Jetzt wird abgerechnet

Gender-Aktivisten haben sich viel vorgenommen: Mit dem Konzept Gender Budgeting wollen sie nicht nur Gleichstellungspolitik machen, sondern auch noch die öffentlichen Verwaltungen modernisieren. Von Jana Brenner

Ob der Stadtkämmerer in München oder der Bundesfinanzminister in Berlin – wer dachte, er könne sich vor Gender-Workshops drücken, weil er doch bloß mit Zahlen hantiert, der hat sich geschnitten. Niemand soll sich mehr mit dem Argument, dass Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte sich nicht auf das Geschlechterverhältnis auswirken, herausreden können. »Wenn ich sage, der Haushalt ist geschlechtsneutral, kann ich genauso gut sagen, dass er keine gesellschaftliche Wirkung hat«, sagt Regina Frey von der Bundesinitiative Gender Budgeting (BiG Budget).

Nicht nur Mitarbeiter aus den Finanzressorts sind gefragt. Gender Budgeting will sich nicht weniger als den gesamten Haushalt vorknöpfen. Und das auf allen Ebenen, von den Kommunen bis zum Bund. Der Strategie »liegt die Annahme zugrunde, dass die bisher vorherrschende geschlechtsblinde Haushaltspolitik ungerechte Verteilungseffekte hat und gesellschaftliche Unterschiede teilweise noch verstärkt«, schreibt die Initiative für eine geschlechtergerechte Haushaltsführung in Berlin.

Die Beamten sollen also klären, ob durch bestimmte Ausgaben die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verstärkt wird. Dazu müssen sie zunächst jede Menge Daten sammeln, und zwar nach Geschlechtern getrennt. So kann sich zum Beispiel herausstellen, dass von den Ausgaben im Jugendbereich mehr Jungen als Mädchen profitieren. Nach den Daten kommt das Fragen: Warum kommen so wenig Mädchen in den Jugendtreff, was muss geändert werden, damit keines der Geschlechter benachteiligt wird? Hier soll das »politische Umsteuern« beginnen. Das Geld wird umgeleitet, im Idealfall in die Richtung, die mehr Gleichstellung verspricht.

Gender Budgeting macht nicht bei den Ausgaben halt: Einnahmen und Einsparungen sollen ebenso geprüft werden wie Einnahmen, die nicht gemacht wurden, wozu etwa hinterzogene Steuern gehören. Auch erhobene Steuern stehen in der Kritik: So belohnt das Ehegattensplitting vor allem Ehen von Alleinverdienern, in denen der Mann traditionellerweise den Lohn nach Hause bringt und die Frau die Kinder versorgt. Unter Gesichtspunkten des ­Gender Budgeting eine Katastrophe.

Was so friedlich daherkommt und nicht zuletzt eine gerechtere Welt durch die bloße Umverteilung von Mitteln verspricht, ist aber auch knallharte Rechnerei. Gender-Budget-Aktivisten werben mit Stichworten wie »Wirkungsgenauigkeit«, Transparenz und Effizienz für ihr Konzept. Gender Budgeting fördere nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter, wie es in einem Flyer der Berliner Verwaltung heißt, es reduziere auch Folgekosten, denn »Geschlechterungerechtigkeit ist ökonomisch ineffizient«.

Ursprünglich kommt Gender Budgeting aus der Entwicklungshilfe, wo es mittlerweile als Standardmethode zur Bekämpfung insbesondere von Frauen- und Kinderarmut gilt. Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 vereinbarten 189 teilnehmende Staaten das Konzept für ihre Haushalte. Australien gendert seine Budgets seit Mitte der achtziger Jahre, Initiativen für Gender Budgeting gibt es in gut 50 Ländern. Da Gender Budgeting eine Teilstrategie von Gender Mainstreaming ist, gibt es auch für Deutschland entsprechende Vorschriften. So verpflichtet der Vertrag von Amsterdam die Mitgliedstaaten der EU und Beitrittskandidaten seit 1999 zu Gender Mainstreaming. Auch die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien schreibt das Konzept vor.

In Deutschland entwickelt sich Gender Budgeting nur langsam. Unter anderem in Köln, München und Mannheim tut sich was in Sachen geschlechtergerechter Haushalt. Vorerst wird hauptsächlich diskutiert und ein Antrag nach dem nächsten gestellt. Konkreter geht es in Berlin zu. Hier gibt es »Gender-Budget-Nutzenanalysen« seit 2004, zunächst für bestimmte Bereiche des Haushalts.

Auch wenn man in der Hauptstadt schon weiter ist als woanders, den Gender-Beraterinnen geht das alles nicht weit genug. Es werde weder abgeschätzt, welche geschlechterpolitischen Folgen die gegenwärtige Sparpolitik habe, noch werde der gesamte Haushalt betrachtet. Das liege nicht zuletzt daran, dass es in Verwaltungen sehr oft eine »generelle Weigerung gegen Neues« gebe, sagt Renée Parlar von BiG Budget. »Das Gender-Thema ist natürlich ein ganz heikles, weil es das Weltbild von Menschen über Frauen und Männer immer berührt.«

Auf Bundesebene geht alles noch ein bisschen schleppender. Dementsprechend hält Parlar die Empfehlung der EU, bis 2015 in allen Mitgliedsländern Gender Budgeting einzuführen, in Deutschland für »wenig realistisch«. Immerhin, den Begriff müsste man in der Verwaltung zumindest schon mal gehört haben. So veranstaltete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit der Europäischen Kommission eine Fachkonferenz unter dem Namen »Die Verteilung macht’s – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit durch geschlechtersensible Haushalte«. In den Schlussfolgerungen der Konferenz äußerte sich das Ministerium wohlwollend zum Konzept. »Gender Budgeting gewährleistet einen Mehrwert für das Haushaltsverfahren«, hieß es.

Das klingt ganz anders als in den Anmerkungen zur »Machbarkeitsstudie Gender Budgeting auf Bundesebene«, die im Oktober 2007 erschienen ist. Die Forscher kamen zum Schluss, dass das Konzept eindeutig realisierbar sei. Die Vorschläge seien »zum Teil mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden«, meint dagegen die Bundesregierung. Das Familienministerium hat zunächst die »Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming«, die jahrelang über die Verwirklichung des Gleichstellungskonzepts gewacht hat, abgeschafft. Ein Sprecher des Ministeriums begründete das mit der Tatsache, dass durch das Bundesgleichstellungsgesetz inzwischen sowieso alle Beschäftigten, »insbesondere auch solche mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben«, verpflichtet seien, »die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern«. Auch das Finanzministerium hält sich zurück. Es gebe »noch erheblichen Klärungsbedarf zu vielen grundsätzlichen Fragen«, sagte ein Sprecher. Vielleicht betrachtet die Große Koalition die Studie auch einfach nur als unerwünschtes Erbe von Rot-Grün.

Auch wenn SPD und Grüne die Studie in Auftrag gegeben haben, sie als Gender-Superhelden darzustellen, würde zu weit gehen. Immerhin gehen Gesetze wie Hartz IV auf ihr Konto. »Bei Hartz IV steht vorne drin: Gender-Mainstreaming-geprüft. Aber das ist Blödsinn. Die Bedarfsgemeinschaften erhöhen ganz klar eher die Abhängigkeit der Frauen«, sagt Parlar. »Wenn Gender Mainstreaming oder Gender Budgeting vor Hartz IV wirklich berücksichtigt worden wären, hätte es in dieser Form nicht verabschiedet werden können.«

Kritik gibt es aber auch an Gender Mainstreaming und an Gender Budgeting selbst. Während Spiegel und FAZ sich sorgen, dass die Männer abgeschafft werden sollen, befürchten Akademikerinnen, dass das Ganze aus feministischer Sicht ein Rückschritt ist. »Zweigeschlechtlich strukturierte Denk- und Deutungsmuster erleben eine neue Blüte«, urteilt Angelika Wetterer, Professorin für Geschlechtersoziologie und Gender Studies an der Universität Graz. »Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen« sei die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern, und nach der wird jetzt »mit nie gekannter Intensität« gefahndet.