomo Feltrinelli (1926 bis 1972) gehört unbedingt in diese Ka­tegorie: Mehr Widersprüche als in ihm lassen sich kaum in einer Person vereinen. Denn Feltri­nelli stammte nicht nur aus einer alten, patri­zischen Dynastie Mailands und war nicht nur der Erbe des vielleicht größten Privatvermögens Italiens, sondern zugleich auch schwärmerischer Kommunist und visionärer Volksaufklärer. Er war ein Duz-Freund Fidel Castros, brachte als ers­ter Che Guevaras »Bolivianisches Tagebuch« heraus, finanzierte den Berliner Vietnam-Kongress, beherbergte in seinem Palazzo den angeschossenen Rudi Dutschke während dessen Rekonvaleszenz und ging Ende der Sechziger wegen einer aus heutiger Sicht nicht mehr leicht nachvollziehbaren Fehleinschätzung der politischen Lage Italiens in den Untergrund. Besser gesagt: in die »Unauffindbarkeit«, wie er es gegenüber seiner deutschen Frau Inge, seinem Sohn Carlo (Jahrgang 1962) und seinen engsten Mitarbeitern bezeichnete.

Wirklich unauffindbar war er allerdings nicht. Carlo Feltrinelli beschreibt in seiner 2001 erschie­nenen Biografie des Vaters (»Senior Service«) Familientreffen in der Bankenmetropole Zürich oder dem Feriendomizil der Familie in Österreich. Die Polizei wusste von diesen Ausflügen Feltrinellis, der in Italien nur halbherzig gesucht wurde, und duldete es, dass der Exzentriker mit ständig neuen gefälschten Papieren reiste. Zwar wollte ihm die politische Polizei, in deren Büros damals nicht wenige tatsächlich mit einem autoritären Staatsstreich liebäugelten, Anstiftung zu mehreren damals ungeklärten Bombenanschlägen in die Schuhe schieben. Doch die Faktenlage nach dem verheerenden Anschlag in der Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana (16 Tote, über 100 Verletzte) im Dezember 1969 wies so deutlich in rechtsradikale Richtung, dass eine Rückkehr aus dem freiwillig gewählten »Untergrund« ohne große Probleme möglich gewesen wäre.

Aber Feltrinelli wollte das längst nicht mehr: Er wollte keine Bücher mehr verlegen (das tat zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon seine Frau), er wollte Taten sprechen lassen, er wollte den Umsturz, er wollte das zu Ende bringen, was die kommunistischen Partisanen nach seiner Meinung nach dem Zweiten Weltkrieg versäumt hat­ten. Feltrinelli gründete dazu die Untergrund­organisation GAP (Gruppo d’Azione Partigiana), die nicht zufällig dasselbe Akronym führte wie die kommunistischen Partisanen in der Resis­ten­za (GAP stand da für: Gruppi d’Azione Patrio­tica). Er hatte sich in die Vorstellung verbissen, dass in Italien jeden Augenblick ein Obristenregime nach griechischem Vorbild die Macht übernehmen werde und dass dagegen nur die bewaffneten Gruppen der Neuen Linken aufgeboten werden könnten. Niemand konnte ihn von dieser Hypothese mehr abbringen, er glaubte radikal und inbrünstig, dass die welthistorische Endschlacht zwischen Faschismus und Kommu­nismus bevorstehe und ihm, Feltrinelli, eine erhebliche Rolle darin zukomme. In Wirklichkeit fand Giangiacomo Feltrinelli dann im Frühjahr 1972 sein trauriges Ende an einem Strommast, den er mit Dynamit hatte in die Luft sprengen wollen. Der Zeitzünder war offenbar falsch eingestellt worden, und so fand man seine Leiche kopfüber noch am Kletterseil baumelnd.

An dieser Stelle beginnt zunächst recht viel­ver­sprechend der 80minütige Film, den Alessan­dro Rossetto 2007 unter dem Titel »Feltrinelli« dreh­te. Er zeigt den heute noch stehenden Strom­mast, in dessen Nähe sich mittlerweile iro­ni­scher­weise ein Großdepot für Bücher befindet. Ein guter Einstieg eigentlich, um den Zuschauer darauf vorzubereiten, dass es hier weniger um die höchst abenteuerliche Figur des Verlagsgrün­ders gehen könnte als um den in Italien kulturprägenden Verlag selbst. Doch schnell wird klar, dass nicht nur die deutsche DVD-Version des Films schlampig gemacht ist. Italienisches Archivmaterial wird unzureichend, teilweise über­haupt nicht untertitelt; gesprochene Kommentare sind allzu direkt, sprich: schlecht aus dem Ita­lie­nischen übersetzt. Beispielsweise wird das italienische Verb »censurare« nicht mit »zensieren«, sondern »zensurieren« übersetzt, also: Schulnoten vergeben.

Auch der Regisseur selbst wusste offenbar nicht, für welches Thema er sich entscheiden sollte. Und so springt der Film munter hin und her: Ohne jegliche Erklärung wechseln sich beispielsweise Szenen von zu penetranter Tangomu­sik schmu­senden Pärchen im Feltrinelli-Haupt­­shop in Mailand mit 50-Sekunden-Einschnitten aus der politischen Vita Feltrinellis ab. Einem Clip von einem Segeltörn der Familie Feltrinelli folgt ein (wahrscheinlich irgendwie kritisch gemeinter) Ausschnitt aus einer Verkäuferschulung für Feltrinelli-Buchläden. Ebenso unvermit­telt folgen aufeinander: mehrere Minuten Kaffee­hausschmäh zwischen einem älteren Feltrinelli-Lektor und einer ziemlich backfischigen Jungautorin, die verständlicherweise gelangweilte Miene von Carlo Feltrinelli, während er zum aber­dutzendsten Male den Lieblingssprüchen der Bekannten seiner Eltern lauscht, der sich plusternde Klaus Wagenbach im Feltrinelli-Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung, und dann unvermittelt Archivaufnahmen von Boris Pasternak, dem Autor von »Doktor Schiwago«. Ein Buch, das, weil es in der Sowjetunion nicht erscheinen durfte, sowohl 1957 den Welterfolg des jungen Verlegers begründete als auch den Bruch des bis dahin treuen Parteisoldaten Feltrinelli mit der KPI.

Überhaupt stellen die Archivausschnitte quasi die Inseln von Spannung und Information dar, die die quälend überflüssigen Passagen zwischen ihnen bis zum Ende erträglich machen. Schemen­haft nur werden die Umrisse der von Rossetto so knallhart versenkten Story des Verlagshauses Feltrinelli sichtbar: Wie nämlich die vom Sozialromantiker Feltrinelli angestrebte Verwandlung des lesefernen Italiens, der die eigene Kette von Buchshops zuarbeiten sollte, die Event-Orientie­rung des Medienkaufhauses heutiger Prägung bereits vorwegnahm. Kommunistische Volksauf­klärung also als Vorhut des grenz- und schichten­übergreifenden medialen Massenkonsums. Aber auch um diesen interessanten Aspekt kümmert sich »Feltrinelli« schließlich nicht, sondern versucht, sich vollkommen bar jeglichen Zusam­men­hangs im Glanz literarischer celebrities wie Amos Oz oder Doris Lessing (die in Italien beide von Feltrinelli verlegt werden) zu sonnen. Fazit: »Feltrinelli« ist leider ein typisches Subventions­produkt europäischer Filmförderung.

»Feltrinelli« (2007). R: Alessandro Rossetto. DVD von Pandora-Film, Köln