»Musik lässt manche Grenzen fallen«

Henry Rollins, Musiker

Henry Rollins war von 1981 bis 1986 der Sänger der einflussreichen US-Punkband Black Flag. In den neunziger Jahren war er mit der Rollins Band erfolgreich. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und ist als Schauspieler in »Lost Highway«, »Heat« und »Johnny Mnemonic« zu sehen. Zurzeit moderiert er eine Radio- und eine Fernsehsendung. Darüber hinaus ist er als Stand-Up-Comedian mit seiner Spoken-Word-Show unterwegs. Im Januar ist er mit seinem neuen Programm »Provoked« auch in Deutschland zu sehen. Henry Rollins sprach mit der Jungle World über das Reisen, die Musik als kosmopolitisches Medium und die Tücke der Sprachbarrieren. interview: markus ströhlein

Wie viel Zeit haben Sie im vergangenen Jahr in Ihrem Wohnort Los Angeles verbracht?

2007 war ich sehr beschäftigt. Ich habe mich nur in Los Angeles aufgehalten, um an meiner Radio­sendung und an meiner Fernsehshow zu arbeiten. Einen großen Teil des Jahres habe ich in Skandinavien, in den Beneluxländern, in Großbritannien, im Iran, in Syrien, im Libanon, in Israel, in Jordanien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Kanada verbracht.

Ich bin lieber unterwegs als zuhause. Es gibt angenehme Seiten in LA: Meine Platten, meine Bücher, viele Annehmlichkeiten. Ich kann meine Lieblingsspaghetti machen. Aber aufregend ist es nicht. Wenn ich auf Tour bin, muss ich mich durch jeden Tag hangeln. Man reist, hat einen Auftritt, trifft Menschen. Das ist für mich bedeutsamer. Nach einem Monat auf Tour fühle ich mich zwar, als wäre ich verprügelt worden. Aber ich habe etwas erlebt. Zuhause in LA stellt sich dieses Gefühl nicht ein.

Lassen Reisen die ­nationale Perspektive unbedeutender werden, wird der Blick kosmopolitischer?

Amüsanterweise erfahre ich durch meine Reisen mehr über die USA, als wenn ich zu Hause bin. Wer in den Vereinigten Staaten lebt, weiß unter Umständen einiges. Aber wenn man sich in anderen Ländern anschaut, was die USA angestellt haben, lernt man viel über Amerika. Ein Aufenthalt in Südamerika, in Afrika oder Südostasien ermöglicht eine Perspektive auf das Ganze. Meine Reisen sind in dieser Hinsicht sehr informativ. Außerdem ist es überaus interessant, beispielsweise Menschen im Libanon und im Iran zu treffen und zu hören, was sie über die USA denken. Ich habe Dinge gehört, die ich nicht unbedingt erwartet hätte.

Und zwar?

Als ich in Teheran war, habe ich oft bei Leuten zu Abend gegessen, die ich kennen gelernt hatte. Ich sagte bei Tisch: »Entschuldigung, wenn ich eine blöde Frage stelle. Ich bin nur ein dummer Amerikaner. Aber was haltet ihr denn nun wirklich von Amerika?« Meistens antworteten alle auf einmal: »Die USA sind ein großartiges Land!« Ich fragte dann immer nach: »Ihr hasst Amerikaner also nicht?« Sie sagten dann: »Nein, überhaupt nicht. Aber wir haben natürlich Angst, sollten die USA den Iran angreifen.«

In Schweden habe ich einen Mann aus dem Irak getroffen. Ich habe ihn gefragt: »Was halten Sie von den USA?« Er antwortete: »Ich habe meinen Neffen in San Diego besucht. Amerika ist großartig.« In Damaskus habe ich einen Mann namens Walid getroffen. Wir haben zusammen eingekauft, haben Tee getrunken und häufig geredet. Im Libanon hat mich ein Taxifahrer zu sich und seiner Familie eingeladen. Mir schlug also alles andere als Hass entgegen. Meine Begegnungen sind natürlich nicht repräsentativ, und ich bin kein Experte. Selbstverständlich hassen viele Menschen Amerika. Aber es ist schön, auf meinen Reisen immer wieder Leute zu treffen, die nichts gegen die USA haben. Die großen US-Nachrichtensender liefern ein anderes Bild.

Ihr Vorschlag zur internationalen Konfliktlösung lautet: Werft Platten der Ramones über Krisengebieten ab! Denn Ramones-Fans haben Ihnen zufolge keine nationalen Interessen und bringen sich nicht gegenseitig um. Ist die Musik ein kosmopolitisches Medium?

Ich propagiere diese vielleicht etwas naive Theorie der Ramones-Platten immer noch in meinen Spoken-Word-Shows. Ich denke, Musik lässt in der Tat manche Grenzen fallen. Das ist ihre Kraft. Das gilt für Punkrock und für Rock’n’Roll wie für die Stücke von Louis Armstrong. Musik erlaubt Menschen, ihr eigenes Leben zu spüren. Selbst wenn man den Text nicht versteht: Dein Arsch findet ohnehin den Rhythmus schneller, als das Gehirn versteht, was die Worte bedeuten. Musik richtet sich an ein bedeutsames Verlangen des Menschen: die kurze Zeit zu genießen, die man auf der Welt hat. Lieber hört man zwei Stunden Musik, als sich selbst und andere in die Luft zu jagen.

Stevie Wonder wäre ein hervorragender Botschafter für Musik. Man muss sich nur einmal seine Platte »Innervisions« anhören. Ihr kann sich wahrscheinlich niemand entziehen. Man könnte sie Hu Xintao oder Kim Jong-il geben. Duke Ellington hat 50 Jahre lang mit seiner Band gespielt. Er ist an außergewöhnlichen Orten aufgetreten, vor Sultanen, Prinzen und Königen. Wenn Duke Ellington kam, ging der Grenzbaum hoch. Ellingtons Musik hat den Teil der Persönlichkeit angesprochen, der keinen Wert darauf legt, beispielsweise ein Dorf zu bombardieren.

Haben Sie in Syrien oder im Iran Ramones-Fans getroffen?

Filesharing ist im Iran recht beliebt. Ich habe in Teheran einen jungen Mann getroffen, mit dem ich einige musikalische Vorlieben teilte. Natürlich kannte er die Ramones. Aber er war so begierig nach neuer Musik, dass er alle Songs von meinem Mp3-Player auf seine Festplatte kopiert hat. Wir haben uns später noch einmal geschrieben. Er hat sich immer noch durch die Unzahl an Songs gehört. Ich habe ihm gesagt, er solle sie auch seinen Freunden geben.

Bei Ihren Spoken-Word-Shows sprechen Sie Englisch. Wo stößt man mit dieser vermeintlichen Weltsprache an Grenzen?

Ich bin in Russland aufgetreten. Alle Besucher mussten Kopfhörer tragen, über die sie eine Simultanübersetzung hören konnten. Es war schrecklich. Ich habe auf der Bühne gemerkt, wie schlecht das funktioniert hat. Ich hoffe, es hat den Leuten gefallen. Ich bin mir aber nicht sicher, bis zu welchem Grad sie mich überhaupt verstanden haben.

Im April werde ich fünf Auftritte in Spanien haben. Ich frage mich jetzt schon, wie das funktionieren soll. Ich war häufig genug in Spanien, um zu wissen, dass Englisch dort nicht so flüssig gesprochen wird wie beispielsweise in der Schweiz, in Deutschland, in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern. Je provinzieller es ist, desto schwieriger wird es.

Wer die Welt sehen will, braucht Geld. Muss der kosmopolitische Reisende nicht recht privilegiert sein?

Das hängt vom Reiseziel ab. Ein Flug nach Pakistan ist nicht billig. Nach Europa zu gehen, ist für einen Amerikaner hingegen nicht so teuer. Es gibt viele günstige Möglichkeiten, durch Europa zu reisen. Man kann also als US-Bürger, Australier oder Kanadier mit dem Gepäck auf dem Rücken eine großartige Zeit dort haben, atemberaubende Orte sehen, gute Musik entdecken und vor allem Menschen aus anderen Ecken der Welt treffen. Man kann für das große Auto oder das tolle Haus sparen. Oder man kann reisen.