Weder Freund noch Helfer

Am 7. Januar jährt sich zum dritten Mal der Todestag von Oury Jalloh, der in einer Dessauer Gefängniszelle verbrannte. In den vergangenen Jahren kamen in Sachsen-Anhalt etliche Polizeiskandale hinzu. Ein Untersuchungsausschuss soll für Aufklärung sorgen. von martin kröger

»Niemand wird vergessen! Für Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung!« Unter diesem Motto organisiert eine Initiative im Gedenken an Oury Jalloh gemeinsam mit anderen migrantischen und antirassistischen Gruppen am 7. Januar eine bundesweite Demonstration in Dessau, um an den dritten Todestag des 21jährigen Bürgerkriegsflüchtlings aus Sierra Leone zu erinnern. An Händen und Füßen gefesselt war Oury Jalloh am 7. Januar 2005 qualvoll in einer Zelle der Polizeistation Dessau verbrannt. Bis heute sind die Todesumstände ungeklärt.

Für Aufklärung sollte ein Prozess vor dem Landgericht in Dessau sorgen. Er begann im April 2006 (Jungle World, 14/2007), ist jedoch immer noch nicht beendet. »Dieser Prozess hat sich zu einem Mammutprozess ausgeweitet«, sagt Steffen Andersch, der das Verfahren seit neun Monaten gemeinsam mit anderen als Prozessbeobachter begleitet und dokumentiert. 50 Prozesstage plant Richter Manfred Steinhoff inzwischen ein. Ursprünglich sollte das Verfahren, in dem zwei Polizisten des Dessauer Reviers wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung angeklagt sind, im Mai vergangenen Jahres abgeschlossen werden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Asylbewerber hätte gerettet werden können, wenn die Polizisten beim Brandalarm schnell genug reagiert hätten.

Ein Ende des Prozesses wird nun für März erwartet. Von »entscheidenden Entwicklungen« sprechen die Anwälte der Nebenklage, die Oury Jallohs Eltern vertreten. Denn die Nebenklage strebt neue Untersuchungen des Landeskriminalamts (LKA) zum Brandschutt und dem ominösen Feuerzeug aus Jallohs Gewahrsamszelle an. Zudem haben Polizeibeamte inzwischen den Haupt­angeklagten, Dienstgruppenleiter Andreas S., schwer belastet, berichtet Prozessbeobachter Andersch. Auch die Skepsis, ob das Gericht wirklich an einer öffentlichen Aufarbeitung der Todesursachen Oury Jallohs interessiert ist, scheint nach Ansicht der Beobachter mittlerweile nicht mehr angebracht: »Wir haben den Eindruck, dass das Gericht bemüht ist, die Chronologie der Ereignisse des 7. Januar 2005 auszuwerten.« Erschwert wird die Aufarbeitung jedoch durch die Verschleppung des Prozessbeginns und die dadurch bedingten Erinnerungslücken der Zeugen.

Der Tod Oury Jallohs im Polizeigewahrsam in Dessau ist nicht der einzige Skandal, der die Polizei in Sachsen-Anhalt belastet. Seit 2005 erschütterte eine Serie von Pannen das Ansehen der Behörden. Ein Fall betrifft wiederum direkt Steffen Andersch, den Prozessbeobachter. Als Leiter des »Projekts Gegenpart«, der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Dessau, erledigte er im Herbst 2006 lediglich seine Arbeit, für die er vom Staat bezahlt wird. Er bezeichnete einen Rechtsextremisten auf einer Informationsveranstaltung in Bergwitz im Kreis Wittenberg als solchen. Dass daraufhin der Dessauer Staatsschutz ein Verfahren gegen ihn eröffnete, erfuhr Andersch erst später. »Die Arbeit einer Initiative, die aus Bundes- und Landesmitteln gefördert wird, wird absurd, wenn die Polizei nichts Besseres zu tun hat, als Rechtsextreme zu ermutigen, Strafanzeige gegen Bekämpfer des Rechtsextremismus zu stellen«, sagt er. Was das Vorgehen des Staatsschutzes noch absurder macht: 2006 führte Sachsen-Anhalt die Statistik rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland an.

Obwohl das Verfahren gegen Andersch im Frühjahr 2007 eingestellt wurde, beschäftigt sein Fall demnächst einen Untersuchungsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt. Die oppositionelle Linkspartei will das parlamentarische Instrument einsetzen, um die diversen Polizeiskandale aufzuklären. Insgesamt zehn Pannen von Polizisten und Behörden soll das parlamentarische Gremium untersuchen. Jüngstes Beispiel ist der Versuch des LKA von Sachsen-Anhalt, die Statistik rechtsextremer Übergriffe durch eine veränderte Zählweise zu schönen, wie Ende November 2007 verschiedene Medien berichteten. Waren etwa die Verursacher von Hakenkreuzschmierereien nicht bekannt, wurde auch keine rechtsextreme Straftat registriert. So war es der Behörde möglich, nach dem ersten Halbjahr 2007 zu melden, dass die Zahl rechtsextremer Straftaten um die Hälfte gesunken sei. Nach Bekanntwerden des Vorgehens trat der Leiter des LKA, Frank Hüttemann, Ende November zurück.

Weitere Themen im Untersuchungsausschuss

sind der Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt, der im Sommer 2007 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, sowie Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten, bei denen die Polizei bewusst die Hilfeleistung unterlassen oder nur unzulänglich gehandelt haben soll. Im Fall einer »Wehrsportübung« von Neonazis in einem Wald bei Wittenberg soll die Polizei trotz Anzeigen von Spaziergängern nicht ausreichend eingeschritten sein. Einen der schwerwiegendsten Vorwürfe wiederholten drei ehemalige Beamte des Dessauer Staatsschutzes auf einer Sitzung des Untersuchungssausschusses am 10. Dezember: Sie bekräftigten ihre Aussage, dass der ehemalige stellvertretende Polizeipräsident von Dessau im Februar 2007 über die dramatische Zunahme rechtsex­tre­mer Straftaten gesagt habe, »dass man nicht alles sehen muss«. Zudem soll der hohe Beamte die Landeskampagne zur Bekämpfung des Rechts­extremismus mit dem Namen »Hingucken!« als Projekt für die Galerie abgewertet haben. Der Mann, der inzwischen in den Ruhestand versetzt wurde, räumte die ihm zugeschriebenen Aus­sagen zwar ein, stritt aber vor dem Ausschuss er­neut ab, dass er laschere Ermittlungsanweisungen gegeben habe.

Hat die Polizei in Sachsen-Anhalt ein strukturelles Problem bei der Verfolgung rechtsextremer Straftaten und rassistischer Angriffe? Roman Ronneberg glaubt das nicht. Der Geschäftsführer des Vereins »Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit Sachsen-Anhalts«, zu dem unter anderem die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus gehört, mahnt eine differenziertere Betrachtung an. »Sachsen-Anhalts Polizei ist nicht auf dem rechten Auge blind«, sagt Ronneberg. Darüber hinaus bescheinigt er dem Innenminister Holger Hövelmann (SPD) den Willen, Veränderungen im Polizeiapparat herbeizuführen, um die genannten Defizite und Mängel zu beseitigen. Doch ein Apparat, dem ältere und häufig überlastete Beamte angehörten, lasse sich nicht so einfach von heute auf morgen verändern, meint Ronneberg. Außerdem sei die Polizei nur ein Spiegelbild der ohnehin vom Rassismus geprägten Gesellschaft. Dass jedoch der Wille zur Veränderung da sei, bestätigt auch Steffen Andersch: In Dessau versuche inzwischen ein neuer Polizeipräsident, Veränderungen durchzusetzen. Angesichts der Zahlen ist das auch bitter nötig. Denn nach dem Rekord von 2006 pendelt sich die Zahl rechtsextreme Übergriffe in Sachsen-Anhalt auf hohem Niveau ein. »Von Entwarnung kann keine Rede sein«, sagt auch Roman Ronneberg.