Ein Kaktus im Blumenfeld

Kolumbien ist weltweit das gefährlichste Land für Gewerkschafter. Doch trotz der Verfolgung kommt es immer wieder zu Neugründungen von Gewerkschaften. von knut henkel

»Für uns war die Entscheidung von Dole, die beiden Blumenplantagen dichtzumachen, ein herber Schlag«, sagt Beatriz Fuentes. Die Ge­werk­schaf­terin ist eine von rund 3 000 Plantagen­arbeitern, die in den letzten zwölf Monaten entlassen und mit einer kargen Abfindung nach Hause geschickt wurden. Der offizielle Grund: mangelnde Ren­tabilität und betriebsbedingte »Umstrukturierun­gen«. Doch sie zweifelt an dieser Erklärung, die auch Branchenkenner überraschte, denn die Hoch­ebene von Bogotá gilt als Paradies für Blumenproduzenten. Wegen der optimalen Bedingungen erweitern Unternehmen wie Colibriflowers ihre Flächen, statt sie zu reduzieren, sagt Geschäftsführer André Toro.

»Warum also die Schließung der Plantagen?« fragt Aura Rodríguez von der Corporacíon Cactus, einer Organisation, die sich für Arbeits- und So­zialrechte genauso wie für Umweltschutz bei der Blumenproduktion einsetzt. Die resolute Frau gibt die Antwort selbst: »In den beiden Dole-Plantagen arbeiteten mehr als 900 organisierte Arbeiter. Die stellten das Rückgrat von Untra­flores, des ersten unabhängigen Dachverbandes der Blumenarbeiter.« Konkrete Beweise für die Vermutung, dass Dole wegen der Gewerkschaft die Plantagen dichtmachte, hat sie nicht, aber »es wäre nicht das erste Mal, dass eine unabhängige Betriebsgewerkschaft durch die Schließung des Betriebs ausmanövriert wird«.

Manchmal hilft auch die Justiz weiter, im August vergangenen Jahres verfügte ein Gericht die Auflösung der Gewerkschaft Sintracondor, das Management der Plantage feuerte daraufhin acht Arbeiterinnen. Doch in ihrem Engagement behindern lassen wollen sich Beatriz Fuentes und Aidé Silva, Vorsitzende des kleinen Dachverbandes, nicht. Nach Feierabend sind sie oft unterwegs, um Mitglieder zu werben. Hierfür dient ihnen ihre Zeitung Florecer, deren Produktion auch von deutschen Gewerkschaften unterstützt wird und die sowohl über Arbeitskonflikte als auch über die allgemeine Politik berichtet. Für viele Arbeiter ist die Zeitung eine wichtige Informationsquelle und viele sympathisieren mit der Gewerkschaft, aber sie scheuen sich einzutreten.

Als Störenfriede werden die in unabhängigen Gewerkschafter oft dargestellt, und beim Unternehmensverband Asocolflores wird immer nur auf die gelbe Gewerkschaft Sinaltraflor verwiesen. »So genannte gelbe Gewerkschaften, die im In­teresse der Unternehmen tätig sind, gibt es in na­he­zu allen Branchen«, erklärt Domingo Tovar vom Gewerkschaftsdachverband CUT. »Sie sind nur ein Instrument, um das Recht auf die Arbeitervertretung zu untergraben.« Er ist Experte für die Verfolgung von Gewerkschaftsmitgliedern und steht selbst auf den Todeslisten von Paramilitärs und bezahlten Killern. Jeden Tag ist Tovar zwischen zwölf und 16 Stunden unterwegs; versucht, Kollegen zu helfen, die bedroht werden, be­sucht Leute im Gefängnis und steht in stän­digem Kontakt zu Anwälten und der Staatsanwalt­schaft. »Meine Arbeit ist es, national und international auf die Verfolgung von Gewerkschaftern in Kolumbien aufmerksam zu machen. Das wird nicht überall gern gesehen«, sagt er.

Das ist eine freundliche Umschreibung der Ver­hältnisse, denn Gewerkschafter in Kolumbien leben gefährlich. Seit 1991 wurden einem Bericht von Amnesty international zufolge 2 245 ermordet, 3 400 erhielten Attentatsdrohungen, und 138 Gewerkschaftsmitglieder verschwanden spur­los. 78 der 2006 weltweit 115 ermordeten Ge­werk­schafter waren Kolumbianer. Mindestens 60 Prozent der Toten gehen, so Tovar, auf das Konto der Paramilitärs und der staat­lichen Sicher­heits­organe. Das bestätigt auch der Men­schen­rechts­exper­te Alirio Uribe. »Über 97 Prozent der Verbre­chen gegen die Mensch­heit werden in Kolum­bien nicht aufgeklärt«, sagt der Mann, der 2003 den UN-Menschenrechtspreis erhielt. »Es fehlt am politischen Willen, diese Menschenrechtsverbrechen aufzuklären, weil in vielen Fällen Staats­bedienstete beteiligt sind oder mit den paramilitärischen Gruppen sympathisieren.«

Mitte November allerdings wurden drei Paramilitärs wegen der Ermordung eines Gewerkschaf­ters zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil könnte bei den Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen hilfreich sein, denn viele demokratische Kongressabgeordnete lehnen einen solchen Vertrag wegen der Menschenrechts­verletzungen in Kolumbien ab.

In der Woche zuvor wurden erneut zwei Gewerk­schafter ermordet. Insgesamt wurden im vergan­genen Jahr 26 Fälle bekannt. Die US-Regierung wer­tet dies als Fortschritt, den es durch ein Freihandelsabkommen zu honorieren gelte. Gleich zweimal forderte Präsident George W. Bush im Dezember öffentlich den Kongress auf, dem Vertrag zuzustimmen, bislang ohne Erfolg.

Weiterhin glauben Unternehmen, nicht mit unabhängigen Gewerkschaften kooperieren zu müssen. So beschloss die US-Firma Ross International im Dezember, die Gespräche mit Gewerkschaftern abzubrechen.

Für die direkte Kooperation zwischen Paramilitärs und Politikern gibt es viele Beweise. Doch auch eine direkte Zusammenarbeit zwischen Paramilitärs und nationalen wie internationalen Firmen ist alles andere als unwahrscheinlich. So hat sich Chiquita im März 2007 dazu bekannt, die Paramilitärs finanziell unterstützt zu haben. Ein Gericht in Alabama sprach im August den US-Bergbaukonzern Drummond von der Verantwortung für den von Paramilitärs verübten Mord an Gewerkschaftern frei, obwohl die Jury den Vor­wurf, der Konzern habe zum Mord angestiftet, nicht zurückwies. Die Kläger legten Mitte Dezember Berufung ein.

Äußerst erfolgreich war hingegen die kolum­bia­nische Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal, die den Konzern Coca Cola wegen mehrerer Morde in den kolumbianischen Abfüllanlagen kritisierte und an den Verhandlungstisch zwang. Doch die Gespräche blieben Terry Collinsworth vom International Labor Rights Fund zufolge letztlich genauso erfolglos wie der Prozess in den USA: »Coke ist zu der alten Leitlinie, dass die Verantwor­tung bei den Abfüllern und nicht beim Konzern liegt, zurückgekehrt.« Deshalb will Sinaltrainal die Kampagne wieder aufnehmen.

Auch bei Nestlé wurden mehrere Arbeiter ermor­det. »Der Prozess in den USA gegen Nestlé ist geplatzt, weil die Witwe von Luciano Romero ih­re Aussage zurückgezogen hat. Sie wollte nicht zur Märtyrerin werden«, sagt Collinsworth. Romero wurde im September 2005 ermordet. Zuvor war er wiederholt bedroht worden. »Doch passiert ist nichts«, klagt sein ehemaliger Kollege Oscar Tascón. Im Juli 2007 wurden erneut Arbeiter bei Nestlé von einem Bewaffneten bedroht, den die Gewerkschaft als Mitarbeiter einer vom Konzern beauftragten Sicherheitsfirma identifizierte. Panzertüren im Gewerkschaftshaus bieten etwas Schutz, doch effektiver ist die Unterstützung aus dem Ausland.

Solidarität von internationalen Menschenrechtsorganisationen ist dabei genauso wichtig wie das Vorsprechen bei den Muttergesellschaften im Ausland, sagt Freddy Lozano von der Gewerkschaft Sintracarbón. Die vertritt 3 000 der 4 500 Arbeiter von El Cerrejón, der größten Kohlemine der Welt. »Die Verhandlungen mit den Besitzern, drei internationalen Bergbaukonzernen, laufen«, sagt der 46jährige. Er informierte in Europa auch auf Veranstaltungen über die Situation der Gewerkschaften in Kolumbien. Das ist Öffentlichkeits­arbeit im eigenen Interesse, auch Lozano wurde von den Paramilitärs mit dem Tode bedroht.