Göttliche Komödie

Dass der Papst sich entschied, eine geplante Rede an der Universität in Rom nicht zu halten, hat eine heftige Auseinandersetzung zum Verhältnis von Kirche und Staat ausgelöst. Der Vatikan nutzt den Vorfall der­zeit populistisch, um sich als Opfer von Antiklerikalismus zu profilieren. Doch die Offensive der katholischen Hardliner in der italienischen Politik hat schon vor längerer Zeit begonnen. von federica matteoni

Die Studenten, die kurz vor einem geplanten Besuch von Benedikt XVI. an der römischen Universität La Sapienza einige Protestveranstaltungen organisiert hatten, waren fassungslos. Damit, dass ihre Aktionen einen solchen Eklat auslösen würden, hatten sie nicht gerechnet, und noch weniger mit der internationalen Aufmerksamkeit, die sie im Laufe der vorigen Woche hervorriefen. Dazu bedurfte es keiner spektakulären Aktion. Ein von 67 Professoren verfasster Brief an den Rektor, in dem Joseph Ratzinger zu einer im akademi­schen Raum unerwünschten Person erklärt wurde, war genug. Weil die Studenten parallel dazu die »antiklerikale Woche« ausgerufen hatten, war der Skandal schon programmiert.

Dass Ratzinger bei seiner geplanten Ansprache auf Einladung des Universitätsrektors zur Eröffnung des akademischen Jahrs nicht mit einem gottesfürchtigen Publikum rechnen konnte, war für den Vatikan Grund genug, den Besuch abzusagen. Ansonsten geschieht so etwas nur selten, etwa wenn ernsthafte Sicherheitsbedenken für die päpstliche Person bestehen. Dabei enthielt der inkriminierte Brief, in dem der Besuch des Papstes an der Universität als »unangemessen« bezeichnet wurde, kein großes Bedrohungspotenzial. Die Verfasser thematisierten keine der brisanten politischen Fragen, die in der italienischen Politik derzeit diskutiert werden und bei denen der Vatikan seinen Einfluss massiv ausübt, sondern beschränkten sich darauf, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kirche zu problematisieren. Dabei verwiesen sie auf eine Rede, die Ratzinger vor 17 Jahren in Parma gehalten hatte, als er den Inquisitionsprozess gegen Galileo Galilei »vernünftig und gerecht« genannt habe. In Wirklichkeit stammten diese Worte ursprünglich nicht von Ratzinger, sondern aus einem Text von Paul Feyerabend. Unmittelbar nach Bekannt­werden des Briefs bemühte sich der Vatikan zu betonen, der Papst sei wieder einmal falsch zitiert worden. Erinnert werden sollte dabei an die Folgen der so genannten Islam-Rede von Benedikt XVI. im September 2006 in Regensburg, die ebenfalls von einem »falschen« Papst-Zitat ausgelöst worden waren.

Doch um Galilei, der 1992 von der Kirche unter dem damaligen Papst Johannes Paul II. rehabilitiert worden war, wenn auch formal, ging es nicht. Genau sowenig ging es um die Fehler und Verbre­chen, die von der katholischen Kirche im Laufe der Jahrhunderte begangen wurden. Denn die Kri­tik richtete sich gegen die derzeitige politische und kulturelle Offensive der katholischen Kirche, gegen den Versuch, in entscheidende gesellschaftliche Bereiche zu intervenieren. Die Moraldiktate der Kirche spielen seit einiger Zeit eine immer wichtigere Rolle im öffentlichen Leben Italiens.

Die Offensive des Vatikans startete 2005 mit dem Boykott der Volksabstimmung über die Liberalisierung der Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung und Stammzellenforschung, der das Referendum zum scheitern brachte. Eine entschei­dende Rolle spielte die Kirche im vergangenen Jahr in der politischen Auseinandersetzung über eine minimale Anerkennung von gleichgeschlecht­lichen Ehen und nichtehelichen Partnerschaften (Jungle World, 12/07).

2007 war für Italien eindeutig das »Jahr der Fami­lie«. Nie zuvor war dieser Begriff, in seiner konser­vativsten und reaktionärsten Fassung, so offensiv auf die Straßen getragen worden. Das vorerst letzte Beispiel dafür, wie der politische Aktivismus des Vatikan auch nicht-katholische Gesellschafts­segmente erreicht hat, war im vergangenen Monat die Kampagne des ehemaligen kommunistischen Journalisten und prominenten Fernsehmo­derators Giuliano Ferrara gegen die Abtreibung. In seiner bisher als rechtsliberal geltenden Zeitung Il Foglio rief er eine Kampagne für ein Moratorium »des Massakers an Unschuldigen« ins Leben und stellte dabei einen Vergleich mit dem kurz davor von der Vollversammlung der Uno be­schlossenen Moratorium der Todesstrafe. Der katholische Diskurs produziert Konsens, und das nicht nur in den eigenen Reihen, wie auch der Streit um die Universitätsrede bestätigte.

Eine wichtige Institution wie die Universität zeigte sich nicht zum Kniefall bereit, dies galt als ein Zeichen der Schwäche der anderen, viel mäch­tigeren Institution, und als solches war das nicht hinnehmbar. Der Vatikan hatte leichtes Spiel, den viel zu abstrakten Diskurs über Galilei und die Freiheit der Wissenschaft umzudrehen und daraus einen Vorwurf der Intoleranz und der Zensur zu machen gegenüber all jenen, die von ihrer Gedanken- und Redefreiheit Gebrauch machten. Somit gelang es der Kirche, sich schließlich als Gewinnerin in diesem Streit zu profilieren.

Die Welle der Empörung nutzend, organisierte die Mobilisierungsmaschine des Vatikan innerhalb von wenigen Tagen eine spektakuläre Solidaritätskampagne mit dem »zensierten« Papst. Sie fand ihren Gipfel in dem göttlichen Spektakel vom Sonntag auf dem Petersplatz in Rom, mit 200 000 Ratzinger-Fans, die mit Zügen und Bussen aus ganz Italien angereist waren. Sie waren dem Aufruf des mächtigen Vikars des Papstes Ca­millo Ruini gefolgt, der nach dem erlittenen Affront die Katholiken dazu aufgerufen hatte, ihre »totale Nähe« zu ihrem geistlichen Führer zu bekunden.

Der Vatikan musste nicht alles alleine bewältigen. Er bekam eine beispiellose, parteiübergreifende, beinahe einstimmige Unterstützung des gesamten politischen Spektrums. Die Reaktionen von Politikern, Intellektuellen und prominenten Persönlichkeiten im öffentlichen Leben, die Leitartikel und Kommentare in den meisten Zeitungen sagen viel mehr aus über die derzeitigen politischen Verhältnisse in Italien als der Rücktritt des Justizministers der Regierung Prodi wegen einer Korruptionsaffäre, der zweite wichtige politische Vorfall der vergangenen Woche in Italien. Dass es dabei um Clemente Mastella, einen frommen Politiker, Vorsitzenden der katholischen Ein-Prozent-Partei Udeur ging, passte gut in den laufenden Opferdiskurs der Katholiken. Die wegen Korruption unter Hausarrest gestellte Ehefrau des ehemaligen Ministers suggerierte, sie und ihr Mann würden als Verteidiger der »katholischen Werte« von der Justiz verfolgt. Mittlerweile ist die Udeur aus der Regierungskoalition ausgetreten, die Opposition fordert Neuwahlen.

Die unerwarteten Reaktionen auf den Papst-Vorfall kamen jedoch aus einer ganz anderen Ecke. Die linksliberalen Leser der Tageszeitung La Repubblica beispielsweise konnten über den »kranken Laizismus« belehrt werden, der sich schleichend in der italienischen Gesellschaft verbreite. Beklagt wurde ein Klima der Intoleranz, das mit einem »freien und heiteren Meinungsaustausch unvereinbar« sei. Dass sich ein solcher Austausch mit einer Institution, die das Wahrheitsmonopol für sich beansprucht, historisch als schwierig erwiesen hat, konnte die einstimmige Rhetorik des »notwendigen Dialogs« zwischen »katholischer und nichtkatholischer Welt« nicht durchbrechen.

Mit sehr wenigen Ausnahmen setzten Katholiken und Laizisten den Diskurs durch, der Papst sei Opfer von Intoleranz und Antiklerikalismus ge­we­sen. Das nächste Mal wird es vermutlich schwie­riger sein, eine Kritik am Vatikan zu formulieren.

Das hat der Papst diesmal nicht seinen Anhängern zu verdanken, sondern seinen vermeint­lichen Gegnern.