Tödliches Dinner

Die türkische Polizei hat nach eigenen Angaben eine ultranationalistische Terror­organisation aufgedeckt. Unter den Ver­haf­te­ten befinden sich alte Bekannte aus der rechtsextremen Szene. sabine küper-büsch, istanbul

Der Schriftsteller Orhan Pamuk und Ministerprä­sident Recep Tayyip Erdogan sollen auf der Liste der Prominenten, die es zu ermorden gilt, einen Spitzenplatz einnehmen. Mit einer groß angelegten Aktion hoben die türkischen Behörden am Dienstag voriger Woche eine ultranationalistische Gruppe aus, die auch eine Todesliste geführt haben soll. Der Staatsanwaltschaft zufolge hat eine Reihe prominenter Nationalisten eine geheime Terrororganisation gebildet, um die Atmosphäre für einen für das Jahr 2009 geplanten Militärputsch vorzubereiten. 35 Verdächtige sind in der vergangenen Woche festgenommen worden.

Unter den Verhafteten befindet sich auch der An­walt Kemal Kerincsiz. Er ist derjenige, der die Strafanzeigen wegen »Verunglimpfung des Türkentums« gegen die Schriftsteller Orhan Pamuk und Elif Safak und den ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink gestellt hat.

Am Tag seiner Ermordung, am 19. Januar 2007, hatte Dink in der von ihm herausgegebenen armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos über ein Komplott gegen sich berichtet. Nach Aussagen enger Freunde, wie der Anwältin Fethiye Çetin, fürchtete sich Hrant Dink vor allem vor dem nun ebenfalls festgenommenen pensionierten Brigadegeneral Veli Kücük. Dieser hatte sich mehrfach mit seinem Freund Kerincsiz unter den ultranationalistischen Mob gemischt, der sich zu den Verhandlungen gegen Dink vor dem Gerichtsgebäude postierte. Dink und auch Pamuk wurden als »Vaterlandsverräter« ausgebuht und tätlich an­gegriffen.

Nach Informationen der Polizeibehörden verfügte die Organisation über eine hierarchische Struktur inklusive Exekutivkomitee und Pro­pa­gan­da-Abteilung. Diese leistete offensichtlich gute Arbeit. So behauptete Dinks Mörder, der 17jährige Ögün Samast aus Trabzon, immer wieder, sein Opfer habe gesagt, die Türken hätten »schmut­ziges Blut«. Obwohl ein linguistisches Gutachten von Dinks inkriminiertem Artikel das Gegenteil belegte, wurde der Journalist 2006 wegen »Verunglimpfung des Türkentums« zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.

In der Öffentlichkeit wird nun darüber diskutiert, ob es sein kann, dass wirklich nur 30 bis 40 Menschen das Umfeld der Geheimorganisation ausmachten und darunter keine Vertreter des Staatsapparats waren. Es ist bekannt, dass Angehörige der staatlichen Behörden und des Justizsystems mit ultranationalistischen Gruppen sym­pathisieren.

Am Mittwoch vergangener Woche wurde bekannt, dass der Literaturnobelpreisträger Pamuk die Eröffnungsrede auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse halten soll, wo die Türkei Gastland ist. Gleichzeitig erregte eine Entscheidung des Revisionsgerichts erhebliches Aufsehen. Pamuk war im Jahr 2006 vom Vorwurf der »Verunglimpfung des Türkentums« freigesprochen worden – er hatte sich über die Ermordung von Kurden und Armeniern in der Türkei geäußert. Das Revisionsgericht befand nun, dass sich sehr wohl einzelne türkische Bürger dadurch beleidigt fühlen könnten und einer entsprechenden Klage statt­gegeben werden müsse. Damit ist einer erneuten Anklage von Pamuk der Weg geebnet worden. Angesichts der kontroversen Debatte über die Abschaffung von Zensurparagrafen in der Türkei ist unübersehbar, dass die Entscheidung des Gerichts politisch motiviert war.

Politische Ziele der konspirativen Organisation waren u.a. der Abbruch der EU-Verhandlungen und die Errichtung einer von ultranationalistischen Kräften in der Staatsbürokratie und dem Militärapparat dominierten autoritären Regierung. »Ergenekon«, wie sich die Truppe nannte, ist der Name einer Legende, die vom Zerfall und Wiederaufbau des Göktürkischen Reiches handelt. Sie wird als Ursprungsmythos der türkischen Stäm­me bzw. der heute existierenden türkischen Staaten betrachtet. Eine entscheidende Rolle kommt dabei einem grauen Mutterwolf (dem Wap­pentier der Göktürken) zu.

Dieser Mythos beflügelte auch die Phantasie der Bewegung der »Grauen Wölfe«, die den ideologischen Hintergrund für die Organisation »Ergenekon« lieferte. Vor allem in den siebziger Jahren wurde die ultrarechte Szene der »Grauen Wölfe« zur Bekämpfung der stärker werdenden linken Bewegung eingesetzt. Im Internet finden sich heute wieder entsprechende Webseiten und Foren, die für die Rechtsextremen Propagandaarbeit leisten. Feindbild der Grauen Wölfe sind heutzutage Angehörige nationaler Minderheiten, Intellektuelle, die es wagen, eine Demokratisierung zu fordern, und ganz allgemein »das Aus­land«.

Der verhaftete Brigadegeneral Kücük war bereits in den neunziger Jahren in Affären um politische Morde und Mafiaverbindungen verstrickt. Sein Name wurde auch immer wieder im Zusammenhang mit der so genannten Susurluk-Affäre genannt, ohne dass jemals ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden wäre. Am 3. November 1996 starben nahe der westanatolischen Stadt Susurluk bei einem Autounfall ein türkischer Polizeichef und ein Abgeordneter der damaligen Regierungs­partei von Ministerpräsidentin Tansu Ciller zusammen mit dem gesuchten Mörder und Drogen­schmuggler Abdullah Catli aus dem Umfeld der Grauen Wölfe. Der daraufhin eingesetzte parlamen­tarische Untersuchungsausschuss fand heraus, daß Catli nur einer der staatlich instrumentalisierten »Männer fürs Grobe« war. Mit Diplomatenpässen, die ihm von der türkischen Polizei aus­gestellte worden waren, reiste er als Auftragskiller und Drogenschmuggler durch die Welt. Er war gehörte zur genannten Kontraguerilla, die zum »Schutz der Staatssicherheit« illegal operiert. (Jungle World, 40/07)

Veli Kücük, der damals noch General in Giresun am Schwarzen Meer war, wird seit damals als Kontrageneral gehandelt. Er soll den Aufbau der so genannten Schwarzmeertruppe eingeleitet haben, einer Gruppe, die sich aus ultranationalistischen Kreisen rekrutiert und ebenfalls Killer ausbildet. Nicht zufällig stammt Hrant Dinks Mörder von der Schwarzmeerküste.

Die Polizei stieß nun auf eine mysteriöse Ein­ladungsliste für ein Abendessen, die der festgenommene pensionierte Oberst Fikri Karadag einer nur mit dem Kürzel S. A. bezeichneten Person gegeben haben soll. Auf der Liste befinden sich die Namen des Schriftstellers Orhan Pamuk, der ehemaligen kurdischen Abgeordneten Leyla Zana und des Bürgermeisters von Diyarbakir, Osman Baydemir. Aus dem Zusammenhang wird geschlossen, dass diese Personen nicht zum Dinner eingeladen, sondern bedroht oder ermordet werden sollten.