Schockierender Wahlkampf

Bei den Präsidentschaftswahlen in Serbien hat sich der prowestliche Amtsinhaber Tadic durchgesetzt. Die Hinwendung zu Europa, ungelöste soziale Fragen und Angst vor einem erneuten Krieg waren offenbar ausschlaggebend für die Entscheidung der Wähler. kommentar von boris kanzleiter, belgrad

In einem harten Kampf um die Präsidentschaft setzte sich am Sonntag der Amtsinhaber Boris Tadic von der prowestlichen Demokratischen Partei (DS) gegen den Nationalisten Tomislav Nikolic von der Serbischen Radikalen Partei (SRS) durch. Die politischen Turbulenzen sind in Serbien damit aber nicht beendet. Albanische Nationalisten kündigen eine baldige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo an.

Dem vorläufigen Endergebnis zufolge liegt Boris Tadic mit 50,6 Prozent fast drei Prozent vor Nikolic, der 47,7 Prozent der Wähler überzeugen konnte. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 67 Pro­zent und war damit deutlich höher als im ersten Wahlgang. Das kam offensichtlich Tadic zu Gute. Ein Kommentator der liberalen Tageszeitung Danas betrachtet den Erfolg des 50jährigen Psychologen als einen »Sieg für das europäische Serbien«. Tadic hatte die schnelle Integration Serbiens zum Hauptthema im Wahlkampf gemacht.

Ganz anders interpretieren dagegen die Serbischen Radikalen das Ergebnis. »Die Angst hat noch einmal gesiegt«, kommentierte Nikolic in der Wahlnacht. Er macht eine Negativkampagne Tadics für seine Niederlage verantwortlich. In Spots hatte die Demokratische Partei in der Schlussphase des Wahlkampfs schockierende Bilder aus Kriegszeiten gezeigt und vor einer »Rückkehr in die neunziger Jahre« gewarnt, falls Nikolic gewinne.

Zuvor waren die Wahlen von vielen ausländischen Medien zu einer »Entscheidung zwischen dem Westen oder Russland« erklärt worden. Viele serbische Beobachter halten diese Einschätzung dagegen für fragwürdig. So wurde darauf hingewiesen, dass auch der SRS-Kandidat Nikolic eine Mitgliedschaft Serbiens in der EU grundsätzlich befürworte. Tadic andererseits hat im Wahlkampf nicht zuletzt durch seinen Besuch bei Russlands Präsident Vladimir Putin Sympathien gewonnen. Er betonte, dass Serbiens angestrebte Mitgliedschaft in der EU nicht im Gegensatz zu einer engen Bindung zu Russland stehe.

Die eigentliche Bedeutung der Wahlen könnte hingegen auf innenpolitischer Ebene liegen. Der Politologe Dusan Pavlovic ist der Meinung, dass die Serbischen Radikalen trotz ihrer knappen Niederlage die Frage der »sozialen Gerechtigkeit« zu einem Hauptthema der politischen Auseinandersetzungen machen konnten. Nikolic hatte auf seinen Kundgebungen Arbeitslosigkeit, Armut und die negativen Folgen von Privatisierungen in den Mittelpunkt gestellt. Pavlovic, ein bekannter Professor der Belgrader Universität, ist davon überzeugt, dass die »soziale Frage« in Zukunft die Politik in Serbien bestimmen wird.

In den kommenden Wochen wird voraussichtlich aber noch einmal der ungelöste Kosovo-Konflikt im Mittelpunkt stehen. Der ehemalige UCK-Kommandant und neu gewählte Premierminister des Kosovo, Hashim Thaci, kündigte kurz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Belgrad eine baldige Unabhängigkeitserklärung der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz an. Tadic machte in der Wahlnacht hingegen klar, dass er weiter für den Verbleib des Kosovo bei Serbien kämpfen wolle. Eine Unabhängigkeitserklärung der Provinz ohne die Unterstützung des UN-Sicher­heitsrats und der serbischen Regierung erklärte er für »illegal«.