Am Gesäß vorbei

Das Vertrauen der Bürger in die Politik schwindet mehr und mehr. Das haben die Wahlen in Niedersachsen und Hessen deutlich gezeigt. kommentar von felix klopotek

Linksruck! Comeback der Verteilungsgerechtigkeit! Ende des Rechtspopulismus! Welche Hoffnungen die Anhänger der Partei »Die Linke« auch immer in die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen setzen mögen – sie sind vergeblich. »Die Linke« zeigt lediglich, dass sie die Wahlveranstaltungen ernster nimmt als die Bürger.

Eine Umfrage der ARD unter den Wählern der »Linken« in Niedersachsen ergab: 87 Prozent sind sich sicher, dass die Partei ihnen eine Stimme verleiht, aber keine Probleme löst; 80 Prozent wählten sie, um den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Die Erwartungen an die Truppe um den beschwingten Liedermacher Dieter Dehm sind sehr niedrig.

Die Erwartungen der übrigen Wähler aber auch. In Niedersachsen sank die Wahlbeteiligung um fast zehn Prozent; nimmt man den Verlust der CDU von etwa sechs Prozent hinzu, dann hat Ministerpräsident Christian Wulff, der einzige strahlende Sieger des Wahlabends, eine halbe Million Stimmen weniger als vor fünf Jahren erhalten. Er ist, in absoluten Zahlen gerechnet, der größte Verlierer.

In Hessen hat ein polarisierender Wahlkampf nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt, allein der Abwärtstrend wurde gestoppt. Roland Koch jazzte die Kriminalität unter jugendlichen Migranten hoch – aber es war die alte Leier. Ein Verbrechen wie der Überfall in der Münchener U-Bahn, bei dem die Täter gefilmt und wenig später festgenommen wurden, mag Ressentiments bestätigen, taugt aber kaum für eine Angstkampagne. Auch Kochs verzweifelter Aufruf, den »Kommunisten-Block« zu stoppen, zog nicht, denn richtige Kommunisten, das weiß der Bürger aus dem Geschichtsunterricht, sind eiskalte Strippenzieher der Revolution und haben mit dem lustigen Laienspielerverein der Linkspartei nicht mal oberflächlich Ähnlichkeit.

Andrea Ypsilanti setzte auf den Mindestlohn, dessen Einführung mehr als zwei Drittel der Bundesbürger für gerecht halten würden (wobei jedem klar ist, dass der flächendeckende Mindestlohn niemals kommen wird). Das einzige Politikfeld, in dem in Hessen die SPD klar vor der CDU liegt, ist die Bildung. 48 Prozent aller Wähler versprechen sich hier von den Sozialdemokraten etwas mehr.

Man kann die Ergebnisse drehen und wenden, man kann über den Versuch der Hysterieproduktion im hessischen Wahlkampf staunen: Die Wahlen fanden offensichtlich im Zeichen großer Erwartungslosigkeit statt. Man sollte sie unter dem Gesichtspunkt analysieren, inwiefern die Entkoppelung institutionalisierter Politik von den Bürgern voranschreitet.

Andere Nationen sind da schon weiter. In Italien ist das Vertrauen in Institutionen und Parteiensystem auf dem Nullpunkt. In Frankreich greifen Politiker zu verwegenen Maßnahmen. Nicolas Sarkozy setzt als eine Art Pop-Tribun auf die rückhaltlose Öffnung seiner Intimsphäre. In Deutschland sind noch Langeweile und Überdruss auf der Tagesordnung. Aber der Trend ist der gleiche: Bürgerliche Politik verzichtet zunehmend auf die parlamentarische Vermittlung, weil »die oben« es nicht mehr können und »die unten« es nicht mehr interessiert.

In Deutschland darf sich »Die Linke« schon mal darauf vorbereiten, die Rolle des Anstandswahrers einzunehmen. Sie wird Gerechtigkeit anmahnen, den Verlust demokratischer Spielregeln beklagen und faire Debatten beschwören. Wie das enden wird, das sieht man in Italien, wo die kommunistischen Koalitionspartner Romano Prodis in puncto Überflüssigkeit große Erfolge feiern.