Zum Gähnen gierig

Deutsche Manager und Prominente haben ihre Steuern nicht ordnungsgemäß gezahlt. Nun ist die Empörung über die »neuen Asozialen« groß. Doch Sozialneid war noch nie eine besonders verlässliche Grundlage für Proteste. ›Am Ende profitiert nur der »mit aller Härte« vorgehende Staat. kommentar von jörg sundermeier

Hurra, der Sozialismus ist wieder da! Oder er steht vor der Tür. Jedenfalls scheint es so, wenn man sich die Kommentare von Politikern und Redakteuren anschaut. Angela Merkel beteuert, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass und wie ein Postmanager eine hohe Summe einfach an der Steuer vorbei ins nahe, aber verschwiegene Liechtenstein umleite. Ja, hat sie denn den Parteispendenskandal vergessen, dem sie ihren Parteivorsitz verdankt, sowie unzählige Gelegenheiten, den masochistischen Parteisoldaten Schäuble zu demütigen? Andere, die 1 000 legale und illegale Steuertricks nutzen, sagen nun empört in die auf sie gerichteten Fernsehkameras, dass sie aber ganz schrecklich empört sind wegen der Dinge, die die da oben tun. Allerdings sind diese Menschen immer empört, wenn die da oben etwas tun, so dass ihre Aufregung inzwischen langweilt, sogar sie selbst.

Dennoch werden die Zeitungen nicht müde wiederzukäuen, was sie bereits wenige Stunden nach Klaus Zumwinkels Festnahme geschrieben haben: »Wenn es stimmt, was die Staatsanwaltschaft sagt, entfaltet sich ein Skandal größer als Neue Heimat oder Flick. Es geht nicht nur um Klaus Zumwinkel, sondern um den Ruf der Elite dieses Landes. Mit einem Schlag stünde sie als gierig und kriminell da. Die politischen Folgen sind unabsehbar. Oskar Lafontaines antikapitalistische Rabulistik wird noch mehr Wählern als wahr erscheinen; der allgemeine Linksruck kann zu einer Stampede nach links anschwellen«, weiß die Welt am Sonntag zu berichten. Der Züricher Tagesanzeiger erkennt sogar: »Dass sich jetzt unzählige Deutsche angewidert nach links wenden, überrascht nicht. Der Verfall der Sitten einzelner Maßloser zerrüttet das Vertrauen in das gesamte System. Grenzenlose Gier nagt am Grundkonsens der Gesellschaft.« Auch alle anderen schrieben von Gier, Gier und Raffgier einerseits und vom Linksruck andererseits.

Nicht zuletzt hat die Razzia bei Zumwinkel, die speziell für die Medien inszeniert worden ist und den Verdächtigen – man mag ihn mögen oder nicht – auf eine grausame Art vorführte, dazu beigetragen, dass der »Grundkonsens der Gesellschaft« infrage gestellt wurde und Lafontaine bald der neue Ulbricht sein darf. Doch stimmt das überhaupt? Rückt das Land deswegen nach links? Nein, denn Sozialneid war noch nie eine besonders verlässliche Grundlage für Proteste. Wenn schon, so wird nur derjenige sich der Linken zuwenden, der sich davon einen eigenen Vorteil verspricht. Also der Hartz IV-Empfänger oder der Weltverbesserer. Alle anderen verlangen lediglich nach weiteren, ihre dämliche Rachsucht stillenden Aktionen und sind dafür allzu gern bereit zu ignorieren, dass die Steuerschuldner lediglich deshalb bekannt wurden, weil die Behörden mithilfe von Schmiergeld an die Daten gekommen sind. Der Staat aber hat einen Coup gelandet. Er konnte einen ungeliebten Manager loswerden, Vertrauen zurückgewinnen, weil er »mit aller Härte« auch gegen die Oberklasse vorgeht, und so den Linksruck, wenn es denn überhaupt einen solchen gibt, zumindest katalysieren. Der so genannten Elite ist kein Schaden entstanden.