»Die Demokratie  ist im Nachtleben suspendiert«

Das neue Album von Freiwillige Selbstkontrolle, besser bekannt als F.S.K., erscheint dieser Tage. Bandmitglied Thomas Meinecke spricht über über produktive Missverständnisse, Techno und Polka, Glamour, Pop als monarchistisches System und den fehlenden Arm des Schlagzeugers von Def Leppard

Eure Band scheint unverwüstlich zu sein. Wo genau liegt ihr Geheimnis?

Vielleicht lösen sich Münchner Bands nicht auf? Amon Düül II und Embryo soll es ja auch noch geben. Ich denke mal, dass in unserer Band einfach die Chemie stimmt. Alle vier Gründungsmitglieder sind seit 27 Jahren dabei, unser Baby, Schlagzeuger Carl, der zur Zeit unserer Gründung ja erst elf gewesen ist, spielt auch schon seit 1991 mit. Dieses Jahr werden wir endlich auch Carls 40. Geburtstag feiern können, neben der kleinen Kapelle auf der Kuppe neben dem Dorf, in dem Michaela und ich leben. Dort haben wir schon seinen 30. Geburtstag gefeiert. Wir standen mit John Peel andächtig vor einer kleinen Frau, die erzählte, wie ein englischer Bomber auf diesem Hügel abstürzte. Die Dorf­bewoh­ner retteten einen Piloten vor den Nazis und versteckten ihn. Den anderen beerdigten sie christ­lich. Sie errichteten nach dem Krieg aus Münchner Bombenschutt dieses Gebäude, in dem sich auch bestens Bier kühl halten lässt. »How touching«, sagte Peel.

Das klingt nach einem Ort, an dem Jugend­liche sich die ersten Alkoholvergiftungen zuziehen. Die neue Platte passt eher in eine Galerie.

Stimmt: Meine Tochter feierte auf dem Hügel auch ihren 14. Geburtstag mit allerlei Freunden und Alkoholika. Aha, in eine Galerie, zum guten Roten passt unsere neue, alte Musik? Dabei haben wir selbst noch gar keinen Begriff von der Musik, die wir uns in den vergangenen Jahren erspielt haben.

Euer Album »Tel Aviv« von 1998 war eine Post-Rockplatte. Sie fügte sich perfekt in den Kontext der damaligen Musik aus Chicago und war eben Zeugnis einer kollektiven Verarbeitung neuer, elektronischer Musik. Auf »First take then shake« steht unter transatlan­tischen Gesichtspunkten der Funk im Vor­dergrund. Euer aktuelles Album klingt wieder stärker nach den achtziger Jahren.

Das lässt sich so sehen. »Tel Aviv« begriffen wir damals allerdings auch als eine Techno-Platte. Genau genommen war bereits die EP »4 Instrumentals« von 1996, die auf der CD-Version von »Tel Aviv« enthalten ist, unser erster Versuch einer Aneignung von House und Techno im Rahmen einer relativ klassisch besetzten Band. In die Verlegenheit gebracht, das Kind beim Namen zu nennen, gebrauchten wir damals hin und wieder den Begriff »Kraut-House«. Aber du hast recht: Gleichzeitig war der Chicagoer Post-Rock interessant, der ja auch auf Kraut-Rock rekurrierte. Wir waren immer eine Band, die ihre Hörgewohnheiten, ihre jeweiligen Lieblingsmusiken ins Laboratorium »Übungsraum« überführte: Mal ausprobieren, was daraus wird, wenn wir uns daran versuchen! Auf jeden Fall wurde immer etwas oft bis zur Unkenntlichkeit Anderes daraus, was sicher auch an unserem gepflegten Dilettantismus liegt. An etwas vermeintlich Eigenes, die Chimäre des in der Rockmusik gern behaupteten Authentischen, haben wir eh nie geglaubt.

Deine Einschätzung des »Shake«-Albums kann ich vollständig teilen, inklusive aller produktiven, transatlantischen Missverständnisse: Wenn wir etwa dachten, wir spielten Techno, fasste es unser Produzent als Polka auf.

Heute berufen sich ja viele Bands auf solche, die für uns 1980 wichtig waren: ob New York Noise, Art Disco, The Slits oder Public Image Ltd. Alte Säcke hören die neuen Bands dann oft nicht mehr, glauben, das alles schon zu kennen, weshalb Retro-Phänomene oft von Typen über 30 unterschätzt werden. LCD Soundsystem, CSS oder The Rapture zum Beispiel kann ich hin­gegen als etwas ganz Neues genießen.

Menschen über 30 unterschätzen Retro-Phänomene, dafür überschätzen Jugendliche jede Minibewegung.

Aber etwas zu unterschätzen ist in der Regel ver­hängnisvoller, als es zu überschätzen. Jede aufkommende Generation hat das Recht darauf, Dinge, die irgendwelche Altvorderen schon einmal in Angriff genommen haben, auf eigene Faust und eigenes Risiko noch einmal an den Start zu bringen. Jedenfalls habe ich als Älterer nicht das Recht, ihnen das zu versagen oder zu vermiesen. Dass wir immer noch so neugierig auf das sind, was bei uns herauskommt, wenn wir Musik machen, liegt sicher an unserem Interesse an neu aufkommender Musik, und wenn die Neugier erst mal richtig »feingetuned« ist, entdeckt man eben auch ständig mehr gute Musik, als man überhaupt verarbeiten kann. Das Krisengerede im Pop, jedenfalls auf dem Sektor der Ästhetik, ist ja oft ein Alters­symptom. Wir machen Musik als Fans von Musik.

Hochkultur wird beinahe im Jenseits verortet, Pop immer sehr stark in der Gegenwart und sehr autobiografisch. Dieses »Autobiografische« ist etwas, das an F.S.K. immer sehr inter­essant war: Alles wird reingelassen. Gibt es auch Tabus? Sagt manchmal jemand aus der Band: »So was ist mir echt zu peinlich«?

Das gibt es bei F.S.K. immer wieder, aber selten im Fall einer Abgeschmacktheit, denn nach unten ist unsere Geschmacksskala absolut offen. Eher entsteht Ablehnung, wenn es droht, geschmackvoll zu werden, wenn der Groove plötz­lich abgehangen funky klingt oder so. Eigentlich lieben wir auch das Peinliche, probieren Häss­liches in unserer Musik aus und lernen es lieben. Paragraf eins lautet immer noch: »How low can we go?«

Ein zentrales Thema des neuen Albums scheint der Glamour zu sein. Die Songtitel und Texte sprechen für sich: »Coupé«, »House of Versace« oder »Schloss Belvedere«. Bewegen wir uns in der Popwelt in einer künstlich erhaltenen Monarchie, einem Königreich der Schönheit und Eleganz?

Die Demokratie ist im Nachtleben suspendiert. Aber die Königreiche, die wir besingen, sind zerbrochene: Das Coupé des von der Entlassung bedrohten Angestellten im gleichnamigen Song bekäme sicher keine grüne oder orange Feinstaubplakette. Das »House of Versace« in »Vogue Vogue« ist ein fiktiver Tempel für schwule Spanish Harlemites, der in Ballrooms im Hinterhof eingerichtet wird, und auch das Geschehen im »Schloß Belvedere« findet eher unter der Regie Jean Genets oder Jack Smiths statt. Schönheit und Eleganz, Glamour und Sexiness – alles wird bewusst eingesetzt, aber in ziemlicher »Cheapness«.

Ist es denn nicht bereichernd, diese Felder beobachten zu dürfen? F.S.K. hat ja in dieser Hinsicht über die Jahre mehr Arbeit geleistet als eine Musikzeitung oder ein kulturwissenschaftliches Institut. Ist nicht das Großartige, dem Punk Verwandte an der Discomusik, dass sie auch sehr billig und simpel ist und trotzdem mehr bewegt als die Speckmantelfraktion mit ihrem Bombast? Und sind der Coupé-Fahrer, sein Soundsystem und sein Dresscode nicht eher Missverständnisse, die über Disco bestehen?

Ich würde unsere Errungenschaften nicht so hoch bewerten, aber selbstverständlich funktio­nieren wir auf einer Ebene zweiter Ordnung. Schon unsere zweite Platte haben wir nach einer Methode der Sozialwissenschaften benannt: »Teilnehmende Beobachtung«. Dennoch schreiben wir nicht über Musik, sondern wir machen Musik über Musik. Als Band. Als Kollektiv. Zur zweiten Frage: Das stimmt. Auch der dritten Frage kann ich zustimmen, wobei ich ja auch von Figuren wie Sabrina Setlur ebenso angerührt bin wie von so vielen grassierenden Missverständnissen.

Schafft nicht eigentlich auch der Popdiskurs mehr Missverständnisse, als er aus dem Weg räumt? Bei F.S.K. enstand der Eindruck, dass ihr euch auch immer ein wenig über diesen Sachverhalt amüsiert.

Wirklich?

Natürlich nicht generell. Aber man kann sich Nonsens-Texte oder eben die Idee, als Band Techno nachzuspielen, doch nur wegen der vielen vorherrschenden Missverständnisse leisten.

Klar, Missverständnisse gibt es zuhauf, aber sie sind mir eigentlich alle willkommen. Dass diese akademischen Arbeiten oder journalistischen Überhöhungen tendenziell Quatsch seien, sehe ich nicht so. Jede Promotionsarbeit über den Drummer von Def Leppard, der seinen Arm bei einem Autounfall verloren hat, würde die Welt ein Stück erhellen. Dagegen habe ich das Gefühl, dass Popmusik nie im Musikunterricht ankommen wird. Die Lehrer begreifen sie nicht. Auch das ist ja eine prinzipielle Stärke des Missverständlichen: Die Falschen müssen draußen bleiben. Pop hat eine dicke, schwere Tür. Es geht immer eher um Ausschluss als Einschluss. Vom Tellerwäscher zum Türsteher: im Handumdrehen!

Pop funktioniert also nach einem Ausschluss­verfahren?

Darin liegt eine interessante Mehrdeutigkeit: Zu Pop haben prinzipiell alle Zugang, es gibt keine Hürden, die je nach Klasse oder Bildung bestehen. Aber wer nicht »diggt«, wie im Jazz gesagt wird, worum es jeweils geht, bleibt automatisch draußen. Das ist also kein hierarchischer Mechanismus und führt auch nicht zu klassischen Eliten, eher zu unberechenbaren Avantgarden.

Auf der Seite der Kunst mag das so sein, aber wie verhält es sich auf der kommerziellen Seite? Gab es Zeiten, in denen ihr ausschließlich von der Musik leben konntet? Ein Jazzschlagzeuger aus meiner Nachbarschaft steht als unberechenbarer Avantgardist sehr oft im Arbeitsamt.

Aber dieser Jazzmusiker müsste ja vorher ein angestellter Jazzmusiker gewesen sein, was ein bisschen untypisch für Jazz ist. Das weist eher in die Niederungen eines heutzutage bestehenden Dienstleistungsbetriebs, in dem der Jazz als Duftmarke gern gesehen ist, auf den ich aber nicht anspielen wollte: jede Woche eine neue skandinavische Chanteuse, in jeder provinziellen Mehrzweckhalle eine Roger Cicero Big Band. Andererseits könnte ich hier auch nicht stichhaltig in eine Richtung argumentieren, die Jazz als lebendiges Genre dastehen ließe. Das, was ich an Jazz mag beziehungsweise mochte, finde ich heute noch eher in elektronisch bestimmten Gefilden.

Von F.S.K. allein hätte kein Bandmitglied je leben können. Das hätten wir vielleicht für eine gewisse Zeitspanne haben können, wenn wir die vorliegenden Angebote der Musikindustrie in den achtziger Jahren angenommen hätten. Andererseits haben wir bei dieser Band auch noch nie draufgezahlt. Es gab immer Leute, die im Rahmen des bescheidenen zu Erwartenden an uns glaubten. Als Hobby würden wir Musik nicht betreiben wollen. Da wir aber alle auch in unseren anderen Berufen künstlerisch tätig sind, ist der Begriff einer Mischkalkulation ganz passend. Es wird nicht das Eine mit einem ganz Anderen finanziert. Und meine Romane, von denen ich größtenteils lebe, leben ja auch von der Musik.

Ihr habt das neue Album mit Ted Gaier und Mense Reents von den Goldenen Zitronen aufgenommen. Wie kam es dazu?

Ich mochte die Goldenen Zitronen schon ziemlich früh, und als Schorsch Kamerun und Ro­cko Schamoni mit ihrem Projekt Motion unser Stück »Was kostet die Welt« neu einspielten, war das eigentlich eine der frühesten Meldungen aus dem neuen, freundlichen Hamburg, das uns ja, anders als die Bands aus unseren Anfangsjahren, voller Respekt, als Elder Statesmen der diskursiven Popmusik, nicht nur respektierte, sondern quasi in seine Reihen aufnahm. Einige Jahre später durften Wilfried und ich auf dem wirklich epochalen Zitronen-Album »Economy Class« mitspielen. Und sie coverten immer wieder Songs von F.S.K. Wir waren ja dann auch jahrelang gemeinsam auf Sub-Up Records in München und sind jetzt bei Buback wieder vereint.

Es ist interessant, welche Verbindungen über die Musik entstehen. Früher musste man allerdings noch selbst eine Band gründen und reisen, um Kontakte über die eigene Stadt hinaus zu knüpfen. Heute reicht vielleicht schon ein Myspace-Profil mit den richtigen »Favoriten« in der Liste der Freunde. F.S.K. gibt es nun über 25 Jahre. Ihr wart Zeugen des Übergangs von der Schallplatte zur CD, ihr erlebt nun die Virtualität.

Ich weiß gar nicht, ob wir wirklich in die Virtua­lität einsteigen. Ich sehe, wie die Vinyl-Schallplatte gerade die CD überlebt. Klar haben Tonträger immer die Kunst formatiert, schon mit den ersten 12-Inches mit 78 Umdrehungen pro Minute: Plötzlich waren die Stücke einige Minuten länger. Und als die Jukeboxes kamen, mussten sich die Big Bands auflösen. Drum Machines brachten Schlagzeuger in Verlegenheit. Aber um mit einem Songtitel von F.S.K. zu sprechen: »Die Musik fand immer nach Hause.«

interview: maurice summen

F.S.K.: Freiwillige Selbstkontrolle (Buback)