Heimlich im ­Seelendepot

Der polizeiliche Zugriff auf private Festplatten ist längst Realität. Die geplante heimliche Online-Durchsuchung ermöglicht vor allem die Entstehung einer Geheimpoli­zei. Von Ron Steinke

Bei der heimlichen Festplattendurchsuchung, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) mithilfe des neuen BKA-Gesetzes einführen will, liegt die Betonung auf »heimlich« – denn alles andere daran wird längst praktiziert. Die Polizei hat auch heute schon die rechtliche Möglichkeit, private Festplatten zu beschlagnahmen und zu durch­suchen. Bei Ermittlungen wegen Kinder­porno­gra­phie tut sie das regelmäßig, zuweilen aber auch, wenn es nur um Delikte wie unerlaubtes Filesharing von Musikdateien geht. (Jungle World, 22/06)

Bei der ersten Razzia gegen Islamisten in Neu-Ulm im Jahr 2003 beschlagnahmte die bayerische Polizei mehrere Computer aus privaten Wohnungen, das Vorgehen ist dort seither mehrmals wiederholt worden. Auch als kurz vor dem G8-Gipfel die Räume verschiedener linker Projekte in der Bundesrepublik durchsucht wurden, transportierte die Polizei zahlreiche private Computer mit ab.

Aber erst jetzt, da es um die geplante Online-Durchsuchung geht, werden Proteste laut. Gefordert wird, dass die private Festplatte für den Staat stets und unter allen Umständen tabu bleiben müsse. Sie sei der »Kernbereich der Privat­sphäre« (Gerhart Baum, FDP), ein »ausgelagertes Gehirn« (Burkhard Hirsch, FDP) oder gar das »Seelen­depot« (Hans-Dietrich Genscher, FDP) des modernen, vernetzten Menschen.

Dabei besteht das Neue an der Online-Durchsuchung gar nicht darin, dass die Polizei überhaupt auf private Festplatten zugreifen kann – abgesehen davon, dass das angesichts der genannten Beispiele auch gar nicht in jedem Fall skandalös wäre –, sondern schlicht darin, dass dies künftig heimlich geschehen soll. Ein Teil der polizeilichen Ermittlungsarbeit wird ins Geheime verlagert. Die Möglichkeiten einer demokratischen Kontrolle der Polizei werden dadurch empfindlich verringert.

Gegen eine herkömmliche Beschlagnahme von Computern, die sich als ungerechtfertigt herausstellt, können Betroffene sich immerhin noch vor Gericht wehren. Wird hingegen die Durchsuchung einer Festplatte heimlich vorgenommen und möglicherweise ergebnislos zu den Akten gelegt, fehlt den Betroffenen jede Möglichkeit, überhaupt davon zu erfahren. An die Öffentlichkeit gelangt so etwas nicht.

Aus der SPD kam daher bereits der Vorschlag, ein parlamentarisches Kontrollgremium einzurichten, das alle Online-Durchsuchungen, die das Bundeskriminalamt vornehmen will, vertraulich beaufsichtigen soll – ähnlich dem Parlamentarischen Kontrollgremium, der neunköpfigen parlamentarischen Kommission, mit der die Legislative die Arbeit der Geheimdienste zu kontrollieren versucht. Ob die Regierung allerdings ausgerechnet mit einer ähnlichen Kommission, die Online-Durchsuchungen überprüft, den Eindruck zerstreuen kann, dass eine Art Geheim­polizei entsteht, ist äußerst zweifelhaft.

Die Trennlinie zwischen der Polizei und den Geheimdiensten wird nämlich nicht nur äußerlich weiter verwischt, wie zuletzt etwa durch die viel kritisierte gemeinsame Anti-Terror-Datei von Polizei und Geheimdiensten, mit deren Hilfe diese ihre Informationen austauschen können, oder durch das »Gemeinsame Informations- und Analysezentrum«, das in Berlin-Treptow errichtet wurde. Viel dramatischer dürfte sein, dass mit Maßnahmen wie der heimlichen Online-Durchsuchung das brisante Privileg, Staatsgewalt im Geheimen ausüben zu dürfen, auch funktionell ausgeweitet wird: von den Geheimdiensten auf die Polizeibehörden, die es mit dem alltäglichen Geschäft zu tun haben.