Ein Ball fällt auf einen Kopf

Die Geschichte der deutschen Teams im Uefa-Cup ist geprägt von Können, Glück und einem glitschigen Ball. von ralf höller

Den »Cup der Verlierer« hat Franz Beckenbauer den Uefa-Pokal einmal genannt. Das war 1994, als in der Debütsaison des neuen internationalen Club-Wettbewerbs Wer­der Bremen und nicht Bayern München in der Champions League spielte. Den Bayern blieb damals der Uefa-Cup, der nach ihrer Meinung eigentlich unter ihrer Würde war. Was lag näher, als sich bereits in der zweiten Runde gegen den englischen Provinzclub Norwich City zu verabschieden? Dass Beckenbauer wie weiland Adenauer sein Geschwätz von gestern nicht kümmert, bewies er zwei Jahre später: Da gewann er als Trainer beide Endspiele gegen Girondins Bordeaux – immerhin eine Mannschaft, in der Zinédine Zidane spielte. Klar, dass die Bayern den Uefa-Pokal wieder lieb hatten.

Das ist in dieser Saison auch so, nachdem Stutt­gart, Schalke und Bremen die Frechheit besessen haben, sich für Europas Eliteklasse zu qualifizieren. Außer Schalke sind alle deutschen Teams allerdings bereits ausgeschieden. Ein Sieg in der B-Konkurrenz wäre für die Münchner – ein rasches Schalker Ausscheiden vorausgesetzt – kein ganz unattraktiver Trostpreis. So werden sich die Bayern gegen den schottischen Außenseiter FC Aberdeen wohl sehr anstrengen. Aber auch Hamburg, Bremen und Leverkusen hätten vermutlich nichts gegen einen Cupgewinn einzuwenden.

Dabei war der Uefa-Pokal einst das, was Sportjournalisten gern als »deutsche Domäne« bezeichnen. Erster Titelträger war der ruhmreiche FC Barcelona – in einem Wettbewerb, der damals, vor 40 Jahren, als Messepokal ausschließlich Teams aus Messestädten vorbehalten war. Später wurden bis zu vier Mannschaften pro Fußballverband zugelassen, die in der Meisterschaft hinter dem jeweiligen Landesmeister auf den nächsten Plätzen rangierten – oder es bis ins Finale des nationalen Pokals schafften. Zuerst gewannen den Uefa-Cup notorisch die Spanier: Barca gewann ein zweites Mal; das schaffte später auch der FC Valencia. Und einmal siegte Real Saragossa. Ein Jahrzehnt später begann die große Zeit der englischen Clubs: Nacheinander gewannen Leeds United, Newcastle United, Arsenal, noch mal Leeds, Tottenham und der FC Liver­pool.

Die erste erfolgreiche deutsche Mannschaft war 1975 Borussia Mönchengladbach, das nach torlosem Hinspiel die zweite Begegnung bei Twen­te Enschede glatt mit 5:1 gewann. Jupp Heynckes schoss drei Tore, Berti Vogts räumte hinten ab.

Vier Jahre später wiederholte Gladbach den Erfolg gegen Roter Stern Belgrad. Diese beiden Finalspiele waren weniger spektakulär, doch Berti Vogts räumte immer noch hinten ab. Mit dem MSV Duisburg und Hertha BSC Berlin stammten 1979 übrigens gleich drei von vier Halbfinalteilnehmern aus der Bundesliga.

Noch eindrucksvoller gestaltete sich die Bilanz für Deutschlands höchste Spielklasse in der Saison 1979/80: Alle fünf Teams erreichten das Viertelfinale, vier von ihnen – neben Gladbach und Eintracht Frankfurt der VfB Stuttgart und Bayern München – spielten in rein deutschen Duellen die Finalteilnehmer aus. Nur der 1. FC Kaiserslautern war zuvor gescheitert – an Bayern München. Als zweite deutsche Mannschaft sollte die Eintracht den Wettbewerb gewinnen. In den beiden Endspielen besiegte sie den Titelverteidiger Borussia Mönchengladbach denkbar knapp aufgrund der Auswärtstrefferregel. Gladbach hatte seine Heimbegegnung 3:2 gewonnen; Fred Schaub erzielte für die Frankfurter im Rückspiel zehn Minuten vor Schluss das goldene Tor.

Das verrückteste aller Spiele erlebte die Eintracht aber schon in Runde zwei. Es war so verrückt, dass seine Schilderung den restlichen Platz für diesen Artikel beanspruchen wird – zu Lasten der späteren Titelgewinner Bayer Leverkusen (1988) und Schalke 04, der Mannschaft, die als bislang letzte deutsche 1997 triumphierte. Dabei waren deren Endspiele gegen Espan­yol Barcelona und Inter Mailand durchaus dramatisch. Verrückt waren sie nicht.

Zurück zur Eintracht und zu jenem Spiel an Allerheiligen 1979. Gegner war Dinamo Bukarest, eine solide, aber keineswegs unschlagbare Mann­schaft. Überraschend hatte Frankfurt die erste Begegnung in der rumänischen Hauptstadt 0:2 verloren. Im Rückspiel musste ein Sieg mit drei Toren her. Pünktlich zum Anpfiff setzte ein feiner Regen ein, was der Eintracht, die seinerzeit einen technisch gepflegten Fußball spielte, überhaupt nicht behagte. Es entwickelte sich ein übles Gegurke, das auch auf einem Hartplatz in Klein­ostheim hätte stattfinden können. Bis zur Halbzeit passierte nicht viel. Die wenigen Bälle, die aufs Tor kamen, landeten als sichere Beute bei Bukarests Torhüter Stefan.

In der zweiten Hälfte wurde der Regen stärker – nicht aber die Eintracht. Es dauerte bis zur 73. Minute, ehe Frankfurts südkoreanischer Stürmer Bum Kun Cha zum ersten Mal traf. Noch blieben Frankfurt 17 Minuten, um wenigstens eine Verlängerung zu erreichen. Endlich gelang es der Mannschaft, die Rumänen unter Druck zu setzen und in deren Hälfte festzuhalten. Doch alles Drängen half nichts: Alle Versuche prallten an Bukarests Torwart ab.

Dann kam die 90. Minute. Sie wurde zu einem der komischsten Momente in der Europacup-Historie und hätte eine Nominierung für das Comedy-Festival in Montreux verdient gehabt. Willi Neuberger versuchte es zum x-ten Mal mit einem langen Ball nach vorn, an die Strafraumgrenze. Der mitgestürmte Ausputzer Charly Körbel erwischte den glatten Ball gerade noch mit dem Kopf. Der Ball flog in Richtung Tor, war aber zu kraftlos, um eine wirkliche Gefahr darzustellen. Bernd Hölzenbein wollte den Torwart noch bedrängen, kam aber ins Trudeln und fiel auf den Hosenboden. Stefan, nun nicht mehr gestört, nahm den glitschigen Ball auf, um ihn wieder nach vorn zu spielen. Bis die Frankfurter einen neuen Angriff starten konnten, würde der Schiedsrichter längst abgepfiffen haben.

Und da passierte es: Stefan hatte nicht mit der Renitenz des Balls gerechnet. Er zog ihn an seine Brust, den Ball zog es von dort fort. Inzwischen war der immer noch hilflos auf dem Hosenboden schlitternde Hölzenbein bei Stefan angekommen, just in dem Moment, als der Ball sich entschlossen hatte, dem Gesetz der Schwerkraft zu folgen. Er landete auf des Stürmers Kopf. Ein dankbares Nicken des Weltmeisters von 1974, und der Fußball kullerte wie ein Golfball beim Putten Richtung Tor. Stefan hechtete verzweifelt hinterher, erreichte den Ball aber erst klar jenseits der Linie. Der Schiedsrichter gab den Treffer und pfiff erst gar nicht wieder an.

In der zweiten Minute der Verlängerung markierte Bernd Nickel gegen die nun demoralisierten Rumänen den 3:0-Endstand. Ein glitschiger Ball hatte der Eintracht ein großes Stück vom Uefa-Cup beschert. Die gegenwärtigen Teilnehmer aus der Bundesliga werden weit mehr Glück brauchen.