Nix mit auf etepetete

Graciano Rocchigiani hat seine Autobiografie schreiben lassen. Sie ist so gut wie ein Punktsieg, dabei taugt sein Leben doch auch für einen Knockout. von martin krauss

So beginnen Karrieren: »Der Schlussstrich unter meiner schulischen Laufbahn ist trostlos. Kein Abschluss. Das Gleiche gilt rund zwei Jahre später für meine Lehre. Ich schmeiße auch hier die Brocken hin und setze alles auf eine Karte. Auf das Boxen.«

Graciano Rocchigiani wurde 1983 Profiboxer, fünf Jahre später, 1988, war er Weltmeister im Supermittelgewicht. Bald darauf legte er den Titel nieder, doch im März 1991 wurde er Europameister im Halbschwergewicht. So gesehen hat sich die Entscheidung, Berufsboxer zu werden, für Rocchigiani gelohnt. Aber der Eintritt in die Welt, in der die hohen Börsen gezahlt werden, war riskant.

Offiziell hieß es bislang immer, dass Rocchigiani seinen ersten WM-Titel wegen Gewichtsproblemen niederlegte. In Wirklichkeit hatte er Drogenprobleme, wie er in seiner soeben erschienenen Autobiografie zugibt. Andere Abstürze in Rocchigianis Leben sind bekannter. Zum Beispiel die Verurteilung wegen »Menschenhandels« im Jahr 1989 – und der erst ein dreiviertel Jahr nach dem Fehlurteil ergangene Freispruch. Dass er anschließend noch zweimal ins Gefängnis einziehen musste – Körperverletzung und Fahren ohne Führerschein sind die Gründe –, ist auch bekannt. Und dass er große Kämpfe lieferte, die nicht zu seinen Gunsten ausgingen, gehört ebenfalls zum Basiswissen deutscher Sportinteressierter. Rocchigiani listet in seiner Autobiografie noch einmal auf: 1994 gegen Chris Eubank – von den Punktrichtern verarscht. 1994 gegen Frederic Seillier – mit üblen Tricks verarscht. 1995 gegen Henry Maske – von Punktrichtern verarscht. 1996 gegen Dariusz Michal­czewski – von einem schauspielernden Gegner verarscht. Et cetera.

Über all das schreibt Rocchigiani nun, dabei ist seine boxerische Karriere genau genommen noch nicht zu Ende. Gegen Dariusz Michal­czews­ki will er im kommenden Frühjahr einen dritten Kampf absolvieren. Er wird dann 44 Jahre alt sein, sein Gegner 40, und Rocchigiani lässt keinen Zweifel daran, dass es ihm nicht um irgendwelche Fragen der Ehre geht, sondern darum, noch einmal viel Geld einzustreichen.

Michalczewski, den er einst in einer Pressekonferenz als den »dummen Polen« bezeichnet hat, zollt er mittlerweile großen Respekt. Bei Henry Maske ist das anders, ein paar Zitate sollen zeigen, wie Rocchigiani zu großer Form aufläuft, wenn er den Namen Maske hört: »Maske ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann ihn nicht ausstehen. Dieses ganze Gentleman-Gequatsche geht mir auf den Sack. Ständig macht er einen auf etepetete.« Und: »Für mich der klassische Fall des Wendehalses.« Und: »Verwöhnt und hofiert im Osten, hat er im Westen nahtlos dort angeknüpft, wo er in der DDR aufgehört hat. Wo ist er denn abgeblieben nach seinem Karriereende? Der Junge aus Frankfurt an der Oder? Geflitzt ist er. Geflüchtet. Hat Mc­Donald’s-Läden eröffnet. Alle im Westen. Ganz so, als würde man in den neuen Ländern keine Hamburger essen.« Und: »Mich kotzt das ganze Gehabe an. Besonders wenn er so tut, als habe er das Boxen erfunden.« Zusammengefasst lautet Rocchigianis Urteil über Maske also: » … ein richtiger Stinker, wie es in der Boxersprache heißt«.

Dass Rocchigiani Maske nicht so recht leiden mag, ist zugegeben nicht wirklich neu. Aber sein Hass auf den früheren Oberleutnant der Nationalen Volksarmee gehört zu seinem Leben. Die zwei Niederlagen gegen Maske wurmen ihn bis heute, und eine Rocchigiani-­Autobiografie darf einfach nicht ohne Anti-Maske-Tiraden auskommen.

Rocchigianis Buch bietet aber auch Neuigkeiten, wenngleich weniger, als man sich erhofft hätte. Einmal schildert er – mit Hilfe eines anonym bleibenden Informanten –, wie genau Schmiergeldzahlungen am Ring stattfinden. Das ist für Insider nicht ganz neu, aber die Wege, auf denen

an einem

Kampf­abend 100 000 Euro bar, quittiert auf Bierdeckeln, an nicht existierende Manager, verteilt werden, sind schon interessant. Interessant auch die Schilderung, wie Rocchigiani bei dem US-Promoter Don King vorspricht, was für ein gutes Barbecue der auffährt, obwohl recht bald klar ist, dass es mit dem Vertrag nichts wird.

Rocchigianis Fazit aus der Beschäftigung mit der Welt der Promoter klingt erschreckend naiv: »Es ist wohl tatsächlich so, dass ein ungeschriebenes Gesetz die Szene beherrscht, welches wir nicht nur vom Boxen kennen: Geld regiert die Welt!« Tja, man möcht’s kaum glauben: sogar im Profiboxen!

Diese Naivität erklärt vielleicht auch, warum es nicht die spektakulären Enthüllungen sind, mit denen Rocchigiani dienen kann. Er hat sich zum Beispiel sehr darüber geärgert, dass er aus seinem ersten Vertrag mit dem deutschen Promoter Sauerland nie Geld erhalten hat, das Sauerland angeblich für ihn als Festgeld angelegt hat. Keine große Summe, aber Rocchigiani bemüht sich um den Nachweis, dass ihm das heute noch zusteht. An anderer Stelle zeigt er sogar, dass ihm ein Grundschulkumpel noch zwei Mark aus einer Wette schuldet – heute will er, wegen Zinsen und Inflation, zwei Euro haben.

Diese Beispiele führen zu einer anderen Erkenntnis des Buches. In einem größeren Maße, als man bisher annahm, ist bei Rocchigiani die Vermutung zur Gewissheit geronnen, immer und überall verarscht worden zu sein.

»Ich will hier kein Lied des Jammerns anstimmen«, beginnt er einmal rhetorisch. »Das steht mir nicht zu, dafür habe ich dem Boxen viel zu viel zu verdanken.« Aber dann kommt es, das große Aber: »Aber niemand will allen Ernstes behaupten, ich sei einer jener Kämpfer, die bei den Verbänden, Promotern und Punktrichtern einen Stein im Brett haben.« An anderer Stelle formuliert er ein anderes Aber: »Aber ich heiße ja bekanntlich immer noch Graciano Rocchigiani, bin bekannt wie ein bunter Hund und einschlägig vorbestraft. So hat man keine Chance. Diese Erfahrung ist bitter, aber so ist es wohl in diesem Land.« Er sei zum Loser abgestempelt, da könne er nichts machen, »warum sollte ich plötzlich fairer behandelt werden von Polizisten, Staatsanwälten oder Richtern, die mich in Gedanken schon verknackt haben, wenn sie nur meinen Namen hören?«

Wer sich selbst derart als Verlierer präsentiert, kann seine großen Erfolge gar nicht mehr richtig feiern: Dass er, um das beeindruckendste Beispiel vorneweg zu nennen, von einem Gericht 31 Millionen Dollar zugesprochen bekam, die der Verband WBC an ihn zahlen muss, weil der rechts- und statutenwidrig seinen WM-Titel zu einem »Interims-WM«-Titel umgemünzt hatte. Gewiss, Rocchigiani wird die volle Summe nie ganz erhalten, aber schon mit einem Teil davon kann man doch ganz gut leben.

Auch sympathische Passagen seines Buches, etwa, dass er im Kapitel »Meine Gegner« beinahe nur über sich als seinen größten Gegner schreibt, leiden unter diesem unbedingten Willen, sich selbst immer nur als das Opfer zu sehen.

»Wenn ich schreiben könnte, wäre ich Schriftsteller geworden«, begründet Rocchigiani, warum zwei Journalisten ihm das Buch schrieben und nicht er selbst. Nun sind Journalisten bekanntlich auch keine Schriftsteller, und die von ihm ausgeguckten sind besonders weit davon entfernt, welche zu sein: Der eine ist Ralf Grengel, der die Agentur leitet, die Rocchigiani vermarktet, der andere ist der Ex-ZDF-Mann René Hiepen. Die haben ihm solch literarischen Perlen ins Manuskript gehauen wie die, dass aus Rocchigianis Ejakulat auf dem Gefängnishof »jetzt bestimmt ’ne Riesenpalme« wächst, »mit Kokosnüssen!«

So etwas Schmieriges schreiben diese Journalisten dem Mann in die Autobiografie, der das schöne Wort »Advokatenscheißer« erfunden hat und der für dessen praxisnahe Anwendung sogar verurteilt wurde.

Mittendrin im Buch heißt es einmal: »Meine boxerischen Fähigkeiten haben mein Selbstvertrauen gestärkt und dafür gesorgt, dass ich nur ganz selten Stress aus dem Weg gegangen bin.« Rocchigiani verdankt dem Boxen viel mehr als die Millionen und die Popularität. Aber damit er endlich einsieht, dass er für einen ohne Haupt­schulabschluss und mit abgebrochener Gebäudereinigerlehre doch recht viele Millionen verdient hat, sollte er noch mehr Millionen erhalten. Nur das wäre eine gerechte Welt.

Graciano Rocchigiani: Rocky – Meine 15 Runden. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2007, 367 Seiten, 19,90 Euro