Spekuliert wie geschmiert

Das Öl wird immer teurer, der Wert des Dollars fällt, und die USA befinden sich in einer Führungskrise. An der Börse ist die Aufregung groß, doch dem Kapital macht das alles weniger aus als in den siebziger Jahren. Denn die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich seither zu seinen Gunsten geändert. von ingo schmidt

So geht es zu an den Finanzmärkten: Die »jungen Wilden« spekulieren auf den Tag, an dem der Ölpreis die Marke von 100 Dollar pro Barrel überschreitet. Diejenigen, die schon länger im Geschäft sind, sorgen sich darüber, dass die steigenden Ölpreise zur Wiederkehr der Stagflation – dem gleichzeitigen Auftreten von Inflation und Wirtschaftskrise bzw. Stagnation – führen könnten, der sie, damals selbst »junge Wilde«, in den siebziger Jahren den Kampf angesagt haben.

Von den heutigen Spekulationsgeschäften unbeeindruckt wiederholen diese Jünger der monetaristischen Lehre ihre Botschaft, derzufolge das Auftreten einer Stagflation die Wirtschaftspolitiker vor die Wahl zwischen zwei Übeln stellt. Versuche, die Wirtschaft durch Zins- und Steuersenkungen, vielleicht sogar durch steigende Staatsausgaben anzukurbeln, führen angeblich bestenfalls kurzfristig zu höheren Wachstums- und Beschäftigungszahlen, lösen aber allgemeine Preissteigerungen aus. Diese führen zu Unsicherheit, zu sinkender Investitionsneigung der Unternehmen und daher langfristig zu Stagnation. Werden dagegen Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung unternommen, verschärft sich die Wirtschaftskrise zwar kurzfristig wegen hoher Kosten und sinkender Nachfrage. Langfristig aber, so sagen die Monetaristen, wird nach dieser Methode mehr investiert und dauerhaftes Wirtschaftswachstum stellt sich ein.

Deshalb bevorzugen Monetaristen Maßnahmen zur Preisstabilisierung. So werden im Namen der Inflationsbekämpfung seit den siebziger Jahren die Lohnforderungen der Gewerkschaften und die Vorschläge zum Ausbau des öffentlichen Sektors zurückgewiesen.

Gleichwohl sollten auch die Variationen des monetaristischen Grundthemas nicht übersehen werden. Die Debatte über steigende Ölpreise ist heutzutage viel unaufgeregter als in den siebziger Jahren. Wird das Öl teurer, so wirkt sich dies weniger stark auf die Verbraucherpreise aus als damals. Das hängt damit zusammen, dass weniger Öl gebraucht wird als vor 30 Jahren, um die Produktion eines Gutes oder einer Dienstleistung um eine Einheit zu erhöhen. Dass die größere Energieeffizienz den von den Ölpreissteigerungen ausgehenden inflationären Druck vermindert, ist zweifellos richtig, suggeriert aber fälschlicherweise, der Bedarf an Öl habe insgesamt nachgelassen. Davon kann keine Rede sein. Die wirtschaftspolitische Debatte über Ölpreise, Inflation und Wirtschaftskrise ignoriert die Endlichkeit der Ölreserven, die andernorts unter dem Stichwort »Peak-Oil« verhandelt wird, ebenso wie die von der Nutzung fossiler Energien verursachten Effek­te auf das Klima. Mehr noch, die Sorge um Preisstabilität und Wirtschaftswachstum droht ökologische Belange wieder einmal in den Hintergrund zu drängen.

Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb Inflationsgefahren heutzutage kaum hysterische Reaktionen hervorrufen. Das hohe Beschäftigungs­niveau und die starke gewerkschaftliche Organisierung erlaubten es damals den abhängig Beschäftigten, die von der Inflation verursachten Reallohnverluste mittels höherer Nominallöhne zu vermeiden, die von den Unternehmen wiederum zum Anlass für weitere Preiserhöhungen genommen wurden. Da die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht, nicht zuletzt als Folge monetaristischer Wirtschaftspolitik, in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich geschwächt werden konnte, werden steigende Rohstoffkosten derzeit in Form niedrigerer Reallöhne auf die abhän­gig Beschäftigten abgewälzt, ohne die Profitmargen des Kapitals anzugreifen.

Das Verhältnis der Löhne zu den Rohstoffkosten ist von entscheidender Bedeutung, um weltwirtschaftliche und wirtschaftspolitische Veränderungen seit den siebziger Jahren zu verstehen. Die Gleichzeitigkeit von Arbeiterkämpfen in den Metropolen und antiimperialistischen Kämpfen in den Peripherien des kapitalistischen Weltsystems ließ den herrschenden Klassen seinerzeit die Vereinigung von Proletariern und unterdrückten Völkern aller Länder als eine realistische Perspektive erscheinen. Um das zu verhindern, wurden nicht nur konterrevolutionäre Gewalt angewandt und Gewerkschaftsrechte eingeschränkt. Als ein entscheidender Faktor, um die subalternen Klassen des Nordens und des Südens gegeneinander auszuspielen, erwiesen sich die »Ölpreisschocks« der Jahre 1973 und 1979.

Mittlerweile ist bekannt, dass die von der Opec unter Führung Saudi-Arabiens durchgesetzten Preiserhöhungen mit Angehörigen der damaligen US-Regierung abgestimmt waren und insofern von einem »Schock« keine Rede sein konnte. In der Öffentlichkeit wurden sie freilich erfolgreich als Ergebnis eines Komplotts raffgieriger Ölscheichs dargestellt, welche die Kaufkraft ehrlich erworbener Einkommen aufzehrten. Um diesen inflationären Prozess zu stoppen, so die monetaristische Dialektik, seien leider die Zinsen zu erhöhen und die Ausgaben zu senken. Dadurch verursachte Einkommens- und Arbeitsplatzverluste seien unvermeidlich.

Die politische Mobilisierung protestantischer Verzichtsethik war umso erfolgreicher, als der Anlass dafür ungläubigen Orientalen untergeschoben werden konnte. In dieser Logik war die im Jahr 1979 von der amerikanischen Zentralbank unter Paul Volcker eingeleitete Verknappung des Geldangebotes, die in Lehrbüchern für Ökonomie bezeichnenderweise »Volcker-Schock« genannt wird, notwendig, um sowohl die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht im Norden als auch die Forderungen der Staaten des Südens nach einer globalen Umverteilung des Reichtums zurückzuweisen.

Unterstützt wurde die imperialistische Offensive durch den ersten Golfkrieg, zu dem die US-Regierung den Irak unter Saddam Hussein ermuntert hatte. Der Beginn des irakischen Angriffs auf den Iran setzte der Eintracht der Opec-Staaten und den hierdurch ermöglichten Preiserhöhungen ein schnelles Ende. Um den Krieg zu finan­zieren, weiteten der Irak und der Iran ihre Ölexporte außerdem so weit aus, dass der Ölpreis Mit­te der achtziger Jahre auf das Niveau vor 1979 zurückfiel. Der von der Opec unternommene Versuch, mittels höherer Rohstoffpreise Reichtum vom Norden in den Süden umzuleiten, war damit gescheitert.

Die Ironie der Geschichte besteht freilich darin, dass China, das sich unter der Führung Mao Zedongs in den siebziger Jahren gleichzeitig als Leuchtfeuer der Revolution und Freund der USA unter Richard Nixon präsentierte, aus Monetarismus und Staatssozialismus ein höchst erfolgreiches Industrialisierungsmodell entwickeln konnte und damit jene Rohstoffkonkurrenz herbeigeführt hat, welche die Metropolen seit den siebziger Jahren so sehr fürchten. Es mag jungen Börsenhändlern, deren Interesse am Ölgeschäft erst nach dem Platzen spekulativer IT- und Immobilienblasen geweckt wurde, entgangen sein, dass der Ölpreis bereits seit 1999, also rund zwei Jahre vor dem Ende der New Economy, mehr oder minder stetig ansteigt.

Wer geglaubt hatte, der von den USA angeführte Krieg gegen den Irak werde dafür sorgen, dass Öl bis zum letzten Tropfen billig in die Metropolen fließt, sah sich schnell getäuscht. Unter Bedingungen des Krieges kann die Ölproduktion im Irak kaum ausgeweitet werden. Dadurch bleibt das Weltmarktangebot an Öl beschränkt und der Preis sinkt nicht. Förderregionen außerhalb des Mittleren Ostens weisen durchweg schwierigere geologische Verhältnisse auf, sodass Öl nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen und oftmals in schlechterer Qualität gewonnen werden kann. Neben diesen objektiven Problemen auf der Ange­botsseite der Weltölmärkte liefert die politische Instabilität des Mittleren Ostens Ölpreisspekulationen einen idealen »Rohstoff«, deren kumulativer Effekt den Ölpreis über das durch Weltangebot und Weltnachfrage bedingte Niveau hinaus­treibt.

Da die USA seit ihrem Aufstieg zur Weltmacht der Garant eines auf billiges Öl angewiesenen Produktions- und Konsummodells waren, hat der steigende Preis des Öls Zweifel an der Führungskraft des Staates ausgelöst. Ökonomischer Ausdruck dieser Zweifel sind Währungsspekulationen gegen den Dollar, dessen Kurs, von Schwankungen abgesehen, seit 2001 fällt.

Steigende Ölpreise, Führungskrise der USA und Wertverfall des Dollar, dies ist das gleiche ökonomische Szenario, das in den siebziger Jahren drohte, aber durch eine monetaristisch-imperialistische Offensive für drei Jahrzehnte verhindert werden konnte. Dass die Politiker die Aufregung über die Wiederkehr wirtschaftlicher Krisenphänomene der siebziger Jahre den Börsenhändlern überlassen und ansonsten eher nüchtern die Sicherung ihrer Herrschaft planen, liegt vor allem daran, dass sich die revolutionäre Euphorie jener Tage noch nicht wieder eingestellt hat. Denn im Zerstören der Hoffnungen subalterner Klassen und Schichten auf Teilnahme am Reichtum, die in Lehrbüchern für Ökonomie als »Anspruchs­inflation« denunziert werden, war der Monetarismus erfolgreicher als im engeren Sinne in der Stabilisierung der Geld- und Finanzmärkte.