Hässliches Hessen

Das Haus einer türkischen Familie in Dautphetal bei Marburg ist vermutlich von Rechtsextremisten angesteckt worden. kommentar von alex feuerherdt

Wie Anfang Februar in Ludwigshafen brannte am späten Montagabend der vergangenen Woche in der nahe Marburg gelegenen Ortschaft Dautphetal ein von Türken bewohntes Haus. Während nur wenig dafür spricht, dass das Feuer in der zweitgrößten rheinland-pfälzischen Stadt, bei dem neun Menschen starben, von Neonazis gelegt wurde, gehen die zuständigen Behörden in Marburg genau davon aus.

Der 29 Jahre alte Sohn der dreiköpfigen türkischen Familie hatte beim Verlassen des Hauses zunächst zwei Männer gesehen, die fluchtartig das Weite suchten. Wenig später bemerkte er, dass an die Hauswand das Wort »Hass« geschmiert worden war, wobei die letzten beiden Buchstaben die Form von Runen hatten. Zwei Stunden später brannte die Holzverkleidung des Hauses. Die 55jährige Mutter beobachtete aus dem Fenster zwei Männer, die mit erhobenen Fäusten davonliefen und mehrmals »Ausländer raus« riefen. Nachbarn der Familie bestätigten dies.

Der Polizeipräsident von Mittelhessen, Manfred Schweizer, sagte, die Polizei nehme an, dass die Täter zwei Mal zum Tatort gekommen seien: zuerst, um verfassungsfeindliche Symbole zu schmie­ren, und später noch einmal, um das Haus anzuzünden. Das zeuge »von einer großen kriminellen Energie«. Weil die Bewohner das Feuer rasch entdeckten und löschen konnten, hielt sich der Sachschaden mit 1 500 Euro in Grenzen. Weit schwerer wiegen die seelischen Folgen. Der Sohn sagte, der Anschlag habe insbesondere seine Eltern tief getroffen. Sie hätten sich in Deutschland nie wohl gefühlt, und ihr erster Gedanke nach der Brandstiftung sei gewesen, das Haus zu verkaufen und in die Türkei zurückzukehren. Sie könnten kaum noch schlafen, weil jedes Geräusch sie aufschrecken lasse.

In Ludwigshafen sollen derweil nach Angaben des Südwestrundfunks die beiden Mädchen ihre Aussagen zurückgenommen haben, denen zufolge sie einen Brandstifter beobachtet hatten. Der Vater eines der beiden Kinder bestritt dies in einem Interview mit einem privaten Radiosender jedoch vehement, und auch der Leiter der Staatsanwaltschaft Frankenthal, Lothar Liebig, wollte den Bericht des SWR nicht bestätigen. Im Laufe dieser Woche sollen die Sachverständigen ihr Gutachten vorlegen, von dem sich die Behörden Aufschluss über die Brandursache erhoffen.

Egal, was das Ergebnis sein wird – es spricht alles dafür, dass in Dautphetal Brandstifter am Werk waren, die mit ihrer Tat auf den grausamen Tod von neun türkischen Menschen in Deutschland Bezug nahmen. Nach wie vor gibt es handfesten Rassismus sowie eine aktive Neonaziszene vor allem im Osten, aber auch im Westen der Republik, wie der Anschlag bei Marburg zeigt. Die aufgeregten Diskussionen um »Parallelgesellschaften« und »Ausländerkriminalität« verschleiern dies. Wann immer es um die »Integration« von Migranten geht, werden zwei Fragen nie gestellt: die nach der Integrationsbereitschaft der Deutschen und die nach der Verfasstheit der postnazistischen Gesellschaft, in die sich Nichtdeutsche integrieren sollen. Dabei müsste genau das ein zentrales Thema sein.