Hand in Hand fürs Vaterland

Straffreiheit für Sicherheitskräfte ist seit der Militärdiktatur in Griechenland nahezu ungebrochene Tradition. In Athen haben nun Polizeieinheiten zusammen mit Faschisten Teilnehmer einer antirassistischen Kundgebung angegriffen. von ralf dreis, athen

Das Programm der »nationalen Versöhnung«, das nach der Militärdiktatur in Griechenland betrieben wurde, hat viele Täter und Traditionen ungeschoren gelassen. Am 8. Februar begann vor dem Amtsgericht Thessaloniki unter lautstarken Protesten von Antifaschisten, darunter viele ehemalige politische Gefangene der Diktatur (1967 bis 1974), der Prozess gegen den 69jährigen Nántis Chatzigiánnis wegen Verleumdung und übler Nachrede. Chatzigiánnis hatte im September 2004 in Antónis Lepeniótis, auf den er zufällig im Stadtbus aufmerksam geworden war, den Mann erkannt, von dem er gefoltert und sein Freund Giánnis Chalkídis ermordet worden war. Er hatte ihn daraufhin als »Mörder und Faschist« bezeichnet. Zwei Monate später erhielt er eine Vorladung der Staatsanwaltschaft, da Lepeniótis, ein ehemaliger Polizist, ihn angezeigt hatte.

Empört darüber, von einem Junta-Folterer nach über 30 Jahren vom Opfer zum Täter gemacht zu werden, beschloss er, seine Erfahrungen als politischer Aktivist, Widerstandskämpfer und Gefangener niederzuschreiben. In dem Ende 2007 erschienenen Buch beschreibt er minutiös seine Festnahme und den Mord an Chalkídis. Beide waren nach dem Militärputsch in der kommunistisch dominierten Patriotischen Front aktiv. Im Morgengrauen des 5. September 1967 stürmten Polizisten das Versteck der Gruppe. Chatzigiánnis musste zusehen, wie der schon durch zwei Schüsse verletzte Chalkídis am Boden liegend von Lepeniótis getreten und hingerichtet wurde. Er selbst und ein weiterer Genosse wurden verhaftet, schwer gefoltert und später zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Trotz des – formell gesehen – rein persönlichen Streits zweier Rentner handelt es sich bei dem Verfahren um alles andere als eine private Angelegenheit. Verhandelt wird nicht weniger als die Erinnerungskultur und die Geschichtsschreibung der griechischen Gesellschaft nach dem Ende der Diktatur. Die von den Konservativen unter Konstantínos Karamanlís durchgesetzte »nationale Versöhnung« beinhaltete zwar einerseits die Freilassung mehrerer tausend Inhaftierter und die Legalisierung der KP, garantierte jedoch gleichzeitig Straffreiheit für alle staatlichen Folterknechte, die nahtlos ihre Karrieren fortsetzten. Auch Lepeniótis ging straffrei aus, obwohl mehrere Verfahren gegen ihn angestrengt wurden. Chatzigiánnis sieht den Prozess deshalb auch als späte Chance, die Wahrheit doch noch gerichtlich feststellen zu lassen.

Anarchistische Gruppen und die Bürgerrechtsvereinigung Díktio weisen darauf hin, dass Straffreiheit für Polizeibeamte auch im heutigen Griechenland Alltag ist. So sei von den acht Beamten, die am 17. November 2006 den Studenten Augustínos Dimitríou zusammengeschlagen hatten, kein einziger verurteilt worden. Nach der alljährliche stattfindenden Demonstration zum Gedenken der Niederschlagung des Aufstands im Polytechnikum 1973 hatten sie Dimitríou aufgelauert und ihn so brutal misshandelt, dass er noch heu­te in ärztlicher und psychologischer Behandlung ist. Obwohl die Tat von einem Kamerateam gefilmt wurde, verrichten bis auf den vorläufig suspendierten Haupttäter alle normal ihren Dienst.

Auch die EU-Kommission hat die griechische Regierung Anfang Februar aufgefordert, die Situation in den Haftanstalten zu verbessern und gegen Folter und Misshandlungen vorzugehen. Festgenommenen werde regelmäßig das Recht auf Kontakt zu einem Anwalt oder zu Angehörigen verweigert, vor allem Flüchtlinge würden alltäglich auf Polizeiwachen geschlagen und drangsaliert. Der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypía zufolge hat die EU Griechenland deswegen bereits wiederholt kritisiert. Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kóstas Karamanlís habe dies jedoch ignoriert bzw. als »konstruierte Anschuldigungen ohne Gehalt« bezeichnet.

Amnesty International hat Ende Januar Zeugenaussagen von irakischen und afghanischen Flüchtlingen präsentiert, die der griechischen Küstenwache vorwerfen, ihr Flüchtlingsboot in der Ägäis aufgebracht, ihnen Geld und Kleider abgenommen und sie danach unter Schlägen in einem Schlauchboot vor der türkischen Küste ausgesetzt zu haben. Bereits im vergangenen Jahr hatte Pro Asyl den Vorwurf erhoben, die griechische Küstenwache habe vor der türkischen Küste Flüchtlinge ins Meer geworfen. Auch in diesen Fällen bestreiten die zuständigen Behörden den Wahrheitsgehalt der Schilderungen.

Die faktische Straffreiheit, die für die staatlichen Sicherheitsorgane gilt, hat ihrerseits in den vergangenen Jahren zu einem immer brutaleren und skrupelloseren Vorgehen geführt. Am 3. Februar kam es erstmals zu offener Zusammenarbeit mit faschistischen Schlägern. Für den Abend hatte die faschistische Organisation Chrisì Avgí in Athen zu einer »Imia-Gedenkdemonstration« aufgerufen. Der Streit um die unbewohnten Imia-Inseln hätte 1996 fast zum Krieg zwischen Griechenland und der Türkei geführt. Als antifaschistische Gruppen morgens am Kolokotróni-Platz zu einer angemeldeten Kundgebung gegen rassistische Übergriffe auf Flüchtlinge erschienen, war der Platz bereits von etwa 50 behelmten Faschisten besetzt, die mit Steinen, Messern, Äxten, Eisenstangen, Knüppeln und Elektroschockgeräten ausgerüstet waren. Die offen zur Schau gestellte Bewaffnung störte die rundum postierten Sondereinheiten der Polizei nicht.

Als mehrere hundert Antifaschisten langsam auf den Platz vorrückten, schoss die Polizei mit Blendschock- und Tränengasgranaten in die Menge. Vor den Kameras mehrerer Fernsehsender stürmten Polizeieinheiten und Faschisten, Knüppel und Eisenstangen schwingend, gemeinsam vor, um auf alle einzuschlagen, die sich ihnen in den Weg stellten. Nach wenigen Minuten zogen sich die Schläger aus dem Polizei- und dem Faschistenlager gemeinsam zurück. Mehrere Menschen lagen blutend am Boden, zwei Antifaschisten waren durch Messerstiche schwer verletzt worden. In der Folge lieferten sich Antifaschisten und Polizeieinheiten stundenlange Straßenschlachten. Letztlich wurde die Demonstration von Chrisì Avgí verboten.

Während Gewerkschaften und linke Parteien die Zusammenarbeit von Polizei und Faschisten skandalisieren, befürchten Anarchisten und Antifaschisten gar, dass die konservative Néa Dimokratía an »der Etablierung einer neuen Junta« arbeite. Demgegenüber erklärte ein Polizeisprecher, der Einsatz sei »zufrieden stellend verlaufen«, man habe »das Schlimmste verhindert«.