Das Ende der Mitte

Nach dem Rücktritt des italienischen Premierministers Romano Prodi werden Neuwahlen in Italien immer wahrscheinlicher. Mit Prodis Regierung scheiterte der Versuch, die Linke in einem großen Bündnis zu vereinen. von catrin dingler, rom

Champagnerflaschen wurden unter tosendem Applaus der rechten Opposition entkorkt. Eupho­rie breitete sich aus. Im Freudentaumel zogen Anhänger der radikalen Rechten durch die römische Innenstadt. Ministerpräsident Romano Prodi hatte bis zuletzt versucht, seine knappe Regierungsmehrheit zu behaupten, dann aber doch die zweite und entscheidende Vertrauensabstimmung im Senat verloren. Mit 161 zu 156 Stimmen wurde am Donnerstagabend vergangener Woche seine knapp zwei Jahre mühsam zusammengehaltene Mitte-Links-Koalition abgewählt. Nun muss Staatspräsident Giorgio Napolitano entscheiden, wie es weitergeht. Ob es, wie von der rechten Opposition gefordert, so bald wie möglich Neuwahlen geben soll, oder ob, gemäß den Forderungen aus der politischen Mitte, eine Über­gangsregierung gebildet werden soll. Die Regierungskrise hat mit der Abwahl Prodis ihren ersten Höhepunkt erreicht, ihr Ende ist noch lange nicht abzusehen.

Für den gegenwärtigen politischen Notstand wird der ehemalige Justizminister Clemente Ma­stella verantwortlich gemacht. Als er Anfang vergangener Woche den Austritt seiner Partei, der Demokratischen Union für Europa (Udeur), aus der Regierungskoalition verkündete, war klar, dass das Mitte-Links-Bündnis im Senat seine knappe Stimmenmehrheit verlieren würde. Mastella war erst wenige Tage zuvor von seinem Ministeramt zurückgetreten, nachdem die kampanische Staats­anwaltschaft seine Frau und 23 weitere Mitglieder der Partei wegen des Verdachts der Korruption unter Hausarrest gestellt hatte. Die Anklage stützt sich auf Abhörprotokolle privater Telefonkorrespondenz.

Allerdings ist in den mitgeschnittenen Gesprächen von klassischen Schmiergeldzahlungen keine Rede. Deutlich wird nur, dass die Udeur in der kampanischen Provinz Benevento versuchte, auf die Besetzung wichtiger Ämter im Gesund­heitswesen und im öffentlichen Wohnungsbau Einfluss zu nehmen. Insbesondere Sandra Lonardo Mastella soll als Präsidentin des Regionalparlaments virtuos für ein Gleichgewicht in der Klien­telwirtschaft gesorgt haben: Durch die strategische Vergabe von Ämtern an Parteiangehörige wur­den einerseits Wählerstimmen gebunden, mit denen dann andererseits die Koalitionspartner im regionalen Mitte-Links-Bündnis wieder unter Druck gesetzt werden konnten. In seiner Rücktrittserklärung verteidigte Mastella den parteipolitischen Ämterhandel, dieser gehöre zur »po­litischen Logik« der Demokratie. Dagegen beschuldigte er die Staatsanwaltschaft, eine »einseitige und parteiische« Untersuchung gegen seine Familie und seine Partei zu führen.

Tatsächlich schwelt der Konflikt zwischen der italienischen Richterschaft und dem Justizpalast bereits seit vorigem Herbst. Damals forderte der Minister die Versetzung eines Staatsanwalts, der es gewagt hatte, im Zusammenhang mit einem kalabresischen Korruptionsskandal gegen ihn und andere Politiker zu ermitteln. Clemente Ma­stella steht also für zwei Probleme, die die italienische Politik seit dem Ende der so genannten Ersten Republik Anfang der neunziger Jahre charakterisieren: die fortgesetzte Auseinandersetzung zwischen juristischer und politischer Gewalt und die alle gesellschaftlichen Bereiche umfassende Klien­telwirtschaft.

Nach der Auflösung der Democrazia Cristiana (DC) war Mastella zunächst ein paar Jahre Mitglied in den verschiedenen Splitterparteien, in die die große christdemokratische Volkspartei zerfallen war, bis er schließlich mit der Udeur seine eigene Partei gründete. Zusammen mit seiner Frau knüpfte er von seiner Herkunftsprovinz Benevento aus ein weites Netz privater Kontakte. Die politischen Familienbande erstrecken sich mitt­lerweile über ganz Kampanien und weit hi­nein in die Nachbarregionen Basilikata und Kalabrien. Bis sieben Prozent der Stimmen kann die Udeur regional verbuchen, während sie landesweit auf kaum mehr als ein Prozent kommt.

Da das gegenwärtige italienische Wahlrecht einerseits keine Sperrklausel beinhaltet, gleichzeitig aber eine bipolare Ordnung vorgibt, die die Parteien in zwei antagonistische, in sich heterogene Koalitionen zwingt, können auch Kleinstparteien für die Bildung einer Koalitionsmehrheit entscheidend sein. Mastella hat es bestens verstanden, die Protektionspolitik alter christdemokratischer Prägung an die wahlrechtlichen Bedingungen der »Zweiten Republik« anzupassen und das Stimmenpotenzial seiner Partei mal der rechten, mal der linken Regierungskoalition zugunsten seiner Klientel anzutragen.

Der Kirchturm im Parteiemblem steht aber keineswegs nur für die enge Verbundenheit mit dem eigenen Territorium, sondern ebenso sehr für die Verbundenheit mit der katholischen Kirche, für die Verteidigung der christlichen Werte. Am wichtigsten ist dem Parteigründer dabei selbst­redend die Familie im römisch-katholischen Sinne. Wegen dieser konservativen Orientierung an der Familie waren für die Udeur einige, ur­sprüng­lich im Koalitionsvertrag des Mitte-Links-Bündnis­ses vereinbarte zivilrechtliche Gesetzesvorhaben nicht tragbar. Die Partei stand in diesen Streitfragen stets den christdemokratischen Oppositions­parteien näher und unterstützte jeden Versuch des Vatikan, die Liberalisierung zu verhindern. Dass der Austritt Mastellas aus der Koalition mit der Absage des päpstlichen Universitätsbesuchs zusammenfiel (Jungle World 4/08), mag Zufall gewesen sein. Beides war jedenfalls gekonnt inszeniert und diente der Vorstellung von der verfolgten katholischen Minderheit. Das Mitte-Links-Bündnis ist deshalb nicht zuletzt auch an dem Konflikt zwischen Katholiken und vermeintlich radikal säkularisierten Laizisten zerbrochen.

Spekulationen über einen bevorstehenden Wech­sel ins rechte Koalitionsbündnis wies Ma­stella bisher zurück. Seine Beteuerungen, künftig die politische Mitte vertreten zu wollen, sind ernst zu nehmen. Dahinter steht der Wunsch nach einem »großen Zentrum«, das die katholisch-konservativen Werte verteidigt. Deshalb sind Spekulationen über eine Vereinigung der Udeur mit der bisher dem rechten Lager zugehörigen christ­demokratischen Splitterpartei UDC durchaus berechtigt.

Von entscheidender Bedeutung für die koali­tions­internen Verstimmungen war schließlich die gegenwärtige Auseinandersetzung um ein neues Wahlrecht. Die Ankündigung Walter Vel­tro­nis, des Chefs der Demokratischen Partei (PD), künftig auf eigene Mehrheiten setzen zu wollen, konnte von den kleinen Parteien des Mitte-Links-Bündnisses nur als Provokation aufgefasst werden. Auch innerhalb der eigenen Partei sorgte Veltronis Vorhaben für Unmut, denn er diskre­ditierte indirekt die Arbeit Prodis, die Koalition um jeden Preis zusammenzuhalten. In der Regierungskrise erlebte die Konfrontation zwischen dem Parteivorsitzenden Veltroni und dem Ministerpräsidenten schließlich ihren Höhepunkt. Mit der Niederlage Prodis im Senat ist dieser parteiinterne Konflikt aber keinesfalls zugunsten von Veltroni gelöst.

Sollte Napolitano dem Drängen der rechten Opposition nachgeben und sofortige Neuwahlen ansetzen, droht Berlusconis dritter Wahlgewinn mit einem Mitte-Rechts-Bündnis. Wahrschein­licher ist, dass der Staatspräsident eine Übergangsregierung mit der Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes beauftragt, um der Parteienzersplitterung im italienischen Parlament endgültig Herr zu werden und klare, regierungsfähige Mehrheiten zu schaffen. Aber auch diese Variante sanktioniert das endgültige Ende der Mitte-Links-Politik. Sollte tatsächlich ein neues Wahlgesetz ausgearbeitet werden, so wird es wohl entsprechend den Forderungen aus der katholischen Mitte dem »deutschen Modell« ähneln. Durch die Einführung einer Sperrklausel könnte die extreme Fragmentierung des Parlaments vermieden, gleichzeitig aber auch die bipolare Struktur aufgehoben und Raum geschaffen werden für weitere politische Kräfte. Mastellas Partei könnte gemeinsam mit weiteren christdemokratischen Ein-Prozent-Parteien endlich den Traum von einer »weißen Sache«, einem großen, katholischen Zentrum erfüllen.

Die radikale Linke müsste dann ihrerseits zur lang angekündigten »roten Sache« zusammenfinden, wenn sie nicht völlig in der Bedeutungs­losigkeit verschwinden will, in die sie durch den Verlauf der Krise bereits gedrängt wurde.